Durchfahrtsland

Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 94 Minuten

Regie: Alexandra Sell

Langzeitbeobachtung in zwischen Köln und Bonn gelegenen Dörfern, deren Bewohner ihre Vorurteile pflegen und ihre Gemeinschaften klar voneinander abgrenzen. In langen Einstellungen komponierter Dokumentarfilm im Stil einer ethnografischen Studie, deren allwissender Erzählstimme das Staunen über das Gesehene anzuhören ist. Die Personen werden nie bösartig entlarvt, vielmehr stellen sich ihre unspektakulären Schicksale wie Motive aus einer seltsamen Märchenwelt dar. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
2Pilots Filmproduktion/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Alexandra Sell
Buch
Alexandra Sell
Kamera
Justyna Feicht · Henning Drechsler
Musik
Kreidler
Schnitt
Daniela Drescher
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
In Alexandra Sells Doku-Debüt „Durchfahrtsland“, einer Art Heimatfilm mit umgekehrten Vorzeichen, hat die Spezies des deutschen Kleinbürgers, bekanntlich mit Vorliebe in der Provinz angesiedelt, ihren großen Auftritt. Die Regisseurin, Absolventin der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM), setzt ganz auf die sozio-kulturelle Unterscheidung zwischen „Stadt“ und „Land“ und findet das Objekt ihrer Neugierde im Vorgebirge zwischen Köln und Bonn, in zwei erzkonservativen katholischen Nachbardörfern, die inmitten eines von Fabriken und Ölraffinerien zersiedelten Landstrichs archaisch anmutende Fehden austragen. Einer der Porträtierten ist der Pfarrer Hans Wilhelm Dümmer, ein Zugereister, der sich seit Jahren aufopferungsvoll bemüht, die vorherrschenden Vorurteile gegenüber den anderen Gemeinden abzubauen. Als er die Fronleichnamsprozession zusammenlegen möchte, stößt er auf die Weigerung der Einheimischen, ihren Fuß auf fremdes Terrain zu setzen. Erst mit einer Wallfahrt nach Lourdes schafft er eine Annäherung zwischen den Bewohnern der Nachbardörfer, von denen manche noch nie ein Wort miteinander gewechselt haben. Je mehr Raum die umliegenden Städte beanspruchen, desto mehr scheinen die Landmenschen ihre regionale Identität durch Abgrenzung stärken zu wollen. Stolz und trotzig kultivieren sie ihre Marotten, Werte und Feindbilder und erscheinen als Teil einer verschworenen Gemeinschaft, die das Fortschreiten der Zeit außerhalb ihres Wohngebiets stur nicht zur Kenntnis nimmt. Als Langzeitstudie angelegt, nähert sich der Film mit Vorliebe für langatmige Einstellungen und einer eher ethnografisch als sachlich motivierten Beobachtungshaltung den Ritualen dieser dörflichen Parallelwelt, begleitet von einer allwissenden Erzählstimme, der das Staunen über das Gezeigte deutlich anzumerken ist. Junggesellenvereine ersteigern nach alter Sitte Jungfrauen; die exzentrische Krimiautorin Sophie Rey liefert ihre lokal verorteten Romane mit dem Auto selbst im Supermarkt ab; uniformierte Mitglieder des Tambour-Chors machen die Gegend mit lautstarken Gruppenauftritten unsicher. Ansonsten regiert chronische Trägheit über diesem aus der Zeit gefallenen Durchfahrtsland, in das sich kein Großstädter freiwillig verirrt. Wenn es einer der Dorfbewohner wagt, das Ortsschild hinter sich zu lassen, packt ihn bald das Heimweh, wie den Schüler Mark Basinsky, der von einer Karriere als Modedesigner träumte und dafür an einem Berufskolleg in Köln teilnahm, um nur wenig später enttäuscht dem Stadtleben den Rücken zu kehren und am angestammten Platz als Florist zu arbeiten. Unspektakuläre Schicksale wie diese verwebt der Film mit Motiven aus der Märchenwelt, sodass man bisweilen glaubt, unbedarften Junggesellen bei ihren Bewährungsproben in einer bedrohlich modernen Welt zu assistieren – das suggerieren zumindest die Off-Kommentare, die einen konstant ironisch-heiteren Tonfall pflegen. Diesem dramaturgischen Kniff verdankt die jedes Risiko scheuende Studie bis zum Schluss ihre Dynamik, denn ohne diese Stilisierung käme schnell die Frage auf, ob sie mehr zeigt als das, was man ohnehin schon über die Monotonie und Weltabgewandtheit des deutschen Provinzlebens weiß. Anbetracht eines städtischen Kinopublikums ist es nicht schwer, einen Konsens darüber herzustellen, dass man sich die hier vorgeführten Dorfbewohner nicht als Nachbarn wünscht. Aber richtig unangenehm oder gar bösartig entlarvend, wie es etwa die österreichischen Alltagschronisten vom Schlage eines Ulrich Seidel sind, gibt sich der Film nie, womit er harmoniesüchtiger und provinzieller ist, als er es selbst von sich glaubt.
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