Anything Else

Komödie | USA/Frankreich/Großbritannien 2002 | 108 Minuten

Regie: Woody Allen

Ein sich mühsam mit Auftragsarbeiten durchschlagender Komiker träumt davon träumt, einen Roman im Stile Franz Kafkas zu schreiben. Dabei gerät er in Liebeswirren mit einer jungen Frau, die sich ihm immer wieder entzieht. Einmal mehr greift Woody Allen, der selbst als väterlicher Freund des Protagonisten auftritt, in seinem 34. Film altbekannte Themen seines New Yorker Stadtneurotiker-Universums auf. Dabei kippt das, was in seinen früheren Filmen oft melancholisch-verquer gefärbt war, an vielen Stellen in Sarkasmus um. Angesichts der veränderten Zeitläufe fällt auch der Humor des Films mitunter fast zynisch aus. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ANYTHING ELSE
Produktionsland
USA/Frankreich/Großbritannien
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
DreamWorks/Granada/Gravier/Perdido/Canal +
Regie
Woody Allen
Buch
Woody Allen
Kamera
Darius Khondji
Schnitt
Alisa Lepselter
Darsteller
Woody Allen (David Dobel) · Jason Biggs (Jerry Falk) · Christina Ricci (Amanda) · Fisher Stevens (Manager) · Anthony Arkin (Komiker)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Vielleicht hat man in den letzten drei Jahren ein paar Mal zu oft gehört, dass sich New York nach dem 11. September 2001 irreversibel verändert hat. Wer in jüngster Zeit aber dort gewesen ist, weiß, dass diese Diagnose stimmt. Die auffallend häufigen Nationalflaggen in Vorgärten, auf Heckscheiben und Kragenaufschlägen, die in „freedom fries“ umbenannten „french fries“, der allgegenwärtige Patriotismus-Kitsch, das Rauchverbot in allen öffentlichen Gebäuden – überhaupt dieses allgegenwärtige, mit unterschwelliger militanter Gebärde vorgebrachte Insistieren auf Ordnungssinn und Gemeinwohl. Im Einzelnen handelt es sich um kleine, schwer einzukreisende Symptome, die sich in ihrer Summe jedoch zu einer neuen Qualität verdichten. Wie kaum ein anderer Künstler hat Woody Allen in den vergangenen fast 40 Jahren den Pulsschlag seiner Heimatstadt ertastet und in Drehbüchern und Rollen sublimiert. Obwohl in seinem jüngsten Film in keiner Weise „09/11“ konkret erwähnt wird, hat sich die veränderte Stimmung doch wie Mehltau über die Gesamtatmosphäre von „Anything Else“ gelegt.

Auf den ersten Blick setzt sich auch dieser Film aus den üblichen Ingredienzen des Woody-Allen-Universums zusammen. Neben der Stadt New York sind dies die vertrackten Beziehungsgeschichten, ein unentschlossener, ständig zwischen dem eigenen Ego und den Begehrlichkeiten seiner Umwelt hin- und hergerissener Held sowie diverse, ungleich selbstbewusster auftretende Gegenspieler. Daneben gibt es noch eine Reihe von strukturell stabilisierenden Momenten wie die ironisch-kulturgeschichtlichen Reflexionen, die Musik oder die unvermeidlichen Besuche beim Psychoanalytiker. In „Anything Else“ haben sich die Positionen dieser Segmente leicht verschoben. Am auffälligsten der Umstand, dass Allen als Darsteller selbst das Zentrum der Handlung verlassen hat. Die Liebesverquickung überlässt er inzwischen Jüngeren. Teenie-Star Jason Biggs („American Pie“, fd 34 042) verkörpert mit Jerry jedoch eindeutig Allens Alter ego: den sich mühselig mit Auftragsarbeiten verdingenden Komiker, der er in den 1960er-Jahren ja war. Jerry würde viel lieber an einem Roman im Stile Kafkas schreiben, sieht sich aber ständig von kleinen und großen Realitätsansprüchen daran gehindert. Durch die verheißungsvoll beginnende Beziehung zu Amanda lässt er sich freilich allzu gern ablenken. Bald schon stellt sich heraus, dass dadurch alles nur noch viel komplizierter wird. Denn als Amanda endlich mit ihm zusammen lebt, entzieht sie sich ihm. Hingeben konnte sie sich nur im Verborgenen einer heimlichen Liaison. Ihre Bindungspanik steigert sich bis zur Wiederholungstat des Fremdgehens und zum Verlassen der gemeinsamen Wohnung. Allerdings lässt sie ihre Mutter bei Jason zurück – eine kräftig dem Alkohol zusprechende Mittfünfzigerin, die sich für eine begabte Sängerin hält.

Woody Allen alias David Dobel tritt als väterlicher Freund Jerrys auf. Er fungiert als Katalysator des Geschehens, gibt seinem Schützling Ratschläge, drängt auf Entscheidungen. Über ihn selbst erfährt man gar nichts. Zuletzt verschwindet er auf mysteriöse Weise, angeblich, nachdem er sich an zwei Polizisten gerächt hat, die ihn im Rahmen einer Verkehrskontrolle mit antisemitischen Witzen gedemütigt hatten. Vorher sah man ihn mit Schusswaffen verschiedenen Kalibers hantieren – materialisierter Ausdruck seines immer wieder aufbrechenden, tief sitzenden Misstrauens gegenüber einer mehr und mehr feindlich gestimmten Umwelt. Er agitiert den viel jüngeren Freund mit Appellen an den jüdischen Überlebensinstinkt: „Damit Du keinen Güterwaggon von innen siehst“. Oder: „Traue niemals einem nackten Busfahrer.“ Denn dies sei der größte Fehler der Juden in Europa gewesen – dem nackten Busfahrer Hitler nicht misstraut zu haben. Die Stimmung dieser Figur, die sich Allen auf den Leib geschrieben hat, speist sich aus einer unterschwelligen Panik, „es“ könne jederzeit wieder losgehen. Aus dem Stadtneurotiker ist ein Paranoiker geworden. Überall wittert er Anzeichen von Verschwörungen, vernimmt geflüsterte Bemerkungen darüber, dass die Juden alle Kriege beginnen würden, glaubt, hämische Scherze über seine Nase zu hören. Die ironische Brechung solcher Sentenzen wirkt mitunter nur noch wie eine Behauptung des Drehbuchs. Und der obligatorische Psychoanalytiker im Film schweigt und kassiert. Doktor Freuds Rettungsversuch des Abendlandes scheint sein Wirkungspotenzial aufgezehrt zu haben.

Die fatalistische Stimmung spiegelt sich auch im Filmtitel „Anything Else“ wider, dessen Nicht-Übersetzung hier einmal Sinn macht, da er nicht wirklich ins Deutsche übertragbar ist. Allen versucht, den düsteren Grundton seines 34. Films mit einigen inszenatorischen und anderen Ablenkungen aufzufangen: die Besetzung Jerrys mit Jason Biggs, die bewusst altmodischen Rückblenden, das Beiseitesprechen und sogar das unseriös wirkende Filmplakat sind in diesem Kontext zu sehen. Dennoch kippt die Melancholie seiner früheren Filme an vielen Stellen in Sarkasmus um, der Humor kommt trockener und härter daher, fällt mitunter fast zynisch aus. Es ist aber gerade diese permanente Veränderung im Stil Woody Allens, die ihn als wache Künstlerpersönlichkeit auszeichnet und auch den neuesten Baustein in seinem Oeuvre zum sehenswerten Kapitel macht.

Kommentar verfassen

Kommentieren