Die zweite Hälfte der Nacht

- | Italien 2004 | 89 Minuten

Regie: Davide Ferrario

Der Nachtwächter des Turiner Filmmuseums, der in Sachen Gelassenheit seinem großen (Stummfilm-)Vorbild Buster Keaton nacheifert, verliebt sich in die Freundin eines Kleinkriminellen und findet sich bald in eine tragische Dreiecksbeziehung verstrickt. Eine melancholisch-komische Geschichte, deren ironischer Off-Kommentar auf reizvolle Weise die Mechanik des Erzählens bewusst macht. Die mit zahlreichen filmischen Stilmitteln virtuos jonglierende Erzählung über die heilsame Macht der Träume verdichtet sich zu einer faszinierenden Liebeserklärung an das Kino. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DOPO MEZZANOTTE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Rossofuoco
Regie
Davide Ferrario
Buch
Davide Ferrario
Kamera
Dante Cecchin
Musik
Daniele Sepe · Banda Ionica · Fabio Barovero
Schnitt
Claudio Cormio
Darsteller
Giorgio Pasotti (Martino) · Francesca Inaudi (Amanda) · Fabio Troiano (L' Angelo) · Francesca Picozza (Barbara) · Silvio Orlando (Erzähler)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Man kann Geschichten über ihre Figuren erzählen: Da ist Angelo, genannt „Der Engel“, der zu Beginn nachts mit einem Motorrad am Straßenrand halt macht und sich vor das beleuchtete Schaufenster eines Autohändlers sinken lässt. Er hat eine Schusswunde. Nun will man natürlich wissen, wie es zu dieser Verletzung gekommen ist, vorher aber müssen noch zwei andere Figuren eingeführt werden: Amanda, die Freundin des „Engels“, die einem tristen Job in einem Turiner Fast-Food-Laden nachgeht und von ihrem Liebhaber weder Treue noch allzu viel Zuwendung erwarten kann; und schließlich Martino, ein stiller, einsamer junger Mann, der – wie man später hört – gerne die Dinge aus der Distanz betrachtet. Was allerdings dazu führt, dass er oft nicht sieht, was direkt vor seiner Nase ist, und über die eigenen Füße stolpert. Man kann Geschichten aber auch über Orte erzählen: über die Straßen des öden Örtchens bei Turin, wo Amanda und der Engel leben. Oder über das Turiner Filmmuseum. Martino arbeitet hier als Wächter, und bei Nacht ist der große, magische Kuppelbau sein eigenes Reich: ein Grenzland zwischen den elektrischen Träumen der Filmgeschichte und den Träumen des Filmliebhabers Martino. Dem scheuen jungen Mann bietet dieser Raum mit seinen spiralförmigen Treppen, seinen Winkeln, Lichtern und Schatten eine geschützte Zone, in der er sich seinen Filmwirklichkeiten widmen kann. Sein Kontakt mit der Außenwelt erfolgt vor allem von der Kuppel des Museums aus, wo er aus sicherer Entfernung auf das städtische Gewimmel hinabschauen kann, oder durchs Objektiv einer kleinen Kamera, die er stets mit sich führt, wenn er das Museum verlässt. Doch dann sucht Amanda Zuflucht bei ihm, als sie wegen Handgreiflichkeiten gegen ihren Chef von der Polizei gejagt wird. Sie freundet sich mit Martino an und lässt sich in seine Film-Welt einführen. Schließlich verlieben sich die beiden. Doch auch der Engel vergisst seine Freundin nicht; er schützt sie vor der Polizei und sorgt mit nicht ganz legalen Mitteln dafür, dass die Anklage gegen sie fallen gelassen wird. Darauf, dass er nun in Martino einen Konkurrenten um Amanda hat, reagiert er irritiert, aber nicht gewalttätig. Amanda weigert sich, einem der beiden Männern den Vorzug zu geben – Beginn einer seltsamen menage à trois, die nicht von langer Dauer ist. Davide Ferrario entfaltet in bestechend schönen HD-Bildern ein Spiel um die Grenzen zwischen Traum und wirklichem Leben. Eine Stimme aus dem Off leitet die Zuschauer als sanfter, mild-ironischer Kommentator durch die Geschichte der drei tragikomischen Helden. Außerdem nimmt sich der Film die Zeit, Blicke auf die Figuren am Rande zu werfen – z.B. auf Amandas Freundin und Mitbewohnerin, die auch in den Engel verliebt ist, auf einen ehemaligen Klassenkameraden Martinos, der sich über seine zunehmende Kahlköpfigkeit beklagt, oder Martinos Cousin Maurizio, der auf Monica Bellucci „steht“. Sequenzen aus Stummfilmen, die direkt in die filmische Gegenwart übergehen oder diese komisch kommentieren, an den Stummfilm erinnernde Erzählmittel wie Kreisblenden sowie ausführliche Erläuterungen der Off-Stimme zur Mechanik des Erzählens machen stets bewusst, dass man es mit einer imaginierten Geschichte, mit einem Film zu tun hat – und erzählen gleichzeitig von der heilsamen Macht, die Filme, Geschichten, Träume haben können, wenn man nur wagt, ihnen auch im realen Leben Raum zu geben. Martinos filmgeschichtliches Alter Ego ist denn auch „Stoneface“ Buster Keaton, der in seiner Unbedarftheit und Weltfremdheit immer in Schwierigkeiten gerät, dank seiner Zähigkeit und seiner ungewöhnlichen Herangehensweise an Probleme aber immer wieder die Regeln des realen Lebens und der Wahrscheinlichkeit austrickst. Als Martino schließlich sein Museum verlässt, um den Kampf um Amanda aufzunehmen, und sich dabei den unbeirrbaren Stummfilm-Helden zum Vorbild nimmt, bahnt er sich damit den Weg zum Happy End. „Die zweite Hälfte der Nacht“ ist nicht zuletzt eine wunderschöne tragikomische Reflexion über die Notwendigkeit des Geschichtenerzählens und die Unsterblichkeit des Kinos.
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