Als seine alleinerziehende Mutter ins Koma fällt, bemüht sich ein 14-jähriger Schüler nach Kräften, das dringend notwendige Wunder zu bewirken. Der Gewinn des legendären Boston Marathons scheint ein probates Mittel. Eine im verklärten Glanz der 1950er-Jahren angesiedelte Tragikomödie mit überzeugenden, wenn auch etwas schablonenhaft gezeichneten Charakteren. Der sehr menschliche Film kann als Liebeserklärung an das Leben und die Jugend verstanden werden, feiert deren Träume und beschwört den Glauben an die eigene Kraft.
- Sehenswert ab 12.
Saint Ralph
Komödie | Kanada 2004 | 98 Minuten
Regie: Michael McGowan
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Filmdaten
- Originaltitel
- SAINT RALPH
- Produktionsland
- Kanada
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Alliance Atlantis/Amaze Film + TV
- Regie
- Michael McGowan
- Buch
- Michael McGowan
- Kamera
- René Ohashi
- Musik
- Andrew Lockington
- Schnitt
- Susan Maggi
- Darsteller
- Adam Butcher (Ralph Walker) · Campbell Scott (Pater George Hibbert) · Gordon Pinsent (Pater Fitzpatrick) · Jennifer Tilly (Schwester Alice) · Shauna MacDonald (Emma Walker)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
„Saint Ralph“ gehört zu jenen Filmen, die sich der nordamerikanischen Geschichte bedienen, ohne sie realistisch beschreiben zu wollen. Statt auf das Mittelalter und die Zeiten von Rittern, Prinzessinnen und Drachen greifen diese modernen Märchen mit Vorliebe auf die 1950er-Jahre zurück und tauchen die biedere Nachkriegsdekade in weiches, nostalgisches Kameralicht. Die bornierte Tugendhaftigkeit und die strengen Erziehungssitten dieses Jahrzehnts stehen dem nicht im Wege, liefern vielmehr die Folie für eine zeitgemäße Variante der archetypischen „bösen Stiefmutter“; häufig eine Heimleiterin oder, wie hier, der Direktor einer katholischen Schule im kanadischen Hamilton.
Pater Fitzpatrick kümmert sich um Regeln, Vorschriften und Strafenkataloge, erst in zweiter Linie um seine Schüler. Der übermütige Ralph, ein aufgeweckter, verträumter 14-jähriger Junge, lässt sich davon nur wenig beeindrucken. Gemeinsam mit seinem besten Freund Chester heckt er Streiche aus oder versucht, einen Blick in die Mädchen-Umkleidekabine zu ergattern. Er führt also ein ganz normales Teenagerleben. Als sich eines Tages Ralphs Mutter einmal mehr über den Unfug ihres Sohnes ärgert, bricht sie zusammen und fällt ins Koma. Ralph, dessen Vater schon seit langem tot ist, fühlt sich schuldig und hat Angst, nun auch noch seine Mutter zu verlieren. Trotz dieser dramatischen Entwicklung bleibt der Film seinem fröhlichen, optimistischen Grundton treu: eine Tragikomödie mit deutlicher Betonung auf „Komödie“. Bizarr bis albern fallen die Versuche aus, mit denen Ralph seine Mutter ins Leben zurückholen will; indem er ihr zum Beispiel eklig riechende Sachen unter die Nase hält. Argwöhnisch beobachtet wird Ralphs Treiben von der koketten Krankenschwester Alice (einer liebevollen Karikatur des dümmlich-erotischen Weibchens vom Typ „Marilyn Monroe“), die glaubt, „nur ein Wunder“ könne Ralphs Mutter jetzt noch helfen. Eine Aussage, die Ralph keineswegs entmutigt. Im Gegenteil: Wenn es ein Wunder braucht, damit seine Mutter aus dem Koma erwacht, dann muss er eben für dieses Wunder sorgen. Fragt sich nur, wie sich so ein Wunder definiert, und vor allem, wie sich eines bewerkstelligen lässt.
In derlei diffizilen, sakralen Angelegenheiten wird Ralph von seinem heimlichen Schwarm beraten. Die naiv-resolute Claire, wie alle Nebenfiguren ironisch überzeichnet, träumt zwar von einem Leben als Nonne, fühlt sich aber augenscheinlich immer stärker zu Ralph hingezogen. Doch erst als Ralph zur Strafe für sein mal wieder ungebührliches Verhalten dazu verdonnert wird, dem Laufteam der Schule beizutreten, erhält er den entscheidenden Anstoß. Sein Lauflehrer, der junge, unorthodoxe Pater Hibbert, der seine Schüler mit Nietzsche-Zitaten konfrontiert, bemerkt süffisant, dass es „ein Wunder wäre“, wenn Ralph den Boston Marathon gewänne. Jetzt weiß Ralph endlich, was er zu tun hat. Wie besessen beginnt er zu trainieren. Pater Hibbert, selbst ein ehemaliger Marathonläufer, erklärt sich bereit, Ralph zu coachen. Schnell erweist sich der Junge als außergewöhnliches Talent, erfolgreich absolviert er seine ersten Rennen, und das Wunder nimmt Gestalt an. Pater Fitzpatrick versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass Ralph am Marathon teilnimmt. Es ist der Boston Marathon 1959; in den USA hat sich die Hexenjagd der McCarthy-Ära gelegt, weshalb es den Filmemachern wohl leichter fällt, die konkrete Vergangenheit grenzüberschreitend in jene abstrakte, zeitlose Epoche zu verwandeln, in der das Wünschen noch geholfen hat. Warmherzig, geduldig und stets wie mit einem Lächeln auf den Lippen erzählt, ist „Saint Ralph“ eine Liebeserklärung an das Leben, die Jugend, ihre Träume, die Hoffnung und nichts weniger als die Menschheit, oder besser: die Menschlichkeit. Der karikierende Blick auf die Figuren streicht zwar deren Schwächen, Ticks und Unzulänglichkeiten heraus, ohne sich aber über diese lustig zu machen. Vielmehr werden die Protagonisten erst dadurch liebenswert, dass der Film mit einem breiten Schmunzeln ihre empfindlichsten Seiten offenbart. Die Charaktere funktionieren nicht als psychologisch durchdachte Personen, sondern als Typen: Menschen wie du und ich im humanistischen Vergrößerungsglas. Bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt und mit Adam Butcher, einem charmant-frechen Schlaks als Hauptfigur, trägt das Ensemble entscheidend dazu bei, dass hinter dem märchen- und klischeehaft schönen, irrealen Vorhang, den der Film entfaltet, das wirkliche Leben hindurchschimmert, als ein Leben, wie es sein könnte, wenn man – ähnlich wie Ralph – alltäglich bereit wäre, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten an Wunder zu glauben.
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