La Mala Educación - Schlechte Erziehung

Drama | Spanien 2003 | 106 Minuten

Regie: Pedro Almodóvar

Ein Erfolgsregisseur begegnet im Madrid der 1980er-Jahre einem angeblichen ehemaligen Internatsfreund, der ihn mit einer Novelle um einen Transvestiten bekannt macht. Diese wirft ihn in seine eigene Kindheit zurück und konfrontiert ihn mit Messen in Latein, Fußballspielen und Übergriffen durch einen Priester, aber auch mit der Initiation ins Kino. Pedro Almodóvar erzählt in Bildern von atemberaubender Schönheit eine düstere, vom "film noir" inspirierte Geschichte, wobei die "femme fatale" in diesem Fall ein junger Mann ist, der seine erotische Verführungskraft skrupellos einsetzt. In dicht verwobenen Erzählsträngen nähert sich der Film einer intimen Vergangenheit in der Möglichkeitsform; mehrfach spiegelt er die sexuelle Identität der Figuren und löst neben der Schaulust eine nachdenkliche Trauer aus. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA MALA EDUCACION
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Canal+ España/El Deseo/TVE
Regie
Pedro Almodóvar
Buch
Pedro Almodóvar
Kamera
José Luis Alcaine
Musik
Alberto Iglesias
Schnitt
José Salcedo
Darsteller
Gael García Bernal (Angel/Juan/Zahara) · Fele Martínez (Enrique Goded) · Daniel Giménez Cacho (Pater Manolo) · Lluís Homar (Señor Berenguer) · Javier Cámara (Paca/Paquito)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (1:2.35/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
Enrique Goded ist ein junger, erfolgreicher Regisseur, der in Madrid Anfang der 1980er-Jahre lebt und nach einer neuen Geschichte für seinen nächsten Film sucht. Wie in „Mein blühendes Geheimnis“ (fd 31 791) wird man Zeuge eines kreativen Arbeitsprozesses, wenn Regisseur und Produzent erfolglos die vermischten Meldungen der Zeitungen auf der Suche nach einer Filmgeschichte durchforsten. Ein steif gefrorener, stundenlang auf seinem Motorrad sitzender Toter, der durch die Wüste fährt? Eine Todessüchtige, die sich mit offenen Armen in ein Becken mit Krokodilen wirft? Hier ist man bereits im schrillen und surrealen Universum des spanischen Bildmagiers Pedro Almodóvar angelangt. Mitten in diesem Prozess des Anfangens, der frühzeitig die Möglichkeit einer Krise spiegelt, tritt ein junger Mann in Godeds Büro, der sich als sein ehemaliger Internatsfreund Ignacio Rodriguez ausgibt. Er hat eine Novelle mitgebracht, die den Titel „La visita“ (Der Besuch) trägt. Enrique beginnt mit der Lektüre und wird durch die Geschichte um den Transvestiten Zahara in seine eigene Kindheit zurückgeworfen: die Messen in Latein, die Fußballspiele im Internat, die Übergriffe durch den Schulleiter Priester Manolo und parallel dazu die Initiation ins Kino, wofür die spanische „femme fatale“ Sara Montiel steht. Die Novelle führt die drei Hauptfiguren Enrique, Ignacio und Priester Manolo Jahre später wieder zusammen und lässt die Begegnung tragisch enden. Diese Leseerfahrung bringt die Begegnung zwischen dem Filmregisseur und seinem Jugendfreund, der Schauspieler ist und unbedingt die Rolle der Zahara im Film übernehmen möchte, in Bewegung. Die Begegnung ist für beide eine schmerzhafte Erfahrung und spitzt sich zu, als Enrique entdeckt, dass Ignacio bereits seit drei Jahren tot ist. Durch die Arbeit am Film versucht er, das Geheimnis seines Hauptdarstellers zu lüften. Doch die Aufdeckung öffnet neue, tödliche Abgründe.

