- | Deutschland 2005 | 92 Minuten

Regie: Matthias Luthardt

Ein 16-Jähriger, der unter dem Selbstmord seines Vaters leidet, verbringt den Sommer bei seinem Cousin und dessen Eltern. Seine Anwesenheit in der Familie wird zum Katalysator für Zerrüttungstendenzen, die die gutbürgerliche Fassade bröckeln lassen. Eindringliche, kühl gefilmte Charakterstudie um unterdrückte, kontrollierte und aufbrechende Gefühle und Bedürfnisse, die als Folie für eine intensive Parabel um eine Ich-Suche, das Streben nach Glück und das Sich-Einrichten im Unglücklichsein dienen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Junifilm/mdr/HFF "Konrad Wolf"/Koppmedia
Regie
Matthias Luthardt
Buch
Meike Hauck · Matthias Luthardt
Kamera
Christian Marohl
Musik
Matthias Petsche
Schnitt
Florian Miosge
Darsteller
Sebastian Urzendowsky (Paul) · Marion Mitterhammer (Anna) · Clemens Berg (Robert) · Falk Rockstroh (Stefan)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar mit dem Regisseur, dem Co-Drehbuchautor Meike Hauck und dem Hauptdarsteller Sebastian Urzendowsky sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)/Indigo
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Ein 16-Jähriger, der unter dem Selbstmord seines Vaters leidet, verbringt den Sommer bei seinem Cousin und dessen Eltern. Seine irritierende Anwesenheit in der Familie wird zum Katalysator für Zerrüttungstendenzen in der Familie.

