Der historisch schwarz-weiße, knisternde MGM-Löwe brüllt den Prolog zu „Casino Royale“ ein, so als wäre noch einmal eine Reminiszenz an das Vergangene vonnöten, bevor endgültig ein neues Bond-Zeitalter anbrechen kann. Eine Verbeugung vor der gleichnamigen Bond-Persiflage aus dem Jahr 1966
(fd 15 155) sucht man vergebens, wird doch in den ersten, ebenfalls schwarz-weißen Minuten gleich ein Widersacher von 007 auf gänzlich unkomische Weise ausgeschaltet. Dann hält die Farbe Einzug, und der wie gewohnt eindrucksvolle, diesmal virtuos aus animierten Spielkarten, Roulette-Tischen und Bond-Silhouetten komponierte Vorspann läutet die Wiedergeburt des seit 44 Jahren bewährten Unterhaltungsformats ein – wenn auch unterlegt von einem eher schwachen Bond-Song. Dass es gelingt, diesem Format neues Leben einzuhauchen, liegt nicht zuletzt am Hauptdarsteller: Daniel Craig verkörpert im Vergleich zu seinen Vorgängern eine andere Generation von Spion. Vielleicht kommt seine Interpretation noch am ehesten dem Auftritt von George Lazenby nahe – doch auch der fühlte sich im Smoking viel zu wohl, um als Vorbild für den Draufgänger-Typen herhalten zu können, den Daniel Craig gestaltet. Der 007 des neuen Jahrtausend aber wird mürrisch, wenn er für den Casino-Auftritt Maßanzug und Fliege anziehen muss; am wohlsten fühlt er sich in sportlich geschnittenen Pullis und bevorzugt ansonsten das strapazierfähige Kurzarmhemd, das nicht hinderlich wird, wenn es mal wieder gilt, die Gesetze der Schwerkraft auf irgendwelchen Baugerüsten zu überwinden.
Bis auf einige Zitate, die nur eingefleischte Fans erkennen können, ist nicht viel von den Vorgängern geblieben. So mussten Miss Moneypenny und Q ebenso von der Bildfläche verschwinden wie der geschüttelte Martini – die Krönung des Affronts! Die Geschichte ist allerdings die alte: Im Jahr 1953 veröffentlichte der Brite Ian Fleming seinen Krimi „Casino Royale“ und begründete damit die erfolgreichste Spionage(film)-Reihe aller Zeiten. Sie erzählt vom ersten Einsatz des Doppelnull-Agenten, der gegen den Top-Terroristen Le Chiffre antreten muss; Le Chiffre kokettiert in waghalsigen Transaktionen mit dem internationalen organisierten Verbrechen, hat aber dummerweise aufgrund eines durch Bond vereitelten Coups eine Menge Geld eines mächtigen „Klienten“ verloren. So muss er Beruf und Hobby verquicken, im osteuropäischen Montenegro am exklusivsten Poker-Turnier der Welt teilnehmen und gut 150 Mio. Euro gewinnen, um damit seinen Gläubiger ruhig zu stellen. Doch Bond, der einige Male nur mit Mühe den Fallstricken des Chiffre-Syndikats entgehen konnte, ist ebenfalls ein leidenschaftlicher Bluffer. Unter wort- und tatkräftiger Unterstützung der schönen und unbestechlichen britischen Schatzbeamtin Vesper Lynd kommt es zum Showdown um den Millionengewinn.
Spätestens, wenn kurz nach dem Vorspann die erste Verfolgungsjagd zwischen Bond und einem akrobatisch hochbegabten Bösewicht zelebriert wird, weiß man, dass hier ein anderer Wind weht. Es sind nicht die aberwitzigen Erfindungen des britischen Geheimdienstes, die dem Gentleman-Spion helfen, den Bösen das Handwerk zu legen; weder Köpfchen noch Kombinationsgabe sind zunächst gefragt, sondern Kraft, Körperbeherrschung und Todesverachtung, was mehr an das Kino Luc Bessons erinnert, der sich wiederum durch seine asiatischen Lieblingsactioner inspirieren ließ. Der neue James Bond steigt zwar auch in schnelle Autos, benutzt aber lieber seinen trainierten Körper, um den Gegner zur Strecke zu bringen. Das dürfte jene Zuschauer enttäuschen, die mit Bond auch das Kuriositätenkabinett des Obererfinders „Q“ assoziieren; der Humor, der in dessen überdrehten Erfindungen immer mitschwang, ist nun weitgehend auf der Strecke geblieben. „Casino Royale“ ist zwar hier und da wortwitzig, was in erster Linie am köstlichen Geplänkel zwischen Bond und seiner Kollegin Vesper Lynd liegt; ansonsten aber überwiegt ein rauer Tonfall. Daniel Craig gibt seinem Charakter jene Härte zurück, die er bei Fleming hatte, eine Kälte (auch gegenüber dem weiblichen Geschlecht), die mitunter erschreckt, dem Charakter aber auch eine interessante Tiefe und Ambivalenz verleiht. So ist er selbst seinem Boss M (wieder zynisch-brillant verkörpert von Dame Judi Dench) mitunter unheimlich, wenn sie in die stahlblauen Augen ihres „neuen“ Mitarbeiters schaut.
Die Musik von David Arnold intoniert wieder ganz den Geist John Barrys: Die Patina ist eindeutig verschwunden, die den Bond-Film so pointiert vom normalen Krimi unterschied. Dennoch ist „Casino Royale“ als handfester, durchaus auch enrsthafter Genrefilm ein Genuss, weil er sich auf spannende, handgemachte Action versteht und zudem einen glaubwürdigen Hauptdarsteller präsentiert.