Drama | Italien/Frankreich 2006 | 118 Minuten

Regie: Emanuele Crialese

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschließt ein sizilianischer Witwer, mit seiner Mutter und den beiden Söhnen nach Amerika auszuwandern. Nach einer beschwerlichen Überfahrt erreicht er über Ellis Island endlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das vielschichtige, in düsteren Farben gezeichnete Zeitgemälde fesselt vor allem durch die überzeugenden Darsteller. Dabei feiert er nicht den amerikanischen Gründungsmythos des "melting pot", sondern setzt über 20 Mio. europäischen Auswanderern ein filmisches Denkmal. (SIGNIS-Preis Venedig 2006) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NUOVOMONDO
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Memento Films/Respiro/arte France Cinéma/Titti Film/Rai Cinemafiction
Regie
Emanuele Crialese
Buch
Emanuele Crialese
Kamera
Agnès Godard
Musik
Antonio Castrigano
Schnitt
Maryline Monthieux
Darsteller
Charlotte Gainsbourg (Lucy) · Vincenzo Amato (Salvatore Mancuso) · Aurora Quattrocchi (Fortunata Mancuso) · Francesco Casisa (Angelo Mancuso) · Filippo Pucillo (Pietro Mancuso)
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (1:1,85/16:9/Deutsch DD 5.1/Ital.)
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Diskussion
In der kargen Hochebene Siziliens klettern zwei Männer über grauweiße Felsen einem Gipfel entgegen. Sie sind barfuß, im Mund tragen sie einen Stein. Schließlich erreichen sie ihr Ziel auf dem Berg – ein Marienbild. Die Männer legen die Steine zu den zahllosen anderen. „Gib uns ein Zeichen, Muttergottes. Sollen wir gehen oder bleiben?“ Die Zeichen kommen in Form zweier amerikanischer Ansichtskarten: Die eine zeigt einen Baum, auf dem Goldmünzen wachsen, die andere einen Mann, der eine übergroße Zwiebel mit einer Schubkarre transportiert. „Golden Door“ beginnt in den verarmten kargen ländlichen Regionen Siziliens: Das Leben wird von Hunger und Entbehrung geprägt, und der Witwer Salvatore will mit seiner Familie in die „Neue Welt“ auswandern, mit seiner Mutter Fortunata und seinen beiden Söhnen. Er tauscht seine wenigen Habseligkeiten gegen Schuhe und Kleider, denn die neue Welt betritt man nicht in Lumpen. Die Auswanderung Hunderttausender ins gelobte Land Amerika ist (nicht nur) eine italienische Geschichte: 20 Mio. emigrierten in die Neue Welt, aber der Aufbruch ganzer Dörfer aus verarmten ländlichen Regionen gehört eigentlich zur kollektiven Erinnerung Europas; in diesem Sinne ist „Golden Door“ zwar ein italienischer, aber auch ein europäischer Film. Regisseur Emanuele Crialese wurde im Museum von Ellis Island vor New York über die ausgestellten Schwarzweiß-Fotos der europäischen Einwanderer, über die verschiedenen Identitäten und Ursprungskulturen, die hier zusammentrafen, zu seinem Film inspiriert. Dabei wollte er kein politisch-soziales Pamphlet abliefern, aber auch keine Verherrlichung des Gründungsmythos der USA. Sein Film beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts, in einer archaischen Gesellschaft, die irgendwo zwischen Aberglauben und Analphabetismus stehen geblieben ist. Crialese achtet penibel auf historische Glaubwürdigkeit: Kostüme, Masken und Ausstattung stimmen, aber er legt auch Wert auf die Verschiedenartigkeit der Dialekte, die es den Sizilianern fast unmöglich macht, sich mit anderen italienischen Emigranten zu verständigen. Deutlich werden von Anfang an auch die unterschiedlichen Motivationen und Antriebskräfte innerhalb der Auswandererfamilie: Salvatore passt sich in stiller, schüchterner Neugier an die neuen Verhältnisse an, seine Söhne – der eine taubstumm, der andere verschlossen – reagieren ihren Möglichkeiten entsprechend auf die „Neue Welt“; die Mutter schließlich steht allem Neuen feindlich gegenüber. Die Kamera von Agnès Godard schafft bedrückende und beeindruckende Bilder und sorgt für das im Film so wichtige Wechselspiel von Enge und Weite, das besonders den zweiten Teil bestimmt, wenn die Auswanderer in der klaustrophobischen Enge der dritten Schiffsklasse den Ozean überqueren und Stürme und Wellengang erleiden. Eine der beeindruckendsten Szenen ist die Abfahrt aus dem Hafen, die mit zahllosen Statisten in Buenos Aires gedreht wurde. Im Ablegen versinnbildlicht das abfahrende Schiff das Auseinanderreißen der zuvor einheitlichen Menschenmasse. Schon im Hafen macht sich Signorina Lucy an die Familie heran, eine rothaarige Halbengländerin, die auf eine Scheinehe aus ist. Auch in der scheuen Annäherung zwischen Lucy und Salvatore wird der Film nicht zur sentimentalen Romanze, sondern bewahrt seine distanzierte Haltung, der die ganze Geschichte prägt. Im dritten Teil gelangen die Einwanderer aus der Klaustrophobie des Schiffrumpfes in die sterile Enge von Ellis Island und durchlaufen zahllose Kontrollen und Prüfungen, die auch die Intelligenz einbeziehen. Salvatores Mutter und sein Sohn verweigern sich diesem Selektionssystem. „Seid ihr Gott, dass ihr entscheiden wollt, ob wir einreisen dürfen?”, schreit die Alte den Beamten der Einwanderungsbehörde entgegen: Aber die lassen sich in ihrer Arroganz nicht erschüttern, wer Probleme bereitet, hat keine Chance weiterzukommen. Ellis Island ist die letzte Hürde vor der „Neuen Welt“, vielen wird der Zugang verwehrt: Kranken, Alten, aber auch alleinstehenden Frauen, doch hier haben die Behörden eine Art Ehepartnerbörse organisiert. Der Film ist zurückhaltend inszeniert, fast spröde, teils beklemmend, jedoch immer wieder von lakonischem Humor unterbrochen. Wiederholt durchbricht Crialese den historisch-realistischen Stil der Erzählung mit ironisch-irrealen Sequenzen, in denen Salvatore sich die neue Welt visualisiert: Geld fällt vom Himmel, kleine Menschen schleppen überdimensionale Feldfrüchte und in den Flüssen fließt Milch; das Land der unbegrenzten Möglichkeiten nimmt so Gestalt an. Am Ende steht der Weg in die „Neue Welt“ für ihn offen, andere müssen zurück; dem Zuschauer bleibt der Blick ins „gelobte Land“ ebenfalls vorenthalten – am Ende schwimmen alle einzeln in einem großen Strom aus Milch. Ein vielschichtiges Zeitgemälde, das dem Mythos amerikanischer Emigrationsfilme, dem Mythos des „melting pot“, einen europäischen Blick entgegensetzt, der historisch wirkt und doch seltsam vertraut ist; denn angesichts einer steigenden Immigrantenzahl besitzt dieses Epos über den Anfang des 20. Jahrhunderts gerade heute ungeheure Aktualität.
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