Memoria del Saqueo - Chronik einer Plünderung

Dokumentarfilm | Argentinien/Frankreich/Schweiz 2004 | 118 Minuten

Regie: Fernando E. Solanas

Fernando E. Solanas, einer der Altmeister des lateinamerikanischen Kinos, analysiert die Ursachen und Symptome der wirtschaftlichen und sozialen Krise Argentiniens. Sein Dokumentarfilm ergreift vehement Partei für die Opfer politischer und sozialer Ungerechtigkeit vom Militärputsch 1976 bis in die Gegenwart, und schildert in einzelnen Kapiteln den gigantischen Ausverkauf eines Landes. Über das Beispiel Argentiniens hinaus beklagt er die fatalen Auswirkungen einer neoliberal kapitalistischen Weltwirtschaft. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MEMORIA DEL SAQUEO
Produktionsland
Argentinien/Frankreich/Schweiz
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Thelma Film/Cinesur/ADR Prod./TVR Suisse Romande
Regie
Fernando E. Solanas
Buch
Fernando E. Solanas
Kamera
Alejandro Fernández Mouján · Fernando E. Solanas
Musik
Gerardo Gandini
Schnitt
Juan Carlos Macías · Fernando E. Solanas · Sebastián Mignogna
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Die tragische Geschichte Argentiniens vom Ende des Peronismus über die brutale Militärdiktatur und die Jahre des neoliberalen Ausverkaufs bis hin zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes wurde von außen entweder als Menetekel für die Implosion des kapitalistisch-parlamentarischen Systems betrachtet – oder als Konsequenz eines spezifischen argentinischen Sonderweges. Straßenkämpfe und brutale Polizeieinsätze, an Unterernährung sterbende Kleinkinder, eine Nation im Aufstand, ein Land im Ausnahmezustand: Fernando Solanas, einer der militanten, politisch engagierten Altmeister des argentinischen Films, analysiert in seinem Dokumentarfilm „Historia del Saqueo“ die Ursachen und Symptome dieser schweren Krise im Kontext des täglichen Widerstandes: „Das Volk weicht nicht zurück, rufen sie – es sind Arbeiter, Hausfrauen, Angestellte, Rentner und Studenten –, die Erben jener, die jahrzehntelang gegen Diktaturen und Verfolgungen gekämpft haben.“ Persönlich kommentiert er die suggestiven und schockierenden Bilder einer 20-jährigen Entwicklung, die in einer „Mafiakratie“ mündete, dem neoliberalen Ausverkauf seines Landes. Solanas zählte in den 1960er- und 1970er-Jahren neben dem Brasilianer Glauber Rocha und dem Kubaner Julio Garcia Espinosa zu den wichtigsten Figuren des „Nuevo Cine Latinoamericano“, das sich vehement gegen die Erzählstrukturen Hollywoods wandte und für einen neuen sozialen Realismus eintrat, für eine filmische Analyse der sozialen und politischen Misere des Subkontinentes. 40 Jahre später stellt sein neuer Film gewissermaßen eine Rückkehr zu seinen Anfängen dar, denn 1967 schuf er mit seinem Dokumentarfilm „Die Stunde der Hochöfen“ eine bewegende Anklage der sozialen Ungerechtigkeit am Rio de la Plata. „Memoria del Saqueo“ spitzt dies nun drastisch zu, denn seither, so Solanas, habe sich die Situation dramatisch verschlechtert. 53 Prozent der Argentinier lebten heute unter der Armutsgrenze; die Armut in „Die Stunde der Hochöfen“ wirke in der Rückschau wie ein Prolog, wie die Einführung in den sozialen Völkermord der 1990er-Jahre. „Memoria del Saqueo“ ist dezidiert parteiisch. Solanas versucht sich an keiner „dokumentarischen Pseudoobjektivität“, seine zornige Stimme lässt den argentinischen Albtraum von 1976 bis 2001, vom Putsch der Militärs bis hin zum Sturz der Regierung von Präsident Fernando la Rúa, durch Archivmaterialien und Zeugenaussagen lebendig werden; etwa die Episode, bei der der Regisseur selbst beinahe ums Leben kam: Von 1993 bis 1997 saß er als linker Abgeordneter im Parlament, wobei er nur knapp einen Anschlag überlebte – mit sechs Kugeln im Bein. Konzentriert didaktisch erzählt der Film die Geschichte eines erst langsamen, dann galoppierenden Zusammenbruchs in einzelnen Kapiteln: „Historia de una traición“ („Die Geschichte eines Verrates von Alfonsín zu Menem“), „La deuda eterna“ („Die Auslandsschulden“) und „El remate del petróleo“ („Der Öl-Joker“) schildern den gigantischen Ausverkauf der nationalen Ressourcen eines Landes, das einst zu den reichsten Ländern der Welt zählte. Ein Ausverkauf von Rohstoffen, Grundbesitz, Infrastruktur und Kommunikationsmittel an ausländische Anleger, in Komplizenschaft mit einer korrupten Elite, die Solanas in bestechenden Bildern dokumentiert. „Memoria del Saqueo“ ist kein subtiler Film und schon gar keine teilnehmende Beobachtung, sondern ein Meisterwerk der politischen Agitation, ganz auf der Linie von Esfir Shubs oder Santiago Alvarez, ein Diskurs zur Wiedererlangung der kollektiven Erinnerung und einer Ethik des Miteinanders. Ein Film, der weit über das konkrete Beispiel Argentiniens hinaus beispielhaft für die zerstörerischen Kräfte einer korrupten, neoliberalen Weltwirtschaft ist.
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