„Ich werde immer ernster und wohl auch immer trauriger“, sagt Almodóvar, rückblickend auf seine cineastische Entwicklung. Seit „Alles über meine Mutter“ (fd 33 929), dem komplexen Drama über Mutterbeziehung, Leben, Sehnsucht und Tod, hat sich der spanische Erfolgsregisseur immer weiter auf existenzielle Fragen und gesellschaftliche Befindlichkeiten eingelassen. „Sprich mit ihr“ (fd 35 514) richtete sich auf die Frage der Kommunikation in der Beziehung zwischen Mann und Frau sowie auf die existenzielle Erfahrung der Einsamkeit. In „La Mala Educación – Schlechte Erziehung“ wendet er sich nun den Schatten zu, die Kirche und Staat noch immer auf die in den 1970er-Jahren einsetzende Befreiungsbewegung „movida“ werfen. Almodóvar ist sich bewusst, dass er als Avantgardist die künstlerische Aufbruchbewegung in Spanien vorantrieb, die nach dem Tod von Franco das Kulturleben in den Städten explodieren ließ. „Ich glaube nicht an Gott, ich bin Hedonist“, antwortet der kleine Klosterschüler auf die bange Frage seines Lehrers, ob es nicht Sünde sei, im dunklen Kino miteinander zu fummeln. Der vorlaute Schüler entwickelt sich zum „enfant terrible“ und erfolgreichen Jungregisseur. Almodóvar weiß aber auch um die Schattenseiten des künstlerischen und sexuellen Aufbruchs. Sein Partner in der Sündenfrage, Schulfreund und Jugendliebe, wird bereits tot sein, wenn der Film mit dem jungen Starregisseur eröffnet. So wird die Suche auf der Nachtseite zu einem ständigen Prozess der Selbstbefragung und der Kritik an einem gesellschaftlichen Ausschlussmechanismus: Die Entfesselung der „movida“ führte auch in zerbrochene Existenzen, die an der Sucht nach Provokation, Sex, Drogen, an Identitätsverlust, Sex- und Gender-Verirrungen gescheitert sind.

„La Mala Educación – Schlechte Erziehung“ verwendet Genreelemente des „film noir“, um das Publikum der dunklen Vergangenheit auszusetzen. Die Verstrickung beginnt mit dem Besuch des Jugendfreundes Ignacio, der sich jedoch als „femme fatale“ entpuppt und die Hauptfigur immer weiter in einen Strudel hineinzieht. Die Erzählung „La visita“ dient dabei als Auslöser. So ist man denn mit den ersten imaginierten Toten mitten in einem Film, der erst ein mögliches Drehbuch ist, das vorerst noch geschrieben werden muss und sich zu einem Film entwickeln kann. Es ist der Anfang eines Films von einem Film im Film, und die Hauptfigur blickt zurück, um sich in dieser Struktur zu verfangen: im Transzendenz-Potenzial der Transsexualität, in der schillernden Figur des schönen jungen Macho als „femme fatale“, im „film noir“ mit melodramatischen Zügen. Auffallend ist die ausgeklügelte Symmetrie und Struktur von gebrochenen Perspektiven und Zeitebenen. In diesem System besteht eine emotionale Kälte und Distanz, die für den leidenschaftlichsten der zeitgenössischen Regisseure auffallend ist. Mit Angel, dem Racheengel, der sich auf keine Beziehung einlässt und andere für seine Zwecke missbraucht, geht der Moralist Almodóvar hart ins Gericht. Ob die dargestellte intime Vergangenheit autobiografisch ist oder nicht, spielt keine große Rolle mehr. Mit der komplexen Erzählung in Möglichkeitsform entführt einen der spanische Meister bereits in eine Welt der fließenden Übergänge zwischen Macht und Ohnmacht, Liebe, Sex und Missbrauch. Hier sind die Schicksale so schwarz, dass man sich in den Abgründen der „film noir“-Figuren heillos verstrickt.

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