Die Geschichte des CIA und dessen Vorgängerorganisation OSS (Office of Strategic Services), personifiziert in einem hochbegabten Lyrik-Studenten, der durch väterliche Gönner für den Agentenberuf geworben wird. Kein Agenten-Spektakel, sondern ein eher nüchterner Blick auf das Innenleben einer Organisation, die ihren Mitgliedern ein höchstes Maß an Loyalität und Pflichterfüllung abverlangt. Sorgfältig im düsteren Neo-noir-Stil inszeniert, hält der Film die Frage nach dem höheren Ziel der Behörde in einer ambivalenten Schwebe. Zwar nutzt er die Ästhetik des Genrekinos, verliert sich aber nicht in dessen Konventionen, wobei der Kampf um die Macht in erster Linie mit Worten ausgefochten wird.
- Sehenswert ab 16.
Der gute Hirte
Biopic | USA 2006 | 167 Minuten
Regie: Robert De Niro
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE GOOD SHEPHERD
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Universal Pic./Morgan Creek Prod./Tribeca Prod./American Zoetrope
- Regie
- Robert De Niro
- Buch
- Eric Roth
- Kamera
- Robert Richardson
- Musik
- Bruce Fowler · Marcelo Zarvos
- Schnitt
- Tariq Anwar
- Darsteller
- Matt Damon (Edward Bell Wilson) · Angelina Jolie (Clover/Margaret Ann Russell) · Alec Baldwin (Sam Murach) · Tammy Blanchard (Laura) · Billy Crudup (Arch Cummings)
- Länge
- 167 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Biopic | Drama | Spionagefilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
„Der gute Hirte gibt sein Leben hin für seine Schafe“, heißt es in der Bibel. Gilt so etwas auch für CIA-Agenten? Sind sie mutige Verteidiger der USA, der westlichen Welt und ihrer freiheitlichen Grundwerte? Oder ein undurchsichtiger, machtbewusster Klüngel mit zweifelhaften Methoden, der sich systematisch der demokratischen Kontrolle entzieht? Robert De Niros Spy-Movie, seine zweite Regiearbeit nach „In den Straßen der Bronx“ (fd 30 869), genießt angesichts solch brisanter Fragen besondere Aktualität, und wenn an einer Stelle ein russischer Agent von CIA-Mitarbeitern einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt bekommt, nackt ausgezogen und gefoltert wird, um eine Aussage zu erzwingen, drängt sich der Vergleich zum „Krieg gegen den Terror“ unweigerlich ins Szenario einer heißen Phase des Kalten Krieges. De Niro versucht sich an einer Geschichte der CIA, die, festgemacht am Schicksal eines leitenden Mitarbeiters, auch ein Psychogramm des Geheimdienstler-Daseins ist. Er erzählt zunächst von der Entstehung des OSS (Office of Strategic Services) im Kampf gegen die Nazis, dann der daraus hervorgehenden CIA als Instrument im Kalten Krieg; und vom Scheitern der Organisation bei der Invasion der Schweinebucht im April 1961, einem militärischen wie politischen Debakel für die USA, das statt der beabsichtigten Schwächung eine Stärkung Castros bedeutete und dessen Annäherung an die Sowjetunion begünstigte – was fast zur Eskalation des Kalten Krieges während der Kuba-Krise 1962 führte.
