E.K.G. Expositus (die öffentlichen und die künstlerischen Medien)

- | Deutschland 2003 | 101 Minuten

Regie: Michael Brynntrup

Die Einlieferung in ein Krankenhaus dient als Anlass für eine Reihe von Reflexionen, in deren Verlauf der Experimentalfilmer Michael Brynntrup seine Selbstbeschreibungen und Erinnerungen mit einer Fülle von Projektionen unterwandert, Authentisches und Fiktionales aneinander reiht und durch die Zitation bereits realisierter Projekte eine Art innerfilmische Ich-Kopie erstellt. Die provokative Selbstbespiegelung des narzisstischen Filmemachers steht sich durch ihre hoch artifizielle Struktur oft selbst im Weg, obwohl der schwer kategorisierbare Film immer wieder durch Passagen voller innovativer Visualität in Bann schlägt.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
MBC-Filmprod./nordmedia
Regie
Michael Brynntrup
Buch
Michael Brynntrup
Kamera
Uwe Bohrer
Musik
Yref · Jay Ray · Frank Bretschneider
Schnitt
Michael Brynntrup
Darsteller
Tim Lienhard · Jochen Paul · Bernhard Bieniek · Petra Krause · Michael Brynntrup
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Externe Links
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Diskussion
Kameras stehen im Operationssaal; Ärzte werden interviewt, als ein Schwerverletzter eingeliefert wird. Bei dem Mann mit dem bandagierten Gesicht handelt es sich um Regisseur Michael Brynntrup, der einen Film („E.K.G. Expositus“) darüber dreht, wie er ins Krankenhaus gebracht wird und dabei über sich selbst nachzudenken beginnt. Die egozentrische Konstruktion, die das jüngste Werk des Experimentalfilmers eröffnet, basiert darauf, dass dieser den Vorgang der Selbstreflexion zunächst wörtlich auslegt und sich als mediales Neben-Ich in seinen Film hineinspiegelt. Auch die folgenden Selbstbeschreibungen und Erinnerungen werden von Projektionen unterwandert. Fiktionales und Authentisches, Zitiertes und Inszeniertes vermischen sich zu einer semidokumentarischen Retrospektive auf Brynntrups bisheriges Filmschaffen. Collagenartig werden seine Kurzfilme mit Fernsehberichten und Interviews verwoben, bei denen nie ganz klar ist, inwieweit sie echt oder gestellt sind. „E.K.G Expositus“ greift auf ein zentrales Motiv aus Brynntrups Filmen zurück, indem er Substanzielles und Mediales unrekonstruierbar in der Identität seiner Kunstfigur verschmilzt. Ein Dokumentarfilm ist „E.K.G. Expositus“ ebenso wenig wie ein Spielfilm: die Handlung beschränkt sich auf die lapidare Krankenhausrahmenszene. Dafür spielt der Film mit medialen (Selbst-) Darstellungsweisen: Redundanzen, das Aufeinanderschichten bzw. Abtragen unterschiedlicher Reproduktionsebenen und unzählige Spiegelungseffekte zählen zu den Stilmitteln des Filmemachers. Einer seiner Kurzfilme („Herzsofort.Setzung II (autogene Manipulationen)“) zeigt Bilder, die sich am ehesten als Zwischenablagerungen multimedialer Entstehungsprozesse beschreiben lassen: fotografiert, abgefilmt, kopiert, computerbearbeitet etc., gewinnen sie von Generation zu Generation an künstlichem Eigenleben. Der Ausschnitt eines anderen Filmes zeigt ein in ungezählte Puzzleteilchen zerlegtes Selbstbildnis. Die eingeblendeten Interviews setzt Brynntrup unter das Motto: „Wenn das Fernsehen mich filmt, dann filme ich das Fernsehen!“; Fernsehjournalisten öffnet er die Wohnungstür stets mit laufender Kamera. An dieser Schnittstelle zwischen „öffentlichen und künstlerischen Medien“ kumulieren die (selbst-)erklärenden Aussagen über Brynntrups Werk: „experimentelle Spiegelbilder eines narzisstischen Künstlers, der sich als Selbstdarsteller inszeniert für die anderen, die in ihm sich selbst erkennen sollen.“ Er selbst, oder zumindest seine innerfilmische Ich-Kopie, versteht seine Arbeit als „Teil der bildenden Kunst“; anders als im Kino gehe es bei ihm nicht um „Illusionen“, sondern um „künstlerische Authentizität“, weshalb er immer wieder die eigene Person thematisiere. Als er in einem mehrfach eingespielten Interviewschnipsel zum wiederholten Male darauf hinweist, dass seine Werke, so privat sie auch scheinen mögen, in die Öffentlichkeit gestellt sind, um zu provozieren oder zumindest eine Auseinandersetzung anzuregen, wird das mit den Sätzen untertitelt: „Diese 55. Interviewminute sehen Sie jetzt schon zum 3. Mal. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass der hier gesprochene Text besonders wichtig ist.“ Obwohl Brynntrup ernst genommen werden will (und darf), versieht er seine verschachtelte Selbst- Exhibition mit einem wohltuenden Schuss Selbstironie. Die facettenartige Struktur seines höchst artifiziellen Montagefilmes erschwert allerdings eine einheitliche Bewertung: der lebensnahe, heiter-melancholische Dokumentarkurzfilm „Aide Mémoire – ein schwules Gedächtnisprotokoll“ über den an Aids gestorbenen Fotografen Jürgen Baldiga teilt sich darin den Platz mit meta-medialen Experimenten, verspielten Versuchen über filmische Beleuchtung und eher langatmiger Konzeptkunst wie dem „Loverfilm“, in dem Brynntrup minutenlang Fotos tatsächlicher oder fingierter Ex-Liebhaber aneinander reiht. Wirkt das Spiel mit Signalen und Selbstreferenzen mitunter auch maniriert und prätentiös, so lohnt sich ein Blick in „E.K.G. Expositus“ allein schon wegen der eingestreuten, kurzen, aber eindrücklichen Passagen voller innovativer und kraftvoller Visualität.
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