Dokumentarfilm über zerstörte Kindheit und geraubte Unschuld im Umfeld des Tschetschenien-Krieges. Die Regisseurin verknüpft drei Episoden aus einer Kronstadter Kadettenschule, aus Grosny und Inguschetien zu einem Requiem, das seine Kraft vor allem aus dem Zusammenspiel atmosphärisch starker Bilder und einer klagenden Musik bezieht. Der Film verzichtet weitgehend auf einen Kommentar und versteht es, trotz der Fülle an Leiden mit einigen Bildern einen Hoffnungsschimmer anzudeuten.
- Sehenswert.
The 3 Rooms of Melancholia
Dokumentarfilm | Finnland/Dänemark/Deutschland/Schweden 2004 | 109 Minuten
Regie: Pirjo Honkasalo
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE THREE ROOMS OF MELANCHOLIA | MELANCHOLIAN KOLME HUONETTA
- Produktionsland
- Finnland/Dänemark/Deutschland/Schweden
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Millennium Film/Baabeli/LG Film/Magic Hour Films/MA.JA.DE Films
- Regie
- Pirjo Honkasalo
- Buch
- Pirjo Honkasalo
- Kamera
- Pirjo Honkasalo
- Musik
- Sanna Salmenkallio
- Schnitt
- Nils Pagh Andersen · Pirjo Honkasalo
- Länge
- 109 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Die kritische Wahrnehmung des Tschetschenien-Kriegs wird hierzulande immer geringer: Die große Politik hält sich aus diplomatischen Gründen zurück, und das erst recht, seitdem der russische Staatschef Wladimir Putin den Militäreinsatz in der südlichen Teilrepublik als Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“ kaschierte. Presseagenturen, Fernsehen und Zeitungen melden zwar hin und wieder einzelne Ereignisse, die mit dem Krieg verbunden sind, verzichten aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf regelmäßige Berichte über Hintergründe und Folgen für die Zivilbevölkerung. Bleibt der Dokumentarfilm, dessen Pflicht es sein muss, mit seinen Mitteln eine Öffentlichkeit zu schaffen. Tatsächlich liefen auf der „Berlinale“ 2005 zwei aktuelle Arbeiten zum Thema: Tamara Trampes und Johann Feindts „Weiße Raben“ über junge russische Männer, die körperlich und seelisch zerstört aus dem Einsatz in Tschetschenien zurückkehren; und Eric Bergkrauts „Coca: Die Taube aus Tschetschenien“ über eine mutige Frau, die Zeitzeugenberichte dokumentiert und ins Ausland schafft. Beide Filme, der eine aus Deutschland, der andere aus der Schweiz, verwenden vor allem publizistische Mittel, um sich politisch-moralisch zu engagieren.
„The 3 Rooms of Melancholia“ verdichtet und überhöht das Material dagegen zu einem kunstvollen Requiem. Der Film entfaltet seine Kraft vor allem aus der Verknüpfung von atmosphärischen Bildern und ihrer kammermusikalischen Begleitung, wobei von den Klagegesängen des Countertenors Risto Joost ein wesentlicher Teil der Trauerstimmung ausgeht. Der Kommentar ist auf ein Minimum reduziert, beschränkt sich auf biografische Informationen zu einigen Personen. Erklärungen über Kriegsgründe und -abläufe werden ausgespart; der Filmtext vertieft ausschließlich das, was konkret abgebildet ist. Dieser verbale Minimalismus trägt dazu bei, beim Zuschauer Räume für eigene Gedanken und Empfindungen freizusetzen, wobei die von der Regisseurin geschaffene filmästhetische Konstruktion die Richtung vorgibt, in die die Gefühle des Zuschauers gelenkt werden. „The 3 Rooms of Melancholia“ ist ein Film über zerstörte Kindheit und geraubte Unschuld. Pirjo Honkasalo, die auch die Kamera führte, gibt ihm die Form eines Triptychons und nennt dessen einzelne Tafeln „Die Sehnsucht“, „Die Atmung“ und „Die Erinnerung“. „Die Sehnsucht“ führt in eine Kadettenschule in Kronstadt, eine bis vor kurzem für Außenstehende unzugängliche Festungsinsel bei St. Petersburg. Der Film zeigt, zunächst flächig, den Tagesablauf der zehn- bis 14-jährigen Jungen, die dort zu Soldaten ausgebildet werden: Wecken, Antreten, Exerzieren, Sport, Schießen. Aus der Gruppe hebt die Regisseurin dann den einen oder anderen heraus, umreißt kurz deren – oft schreckliche – Biografien: verlorene Seelen, denen der Staat zum ersten Mal ein geregeltes Leben ermöglicht: Dass es ein Leben ist, das auf Hass und Töten zielt und ganz speziell auf die Liquidierung „tschetschenischer Feinde“ ausgerichtet ist, überblicken die Kinder natürlich nicht – und doch scheint die tiefe Trauer, die von ihren Blicken ausgeht, nicht nur das Vergangene, sondern auch das Zukünftige schon mit einzuschließen.
„Die Atmung“ wurde heimlich in Grosny aufgenommen: Die Kamera fährt an unendlichen Ruinenlandschaften vorbei und besucht dann, gemeinsam mit der im Nachbarland Inguschetien lebenden Hadiz, eine kranke Frau und deren drei kleine Kinder. Der Vater ist tot, seine Familie lässt nichts von sich hören. Zu sehen ist, wie Hadiz die weinenden Kinder an sich nimmt und aus der zerstörten Stadt bringt. „Die Erinnerung“ führt dann in das inguschetische Flüchtlingslager, in dem sich Hadiz um die ihr Anvertrauten kümmert. Wieder hebt die Regisseurin das Schicksal einiger Kinder aus der Menge heraus: eine Elfjährige, die mehrfach vergewaltigt wurde; oder ein Zwölfjähriger, den seine Mutter aus einem Fenster im achten Stock werfen wollte. Im eindringlichen letzten Bild, das den Film gleichsam noch einmal zusammenfasst, blickt man in die oft alten Gesichter der Heranwachsenden – und hört Flugzeuggeräusche und Geschützdonner.
Dass die Beklemmung, die von diesem Film ausgeht, beim Zuschauer nicht nur in pure Hoffnungslosigkeit mündet, hat mit einigen Szenen zu tun, die das Schreckliche konterkarieren: ein kleines Mädchen, das im verwüsteten Grosny vor seiner Tür zu kehren versucht; oder junge Kadetten, die sich trotz aller Zwänge auch das Träumen erlauben oder einfach nur spielen. Es sind Bilder, die die verlorene Kindheit wenigstens für Sekunden in Erinnerung rufen. Wie in „Weiße Raben“ und „Coca: die Taube aus Tschetschien“ wird auch hier der Krieg als vorwiegend von Männern gemacht definiert, während Frauen mit ihrer Scham und ihrem Schmerz oft allein bleiben, nach Formen der Gegenwehr suchen und zur Solidarität mit noch Schwächeren bereit sind.
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