Eine Pariser Richterin hat der Korruption den Kampf angesagt, in die höchste französische Wirtschafts- und Staatskreise verstrickt sind. Dabei verliert sie jedes Maß aus den Augen und setzt sogar ihre Ehe und ihr Leben aufs Spiel. Der 67. Film von Claude Chabrol gefällt sich als Studie der menschlichen Niedertracht. Ein wortlastiges Justizdrama ohne sonderliche Überraschungen, das von der überzeugenden Hauptdarstellerin getragen wird, deren komödiantisches Potenzial freilich zu selten durchschimmert.
- Ab 14.
Geheime Staatsaffären
- | Frankreich 2006 | 110 Minuten
Regie: Claude Chabrol
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Filmdaten
- Originaltitel
- L' IVRESSE DU POUVOIR
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Alicéléo/France 2 Cinéma/A.J.O.Z. Films/Integral Film
- Regie
- Claude Chabrol
- Buch
- Claude Chabrol · Odile Barski
- Kamera
- Eduardo Serra
- Musik
- Matthieu Chabrol
- Schnitt
- Monique Fardoulis
- Darsteller
- Isabelle Huppert (Jeanne Charmant-Killman) · François Berléand (Michel Humeau) · Patrick Bruel (Jacques Sibaud) · Marilyne Canto (Erika) · Robin Renucci (Philippe)
- Länge
- 110 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
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Diskussion
Mit seinem jüngsten Opus wechselt der „Nouvelle Vague“-Veteran Claude Chabrol das Terrain vom Krimi zum Politthriller und wagt einen Schlüsselfilm über den Elf-Aquitaine-Skandal. Waffengeschäfte, Bestechung und persönliche Bereicherung waren bei dem Fall an der Tagesordnung, die Brechung des Gesetzes scheinbar ein Kavaliersdelikt. Die Spuren der Selbstbedienung beim französischen Erdölkonzern Elf Aquitaine, der nach der Wende das ostdeutsche Minol-Tankstellennetz übernahm, führten bis ins deutsche Ausland. Umso bedauerlicher ist, dass die Verstrickungen hiesiger Politiker in der fiktiven Verfilmung der Korruptionsaffäre außen vor bleiben und das, obwohl der Film mit deutschen Fördergeldern finanziert wurde. So stehen nur die Laster der wirtschaftlichen Eliten in Frankreich im Mittelpunkt. Es geht um Machtmissbrauch und Veruntreuung staatlicher Subventionsgelder auf höchstem Niveau. Auch wenn gleich im Vorspann jede Ähnlichkeit mit realen Personen und Ereignissen verneint wird, ahnt man das Ausmaß des Vergnügens, mit dem Chabrol sein pessimistisches Menschenbild in dem Milieu der ökonomischen Entscheidungsträger bestätigt findet. Gewohnt wohl temperiert geht es in seinem 67. Streich zu, nach den vielen makabren Gesellschafts- und Klassendramen diesmal ein klassischer Justizstoff. Wer aber die Enthüllung neuer Details, ein psychologisches Kammerspiel oder gar ein moralisches Drama in der Tradition eines Sidney Lumet erwartet, der wird eines Besseren belehrt.
