- | Tunesien/Iran/Frankreich/Deutschland/Großbritannien 2005 | 98 Minuten

Regie: Nacer Khemir

Der blinde Derwisch Bab' Aziz wandert mit seiner kleinen Enkelin durch die Sahara, um an einem Derwisch-Treffen teilzunehmen. Auf ihrem Weg begegnen ihnen viele andere Menschen, deren Geschichten sich mit der Haupthandlung verflechten. Ein bildgewaltiger, märchenhafter Erzählteppich im Stil von "1001 Nacht", der sich jedoch nicht in bloßem Exotismus erschöpft, sondern sich mit der Tradition des Sufismus auseinander setzt. (O.m.d.U.) - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
BAB' AZIZ - LE PRINCE QUI CONTEMPLAIT SON AME
Produktionsland
Tunesien/Iran/Frankreich/Deutschland/Großbritannien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Les Films du Requin/Behnegar/Pegasos Film/Hannibal Film/Inforg Stúdió/Zephyr Films
Regie
Nacer Khemir
Buch
Tonino Guerra
Kamera
Mahmoud Kalari
Musik
Armand Amar
Schnitt
Isabelle Rathery
Darsteller
Parviz Shahinkhou (Bab' Aziz) · Maryam Hamid (Isthar) · Nessim Kahloul (Zaïd) · Modamed Grayaa (Osman) · Golshifteh Farahani (Nour)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.

Diskussion
Bab’ Aziz, ein blinder, greiser Derwisch, ist mit seiner lebhaften Enkeltochter Ishtar zu Fuß in der Sahara unterwegs. Ziel ist ein Derwisch-Treffen, das alle 30 Jahre stattfindet – wo genau, kann der Alte seiner Enkelin nicht sagen, macht sich deswegen aber keine Sorgen: Wer Glaube und Zutrauen habe, gehe nicht irre. Auf dem Weg begegnen die beiden anderen Reisenden, die entweder auch zu dem Treffen wollen oder aber in anderer Mission unterwegs sind: Da ist z.B. Osman, der einst auf der Flucht vor einem eifersüchtigen Ehemann in einen Brunnen sprang und sich unversehens in einem Palast voller zauberhafter Frauen wiederfand; dann aber blieb er allein in der Wüste zurück, und jetzt sucht er verzweifelt in allen Brunnen nach seinem magischen Schloss. Zaid hat bei einem Wettbewerb geistlicher Gesänge das Herz der schönen Noor gewonnen, doch nach der Liebesnacht ist sie mit seinen Kleidern und Papieren verschwunden, um als Junge verkleidet nach ihrem Vater zu suchen; Zaid hofft nun, sie beim Derwisch-Treffen wiederzufinden. Ein junger Mann sucht nach einem rothaarigen Derwisch, an dem er sich rächen möchte, weil er glaubt, dieser habe seinen Bruder ermordet; dann aber wird er in der Wüste ausgeraubt und ist ausgerechnet auf die Hilfe dessen angewiesen, den er verfolgt. Der Tunesier Nacer Khemir (Jhrg. 1948) lebt hauptsächlich in Paris und hat sich als Bildender Künstler, Schriftsteller und Filmemacher einen Namen gemacht. „Bab’ Aziz“ ist sein dritter Film; seine letzte Arbeit als Regisseur liegt bereits eine Weile zurück: „Das verlorene Halsband der Taube“, in dem es um einen jungen Kalligrafie-Schüler ging, der sich auf die Suche nach den 60 arabischen Begriffen für Liebe macht, entstand 1991. „Bab’ Aziz“ schließt trotz des zeitlichen Abstandes in vielem an den Vorgängerfilm an: Wieder wird die Haupthandlung zum Anlass genommen, einen bunten Teppich an Geschichten auszubreiten, die jeweils unterschiedliche Nuancen ins Gesamtbild einbringen. Wieder geht es nicht zuletzt um die arabische Tradition des Erzählens à la „1001 Nacht“; wieder steht eine Suchwanderung im Mittelpunkt, und wieder sind es vor allem auch die traumhaft schönen Bilder seines Films, die einen in ihren Bann schlagen: Bilder von der Sahara, von den Licht- und Schattenmustern auf den Dünen, über die leise der Wind streicht. Mit der sozialen oder politischen Wirklichkeit des Maghreb hat das wenig zu tun; der Raum, den der Film entfaltet, ist kaum geografisch und zeitlich verortbar. Auf pittoresken Exotismus hat es Khemir dabei nicht abgesehen, vielmehr ist seine Wüste ein ästhetischer und spiritueller Raum, ein Ort für existenzielle Erfahrungen, die über das Alltägliche hinausgehen. Der Film hat im Original den Untertitel „Le prince qui contemplait son âme“. Dieser nimmt Bezug auf eine Episode des Films, die der kleinen Isthar von Bab’ Aziz als Märchen erzählt wird. Sie handelt von einem schönen jungen Prinzen, dessen Leben eines Tages eine völlig neue Wendung nimmt: Er lässt sich dazu verleiten, sein umsorgtes, privilegiertes Dasein, sein luxuriöses Zelt mit Musikanten und Tänzerin zu verlassen und in die Wüste hinauszureiten, einer Gazelle folgend, deren Anblick ihn seltsam zu treffen scheint. Seine Leute halten ihn schon für verloren, bis er doch wieder gesichtet wird: In der Weite der Dünen sitzt er an einer Quelle und starrt ins Wasser. Man könnte meinen, er sinne über sein eigenes Spiegelbild nach, sagt einer, doch ein alter Derwisch, der über den Prinzen wacht, weiß es besser: Nur die, die nicht lieben, sehen im Wasser ihr eigenes Bild; der Prinz aber denke über seine Seele nach, und man solle ihn nicht stören. Später erfahren Ishthar und das Publikum, dass der Prinz nach langer Mediation seinerseits beschließt, ein Derwisch zu werden. Diese Episode, die vage an die Legende von Siddharta/Buddha erinnert, zeigt, dass Khemirs Film sich noch deutlicher als die Vorgängerwerke mit der mystischen Strömung des Islam, mit dem Sufismus auseinandersetzt, dessen Ziel, ganz ähnlich wie im Buddhismus, das Aufgehen des Individuums in Gott ist. Sichtlich faszinieren den Filmemacher der genügsame Lebensstil der Sufis bzw. Derwische und die Friedlichkeit und Toleranz dieser Bewegung, die in Zeiten, in denen „Islam“ oft genug als Synonym für religiösen Fundamentalismus missverstanden wird, ein wichtiges positives Gegenbild bietet. Nicht zuletzt reizt ihn auch der Einfluss des Sufismus auf Dichtung und Musik, die beide in seinem Film gewürdigt werden, und der Score von Armand Amar, der sich an dieser Tradition orientiert, trägt wie die Kameraarbeit von Mahmoud Kalari wesentlich zur Qualität des Films bei. Khemir zeigt sich in „Bab’ Aziz“ einmal mehr als versierter Geschichtenerzähler und Bilderfinder, der den Zuschauer auf eine Reise mitnimmt, die ebenso zur Beschäftigung mit einer fremden Kultur wie zur Meditation über das eigene Leben einlädt.
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