Dokumentarfilm über ein Call-Center in einer Satellitenstadt am Rand von Mumbai, wo junge Inder in Nachtschichten für Anrufer aus den USA arbeiten. Porträtiert werden sechs Call-Agents, deren Einstellung zur Arbeit von strikter Ablehnung bis zur bewundernden Selbstaufgabe geht. Dabei bemüht sich der Film, sich in seine Protagonisten hineinzuversetzen und ihre Entfremdung vom alten Mumbai zu illustrieren, wofür er außergewöhnliche, subjektive Bild- und Tonwelten findet. (O.m.d.U.)
- Ab 14 möglich.
John & Jane
Dokumentarfilm | Indien 2005 | 83 Minuten
Regie: Ashim Ahluwalia
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Filmdaten
- Originaltitel
- JOHN & JANE
- Produktionsland
- Indien
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Future East Film
- Regie
- Ashim Ahluwalia
- Buch
- Ashim Ahluwalia
- Kamera
- Avijit Mukul Kishore · K.U. Mohanan
- Musik
- Masta' Justy
- Schnitt
- Ashim Ahluwalia · Shai Heredia
- Länge
- 83 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Glen verflucht Amerika, die Amerikaner und die amerikanische Firma, für die er arbeitet. Damit deren Kunden in den USA nicht merken, dass die Gratis-Hotline ins indische Mumbai führt, müssen die Call-Agents nachts arbeiten und amerikanisch klingen. Auch das hasst Glen. Um sich abzureagieren, flucht er viel und bekifft sich am Feierabend. Kollege Donavan dagegen bewundert Amerika und ist stolz, für eine US-Firma zu arbeiten. Er hält die USA für das beste Land der Welt und ist sicher, wer es bis dahin schafft, wird reich. „Ich werde Milliardär“, sagt er. Bis dahin beantwortet er am Telefon Anfragen über Haushaltsgeräte. Eine weitere Kollegin, Nikki, hat sich sogar Haare und Wimpern blond gefärbt, um alles Indische hinter sich zu lassen. Ihr antrainierter amerikanischer Akzent ist weit stärker als der der anderen. Zwischen diesen Extremen gibt es auch Charaktere, die mit ihrer Arbeit gleichgültiger umgehen. Der Film stellt sechs junge Call-Agents vor und geht damit einem Phänomen der Globalisierung nach, das zeigt, welche skurrilen, irreal wirkenden Blüten die grenzenlos gewordene Weltwirtschaft hervorbringen kann.
Ausgehend von der Einschätzung, dass das Call-Center wie ein Fremdkörper in die Vorstadt des ehemaligen Bombay gepflanzt worden ist und die Menschen ihrem bisherigen Leben entreißt, hat Regisseur Ashim Ahluwalia keine sachliche Dokumentation gedreht, sondern versucht, subjektive Lebenswirklichkeiten einzufangen. Traumartig erscheinen die nächtlichen Stadtlandschaften, die vor den Augen der Call-Agents vorbeiziehen, in Zeitlupe oder Zeitraffer, unterlegt von einem elektronischen Soundteppich. Weder hier, im alten, urbanen Mumbai, noch in der Satellitenstadt fühlen sie sich zu Hause. Nach der Arbeit, sagt Glen einmal, sei er froh, wieder „zurück nach Indien“ zu fahren. Auf die eine oder andere Weise haben sie genau dieses Indien aber längst hinter sich gelassen. Man sieht ein Ehepaar, das sich im Call-Center gefunden hat, und das blond gefärbte Mädchen ist hingerissen von einem christlichen Gottesdienst. Auch in ihrer Freizeit sprechen alle nur englisch, beim Einkaufen, beim Tanzen, beim Ausgehen. Englisch ist nicht mehr die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht, sondern die der neuen amerikanischen Wirtschaftsinvasoren. Lange, schön gefilmte Einstellungen begleiten die sechs, und es ist nicht immer eindeutig auszumachen, wo das Porträt des einen endet und das des nächsten beginnt. Die Identitäten gehen ineinander über, so wie im Call-Center. Trotz dieser Darstellungsweise enthält sich Ahluwalia weitgehend einer Beurteilung der Verhältnisse; sein zweiter Dokumentarfilm wirkt nie polemisch, und weder diejenigen, die Amerika verfluchen, noch die, die es bewundern, erhalten bei ihm mehr Raum. Dennoch überwiegt das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt, dass die Menschen mit dieser neuen Form der Arbeit nicht zurechtkommen, anders etwa als in dem deutschen Dokumentarfilm „Call Me Babylon“ (2003) von Andreas Pichler, der die Call-Agents eines Centers am Rand von Amsterdam porträtierte. Diese schienen weit mehr mit sich und ihrer Arbeit im Reinen zu sein, obwohl auch ihr Leben sich zusehends von der handfesten Realität entfernte. Indien dagegen, mit seinem Anspruch, im Hitech-Geschäft ganz vorne mitzuspielen, überholt sich zurzeit, glaubt man diesem Film, offenbar selbst.
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