Agenten-Action und Kriegsspektakel darf man indes nicht erwarten. Die Erzählung schlachtet nichts aus. Mehr als auf die große weltpolitische Krise konzentriert sie sich auf die persönliche Krise ihrer Hauptfigur, heftet sich zurückhaltend, aber beharrlich an ihre Seite. Edward Wilson ist zu Beginn des Films ein hochbegabter Lyrik-Student an der Elite-Uni Yale und wird, wie einst sein Vater, Mitglied der exklusiven Verbindung „Skulls and Bones“, deren Riten archaisch sind und deren Einfluss auf höchste Kreise der US-Politik bedeutend ist. Dort fällt der intelligente, zuverlässige junge Mann einigen wichtigen Leuten auf: dem FBI-Chef Sam Murach, dem zukünftigen CIA-Leiter Philip Allen und vor allem „General“ Bill Sullivan, der die Gründung des OSS und des CIA maßgeblich initiiert; eine von Alec Baldwin, William Hurt und Robert De Niro exzellent verkörperte Trias an jovialen, aber höchst undurchsichtigen Vaterfiguren, von denen ihr Zögling vor allem eines lernt – niemandem zu vertrauen. Bei einem „Bones“-Treffen lernt Wilson seine zukünftige Ehefrau Margaret kennen, die schöne Schwester eines Verbindungsbruders. Als sie ein Baby erwartet, heiratet er sie mehr aus Pflichtgefühl als aus Neigung, kurz bevor er während des Zweiten Weltkriegs als OSS-Agent nach Europa geschickt wird. Nach dem Krieg, seiner Initiation in die Schattenwelt des Agentenlebens, haben er und seine Frau sich vollends entfremdet. Sein kleiner Sohn verehrt ihn zwar abgöttisch, leidet aber schmerzlich daran, dass er sich dem verschlossenen Vater, der mittlerweile Leiter der CIA-Spionageabwehr ist, nie wirklich nahe fühlen kann. Ein Defizit, das Jahre später fatale Auswirkungen haben wird.
Ähnlich wie bei „In den Straßen der Bronx“ versucht sich De Niro an einem (zeitlich wie im Hinblick auf das Figurenensemble) breit angelegten Blick auf amerikanische Befindlichkeiten, der die Ästhetik des Genrekinos nutzt, ohne sich in dessen Konventionen zu verlieren. Der verhaltene, epische Erzählduktus ist nicht zuletzt dem Drehbuch von Eric Roth (u.a. „München“, fd 37 431; „The Insider“, fd 34 234) zu verdanken, der nicht versucht, die Komplexität des Sujets durch simple Gut-Böse-Schemata zu glätten, und eine Hauptfigur präsentiert, die nicht recht zum Helden taugen will. Der von Matt Damon verkörperte Wilson hat ganz und gar nichts vom Glamour eines James Bond; eher wirkt er wie ein Versicherungsbeamter, wenn er mit Trenchcoat und Aktentasche ins Büro eilt: eine graue Maus, die sich geschickt im Räderwerk internationaler Beziehungen bewegt. Seine Qualität beruht nicht auf körperlicher Kampfkraft und tobt sich nicht in Schießereien, Verfolgungsjagden, Coups und Maskeraden aus, sondern in der Cleverness und der Beharrlichkeit, mit denen er um die „Ware“ des CIA, um Geheimnisse, feilscht bzw. sie verteidigt. Für den Film bedeutet das dramaturgisch: viele eindrückliche Dialogsequenzen, in denen Worte so strategisch eingesetzt werden wie Waffen. Die sorgfältige Inszenierung und der düstere Neo-noir-Stil vermitteln den Eindruck einer undurchsichtigen Welt, in der eine Elite amerikanischer WASPs ihr Spiel der Macht spielen, das die Rolle der USA als dominante Weltmacht sichern und zugleich dem Erhalt eigener Privilegien dienen soll. Und keinen Raum für Emotionen lässt: Die Unterkühltheit ihres Kalten Krieges diffundiert bis in die privaten Beziehungen, sodass Freundschaften oder Liebesbeziehungen keine Chance haben – beispielhaft gezeigt am Schicksal der weiblichen Nebenfiguren, denen konsequent der Zugang zur Männerwelt versagt wird, wenn nötig mit Gewalt.
Die Frage, ob das höhere Ziel der CIA, der Schutz ihres Landes und von Demokratie und Freiheit, letztlich all dies rechtfertigt, oder ob das schmutzige Geschäft mit den Geheimnissen der Macht nicht dieses Ziel korrumpiert und ins Gegenteil verkehrt, lässt De Niro unbeantwortet. Die von ihm verkörperte Figur „General“ Bill Sullivan gibt einem beim letzten Gespräch mit Edward Wilson aber zu denken, wenn Sullivan erläutert, es seien die Beamten und die Angestellten gewesen, die Hitler an die Macht gebracht hätten, und dann in Bezug auf sich selbst und die CIA mutmaßt: „Vielleicht sind wir ja alle Angestellte.“
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