In fernöstlichen Kampfkunst-Filmen gab es stets Helden mit übermenschlichen Fähigkeiten, und die Renaissance des Hongkonger Kinos in den 1980er-Jahren beruhte zum guten Teil auf atemberaubenden ästhetischen Exzessen. Die Mittel, die dafür zur Verfügung standen – Trampolins und Drahtseile, Kostüm und Dekor, Weitwinkel und Farbfilter – , ließen sich nur bis zu jenen Grenzen nutzen, die von der Schwerkraft und der Finanzkraft gesetzt waren. Dank digitaler Technik sind den Übertreibungen inzwischen kaum noch Grenzen gesetzt: In „Hero“
(fd 35 972) und „House of Flying Daggers“
(fd 36 861) hat sich Zhang Yimou im Computer generierter Bilder mit so bestechender Konsequenz bedient, das kaum noch vorstellbar scheint, wie dies zu übertrumpfen wäre. Vor dem Hintergrund ist es umso überraschender, zu welch gegensätzlichen Zwecken digitale Effekte in „Kung Fu Hustle“ eingesetzt werden: In dieser vergnüglichen „Martial Arts“-Komödie mutieren Menschen zu Comic-Figuren, indem sie vorübergehend die Gestalt einer riesigen Kröte annehmen oder nach einem kräftigen Tritt eines Bösewichts so hoch fliegen, dass sie im Himmel Buddha erblicken. Dabei lässt der Humor die schadenfrohe Gemeinheit alter Cartoons erkennen, wenn der Protagonist buchstäblich unangespitzt in den Boden gerammt wird. Die Produktion, an der auch die asiatische Dependance von Columbia beteiligt war, hat die für örtliche Verhältnisse gigantische Summe von 20 Mio. Dollar gekostet, nahm vier Monate Drehzeit und mehr als ein Jahr für die Postproduktion in Anspruch. Auf den asiatischen Kinomärkten wurden diese Investitionen bereits wieder eingespielt; in der Region ist Hauptdarsteller, Regisseur, Co-Autor und Co-Produzent Stephen Chow ohnehin ein absoluter Megastar. Sein Film „Shaolin Soccer“
(fd 36 378) wurde an Hongkongs Kinokassen der dritterfolgreichste Film aller Zeiten.
Der Plot des Films ist zwar denkbar dünn, aber für eine Hongkonger Komödie ungewöhnlich sorgfältig gestrickt. Dabei lässt sich die Handlung als Umkehrung von „Die Unglaublichen“
(fd 36 818) lesen: Hier bedauern die Superhelden, dass sie nicht im kollektiven Mittelmaß aufgehen können. Handlungsort ist das Shanghai der 1940er-Jahre, wo sich der Kleinganove Sing und sein Faktotum Gu als Mitglieder der berüchtigten Axt-Gang ausgeben, um kleine Leute zu erpressen. Bei den Bewohnern eines ärmlichen Wohnblocks sind sie mit dieser Tour an der falschen Adresse, denn die dort wohnenden Bäcker, Schneider und Lastenträger entpuppen sich als verkappte Kampfkunstmeister. Als die vermeintlichen Gangster von solch unscheinbaren Habenichtsen vertrieben werden, ruft dies die wirkliche Axt-Gang auf den Plan, die ihren Ruf gefährdet sieht. Im Auftrag von Gangsterboss Sum machen zwei blinde Musikanten mit magischen Harfenklängen dem Bäcker, Schneider und Lastenträger den Garaus – nur um sich mit weiteren heimlichen Kampfkunstmeistern konfrontiert zu sehen. Also zwingt die Axt-Gang Sing dazu, den angeblich größten Meister aus einer „Klapsmühle“ zu befreien, um des so genannte Biest für die finale Konfrontation zu rekrutieren.
Manche Szenen dieses hübschen Klamauks lassen Anspielungen auf „Matrix“
(fd 33 720), „Kill Bill“
(fd 36 195) oder „Gangs of New York“
(fd 35 802) erkennen. Vor allem aber erweist Chow der lokalen Filmtradition seine Reverenz: Die enge, vor den Toren Shanghais akribisch nachgebaute Mietskaserne, in der der Film größtenteils spielt, und die Streitigkeiten des Vermieter-Ehepaares untereinander sowie mit seinen Mietern erinnern an Chor Yuen „House of 72 Tenants“ (1973), einen Klassiker des Hongkonger Kinos. Mehrere Nebenfiguren werden von lokalen Altstars gespielt, und für die wichtigen Nebenrollen des „Biests“ sowie der streitsüchtigen, kettenrauchenden und stets Lockenwickler tragenden Vermieterin hat Chow mit Leung Siu Lung und Yuen Qiu zwei Schauspieler reaktiviert, die sich bereits in den 1980er- bzw. 1970er-Jahren vom Filmgeschäft zurückgezogen hatten. Ironischerweise sind denn auch die Qualitäten, die von dem Digitaleffekt-Spektakel am nachdrücklichsten in Erinnerung bleiben, ganz altmodischer Natur: Yuen Wo Ping, der auch in „Tiger & Dragon“
(fd 34 652) Kampfszenen choreografierte, setzt die Action so klar in Szene, dass an den akrobatischen Fähigkeiten der Darsteller trotz deren vorgerückten Alters keine Zweifel bleiben. Und wenn Sing unter der Ungeschicklichkeit von Gu im Umgang mit Wurfmessern leiden muss, ist das lustiger als alle digitalen Cartoon-Effekte.