Chabrol wäre nicht Chabrol, wenn sich das gewählte Genre nicht lediglich als Täuschungsmanöver für eine kalte bis höhnische Studie der menschlichen Niedertracht erwiese. Isabelle Huppert spielt darin mit der ihr ganz eigenen Schroffheit und kalten Selbstdisziplin eine Pariser Richterin, die nicht ruhen kann, bis sie die selbstherrlichen Top-Manager eines französischen Industriekonzerns hinter Gitter gebracht hat. Ihre roten Lederhandschuhe trägt die kleine zierliche Dame vor sich her wie zwei glühende Schwerter, und die schichtspezifischen Designer-Handtaschen gleich zweifach, als könnte sie so ihre einfache Herkunft auslöschen. Der Originaltitel „L‘Ivresse du pouvoir“ heißt „Machttrunkenheit“. Berauscht gibt sich zwar keiner der Männer in den eleganten Anzügen und mit den teuren Zigarren im Mundwinkel; zur notorischen Selbstüberschätzung neigen sie dennoch. Den Vorstandsvorsitzenden trifft es beim Abstieg in den Hades der Bedeutungslosigkeit besonders hart: Der von den Justizwächtern gedemütigte und von seinen Compagnons in den Reihen der Pariser Regierung geschmähte Sündenbock findet sich in der Psychiatrie wieder, uneinsichtig dessen, welcher kriminellen Handlungen er sich schuldig gemacht haben soll. Zumindest eines Makels ist er sich durchaus bewusst. „Ich war auf keiner der großen Schulen“, sagt er einmal. Dieses Defizit wiegt für ihn schwerer als die Praktiken, mit denen er es in die höchsten Kreise der Macht geschafft hat.
Der ironische Name, den „La Huppert“ diesmal trägt, ist mehr als Programm: Jeanne Charmant-Killman berauscht sich so sehr an der Aufmerksamkeit der Medien, dass sie nicht nur die mächtigsten Männer des Landes gegen sich aufbringt, sondern auch noch ihren eigenen frustrierten Gatten dazu. Radio- und Fernsehinterviews sind ihr wichtiger als das gemeinsame Abendessen. Nicht nur Geld, auch der Starruhm korrumpieren und betäuben den Verstand. Chabrol macht vor seiner Hauptfigur, die kein Leben neben dem Beruf besitzt, nicht halt. Er zeigt die Untersuchungsrichterin anfällig für den Rausch der Macht, wenn sie ihr kleines Büro im Pariser Justizpalast zufrieden gegen ein neues modernes ersetzt bekommt und dabei keinen Hinweis auf Einflussnahme von oben zu entdecken vermag. Rücksichtslos und ehrgeizig verfolgt sie ihre Mission bis zur Selbstzerstörung. Nicht mal der Selbstmordversuch ihres Mannes bringt sie zum Umdenken. Je mehr das Privatleben der unnachgiebigen Jeanne d'Arc der Justizpaläste aus den Fugen gerät, desto mehr schärft sich ihr Killerinstinkt. Sie lässt sich weder wegbefördern noch durch einen fingierten Autounfall einschüchtern, und bleibt doch gegen die Phalanx der ehrenwerten Bosse aus Wirtschaft und Politik machtlos.
Das alles ist nicht neu, aber stimmig inszeniert und durchgespielt. Auch wenn „Geheime Staatsaffären“ vor den üblichen Zutaten eines vorzüglichen Chabrol-Jahrgangs überquillt, gelingt es dem Polit-Thriller nicht durchgehend, den Zuschauer auf seinen Geschmack kommen zu lassen. Gediegen ist das Tempo, zu bekannt der Kosmos des Regisseurs, als dass es einen überraschenden Blickwinkel zu entdecken gäbe. Chabrol bleibt zu sehr in seinem Element; er macht sich über die autoritären Hierarchien und schützenden Rituale der Mächtigen lustig, versäumt es dabei aber gelegentlich, manchen langatmigen Dialog aufs Wesentliche zu kürzen. Und auch seine Hauptdarstellerin, mit der er bereits zum siebten Mal zusammen arbeitet, entgeht nicht immer der Konditionierung auf den herben Frauentypus, den sie bereits in unzähligen Varianten von „8 Frauen“ (fd 35 480) über „Biester“ (fd 31 600) bis zu „Die Klavierspielerin“ (fd 35 070) verkörperte. Dann umspielt plötzlich ein vergnügt mädchenhaftes Lächeln ihre roten Lippen und leuchtet das komödiantische Potenzial einer der besten europäischen Schauspielerinnen der Gegenwart auf, von dem man dem Film gerne mehr gewünscht hätte.
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