Dokumentarfilm über den Jahrhundert-Fotografen Henri Cartier-Bresson, dessen "Kunst des Augenblicks" kommende Fotografen-Generationen ebenso beeinflusst hat wie die von ihm mitbegründete Agentur "Magnum". Im Rahmen einer Serie von Künstler-Porträts, produziert von der "Neuen Zürcher Zeitung", nähert sich der ebenso spannende wie erkenntnisreiche Film Cartier-Bresson ganz über dessen Werk an und lässt vor allem auch den 95-jährigen Fotografen selbst zu Wort kommen.
- Ab 14.
Henri Cartier-Bresson - Biographie eines Blicks
Dokumentarfilm | Schweiz/Frankreich 2003 | 72 (TV 55) Minuten
Regie: Heinz Bütler
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Filmdaten
- Originaltitel
- HENRI CARTIER-BRESSON - BIOGRAPHIE D'UN REGARD
- Produktionsland
- Schweiz/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Neue Zürcher Zeitung (NZZ)/Fondation Henri Cartier-Bresson/Xanadu Film
- Regie
- Heinz Bütler
- Buch
- Heinz Bütler
- Kamera
- Matthias Kälin
- Schnitt
- Anja Bombelli
- Länge
- 72 (TV 55) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Schwarz-weiß: Im Hintergrund Dächer, davor ein schmiedeeisener Zaun mit scharfen Spitzen; links ist er plakatiert, rechts lehnen an ihm ein Mann und ein Karren. Den Karren würde man kaum erkennen (er fügt sich ins fahle Grau der Wände dahinter), wäre nicht der ganze Vordergrund des Bildes eine makellos spiegelnde, riesige Pfütze und die Spiegelung des Karrens ungleich schärfer als seine materielle Entsprechung oben. In der Pfütze liegt eine Leiter, davor ein paar gebogene Eisenreifen, und ein Mann springt, hebt ab, schwebt über dem Wasser.
Henri Cartier-Bressons Kunst ist eine Kunst des Augenblicks, das wird schnell klar in diesem Dokumentarfilm über den großen, kurz darauf verstorbenen Fotografen; der Film ist Teil einer Reihe von Künstlerporträts, produziert von der „Neuen Zürcher Zeitung“, umgesetzt von Heinz Bütler. Mit einem Schuss vergleicht Cartier-Bresson seine Arbeitsweise, lacht, formt mit Händen und Armen ein imaginäres Gewehr und drückt ab. Den Augenblick der Kunst einfangen, den Augenblick, in dem alles stimmt, Linien, Formen, Inhalt: „Die Entscheidung des Auges auf Film.“ Geometrie ist ihm wichtig, die Einheit von Inhalt und Form. Das berühmte Bild „Derrière la Gare St. Lazare“ aus dem Jahr 1932 mit dem Mann, der ohne Bodenkontakt über der Spiegelfläche schwebt, ist nur eines der vielen Beispiele. In Bütlers Film ziehen die Fotografien manchmal fast zu schnell vorüber: ein Bild, eine Erinnerung, eine Geschichte jagt die andere. Der letzte Eunuch Chinas, die Huren in Mexiko City, die Schwarze mit dem großen Hut in Harlem, ausstaffiert für den österlichen Kirchgang.
Bütler versucht, sich Cartier-Bresson ausschließlich über die Fotografie, über die Bilder anzunähern. Es gibt keinen biografischen Abriss, keine „Homestory“ mit seiner Frau, der Fotografin Martine Franck, keine Szenen mit seiner Tochter. Sein Umfeld spielt keine Rolle, es gibt keinen Off-Kommentar. Zu Wort kommt in erster Linie der 95-jährige Cartier-Bresson selbst. Sehr wach, gelassen, weise und humorvoll reflektiert er seine Kunst und sein Leben, die wohl ebenso wenig zu trennen sind wie Inhalt und Form seiner Fotografien. Man sieht Cartier-Bresson beim Durchblättern von Bildbänden und einzelnen Abzügen: Es ist wie das Blättern in einem Jahrhundertarchiv der Erinnerungen. Wie kann jemand so viel reisen? Iran, Russland, Deutschland, Spanien, Kaschmir, Afrika, Indonesien, Mexiko – und das sind nur einige Stationen. Ist es Zufall, dass er vor Ort war, als 1950 Bhagwan Maharishi starb und Gandhi 1948 in Neu-Delhi auf der Straße ermordet wurde? Das muss Instinkt sein, meint der Verleger Robert Delpire, der Instinkt, immer genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, gewissermaßen eine Nase für politische Umwälzungen zu haben. Zu Wort kommen außerdem die Magnum-Fotografen Elliot Erwitt, Josef Koudelka und Ferdinando Scianna. Auch sie versuchen, das Geheimnis der Bilder, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu fassen. Sie erzählen, was sie von ihm, dem Mitbegründer der Agentur Magnum, gelernt haben: die Qualität zum Beispiel, Auge, Geist und Herz auf eine Linie zu bringen, ein Bild zu machen, das nicht inszeniert ist, genau zu beobachten. So wird auch ganz ohne Off-Kommentar deutlich, welch ungeheuren Einfluss Cartier-Bresson, der Malerei studierte und als Regieassistent von Jean Renoir arbeitete, auf die Fotografie – und das gilt für die Kunst wie für den Bildjournalismus gleichermaßen – hatte und nach wie vor hat. Isabelle Huppert spricht über ihre Erfahrungen als von ihm Porträtierte, über ihre Überraschung, als sie eine unbekannte Seite schon im Prozess des Fotografierens spürte, die sie später in den Bildern dann fasziniert wiederentdeckte. Der Dramatiker Arthur Miller bewundert ein Porträt von Marilyn Monroe in einer Drehpause von „Misfits – Nicht gesellschaftsfähig“, staunt über ihren introspektiven Blick. „Porträts sind das schwierigste überhaupt“, meint Cartier-Bresson dazu, es ginge schließlich darum, dass die Leute die Kamera vergessen, mithin also um die Beziehung, die der Fotograf mit dem Menschen auf der anderen Seite des Objektivs herzustellen versteht. „Wie bei dir“, setzt er noch hinzu – und spricht damit den Filmemacher Heinz Bütler hinter der Kamera an.
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