Diskussion
Der 16-jährige Paul ist weder wortkarg noch schüchtern. Eher einer, der über die Stränge schlägt, um Grenzen zu testen. Trotzdem verstummt Paul regelmäßig, wenn die Rede auf seinen Vater kommt, der sich das Leben genommen hat. Irgendwann hockt Paul mit seinem Cousin nachts im Zelt, vertraulich Schulter an Schulter gelehnt. Der etwas ältere Robert löchert ihn mit unverhohlener Neugier, wie nur Jugendliche das können: Was genau ist passiert? Und jetzt bricht es aus Paul heraus: Wie er den Vater in der Garage hängen sah, der Kopf schon blau angelaufen. Paul kämpft mit den Tränen, dann schiebt er die zitternden Finger in den Mund, als gelte es, das Erzählte zurückzustopfen. Gesagt werden musste es. Sebastian Urzendowsky, in der Rolle des Paul eine Entdeckung, sorgt für einen starken, raren Moment der Katharsis mitten in einem Film, in dem viel um den Brei herumgeredet wird. Familiengeheimnisse bleiben unangetastet, Probleme werden auf Nebenkriegsschauplätze abgewälzt. Die Erwachsenen wissen am besten, wie man Gefühle überspielt, bis man sich selbst nicht mehr spürt. Wie man sich kontrolliert, beherrscht der volljährige Robert schon ganz ordentlich. Paul wird es auch noch lernen. „Wir sind immer für Dich da.“ Auf der Beerdingung von Pauls Vater sagte sich das noch leicht. Als der Junge in den Sommerferien tatsächlich vor der Haustür von Onkel und Tante steht, wird er kühl empfangen. Vor allem Anna, die Tante, sieht die Ordnung empfindlich gestört, zumal Paul, der wenig Wert auf bürgerliche Umgangsformen zu legen scheint, ihr vordringlichstes Projekt gefährden könnte: Sein Cousin Robert, ein pianistisches Talent, soll in wenigen Tagen beim Vorspiel an der Musikakademie reüssieren. Mit verbissenem Ehrgeiz treibt ihn Anna an den Flügel. Heimlich trinkt Robert Alkohol und zerbeißt Eiswürfel. Immerhin ist jetzt Paul da, mit dem man zur Abwechslung mal Tischtennis spielen kann. An der Pingpong-Platte scheint Annas Einfluss zu enden. Als ihr Mann geschäftlich verreist, hat sich Anna bereits mit dem Gedanken angefreundet, Paul im Haus zu behalten. Er könnte sich nützlich machen. Paul erklärt sich bereit, den alten Swimmingpool im Garten instand zu setzen. Die Macht verhältnisse in der Familie verschwimmen jedoch zusehends. „Pingpong“, Matthias Luthardts Diplomfilm an der Potsdamer Filmhochschule, lief mit Erfolg 2006 in Cannes und wurde dort mit zwei Nebenpreisen ausgezeichnet. Kritiker bemerkten eine Nähe zur Nouvelle Vague und den Filmen Pier Paolo Pasolinis. Tatsächlich erinnert die Ausgangssituation an Pasolinis filmisches Versuchslabor „Teorema“ (fd 15 863). Auch in „Pingpong“ dringt ein unangemeldeter Besucher – hier ist es Paul – in eine scheinbar geordnete Welt ein, weckt Begierden und Freiheitsbedürfnisse, intensiviert als Katalysator Zerrüttungstendenzen in der Gastfamilie, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Die Hermetik des Handlungsortes, ein dicht von Vegetation umwachsenes Grundstück mit Bungalow, in dem Stefan, Anna und Sohn Robert leben, das die Kamera kaum verlässt und dem auch die Charaktere kaum entrinnen können, verstärkt das Gegeneinander konträrer Wünsche und Konzepte. Über die sozialen Begleitumstände erfährt man nichts. Der Schauplatz: ein Niemands- und Überall-Land, das die Folie für eine Parabel von der Ich-Suche, vom Streben nach Glück und vom Sich-Einrichten im Unglücklichsein liefert. Pauls Rolle erweist sich als höchst fragil und ambivalent: Im Kräftemessen zwischen Anna und Robert ist er der Spielball (worin sich der Film von „Teorema“ unterscheidet). Robert, dessen innerer Zwiespalt zwischen Piano und Playstation in Clemens Bergs Darstellung streckenweise unterbelichtet bleibt, gleitet in die dumpfe Defensive ab, während Anna berechnend und zunehmend grausam agiert. Ihrem Riesenschnauzer schenkt die vom Leben enttäuschte Ex-Musikerin ihre ganze Zuneigung, Sohn und Neffe nimmt sie an die Kandare. Droht Anna die Kontrolle zu entgleiten, präsentiert der Film ein „desperate Housewife“ mit Neigung zur Infantilität: Die Tischtennisplatte geht zu Bruch; als Robert die Aufnahmeprüfung schmeißt, lässt Anna trotzig sein geliebtes Klavier abtransportieren. Marion Mitterhammer exekutiert ihre Szenen zwischen Wut und gespielter Aufgekratztheit mit kalter Präzision. Wenn Anna schließlich mit Paul ins Bett geht, filmt Matthias Luthardt diesen Gipfel des längst begonnenen Missbrauchs mit jener unterkühlten Beiläufigkeit, die typisch ist für die Erzählweise der „Berliner Schule“: Die Sache passiert, sie kündigte sich längst an, aus ihrer verknappten Darstellung ist weder Vorwurf noch Mitleid gegenüber den Figuren abzuleiten. Wenn Onkel Stefan schließlich zurückkehrt und der Ehebruch unausgesprochen im Raum steht, droht die Geschichte für Momente in komödienhafte Peinlichkeit abzurutschen. Doch Luthardt bekommt den letzten Akt seines Dramas schnell wieder in den Griff und lässt ausgerechnet den frisch gekachelten und befüllten Swimming Pool zum Schauplatz der Rache werden. Mit einem grausamen und zugleich glimpflichen, in seinen Auswirkungen vieldeutigen Schlussakkord schürt der Autor und Regisseur noch einmal die untergründige Spannung eines Spiels, das fortwährend auf den Fluchtpunkt einer Eskalation zuläuft, die, so befreiend sie für die Beteiligten wäre, nie stattfindet. „Du wirst noch zum Säufer“, hatte Paul seinem Cousin während eines Spaziergangs prophezeit. „Vielleicht bringst Du Dich ja um!“, hatte Robert geantwortet. Am Schluss kann auch der Zuschauer nicht umhin, Vermutungen anzustellen. Pauls Lebensweg könnte in Gefühlskälte oder Kriminalität münden. Oder kommt alles ganz anders? Warum spekulieren wir? Weil Luthardt erstaunlich plausible Charakterstudien gelungen sind, die sich weit über das Filmende hinaus einprägen.
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