Route 181
Dokumentarfilm | Deutschland/Belgien/Frankreich/Großbritannien 2003 | 268 Minuten
Regie: Michel Khleifi
Filmdaten
- Originaltitel
- ROUTE 181 - FRAGMENTS OF A JOURNEY IN PALESTINE-ISRAEL
- Produktionsland
- Deutschland/Belgien/Frankreich/Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Memento/Sourat/Sindibad/WDR/ARTE France/C.N.C.
- Regie
- Michel Khleifi · Eyal Sivan
- Buch
- Michel Khleifi · Eyal Sivan
- Kamera
- Philippe Bellaïche
- Schnitt
- Michel Khleifi · Eyal Sivan
- Länge
- 268 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
Dokumentarische Reise entlang der von der UNO bestimmten 1948 gezogenen Grenze zwischen dem israelischen und palästinensischen Teil des alten Palästina.
Auf den ersten Blick ein harmloses Projekt: Zwei Filmemacher, ein Palästinenser und ein Israeli, fahren durch ihr Heimatland und sprechen mit den Bewohnern über den historischen und aktuellen Konflikt ihrer beiden Völker. Es ist keineswegs das erste völkerübergreifende Projekt dieser Art. In Kino, Theater oder Musik finden immer wieder Friedensbefürworter beider Seiten zueinander. Aber schon der Titel lässt aufhorchen. „Route 181“ ist nach der UNO-Resolution 181 aus dem Jahre 1948 benannt, die das alte Palästina in zwei Teile spaltete, einen israelischen und einen palästinensischen. Bekanntlich wird diese Grenze, seit sie politisch festgelegt wurde, in der Praxis weder eingehalten noch von großen Teilen der Bevölkerung anerkannt; stattdessen wird sie umkämpft und sorgt für bürgerkriegsartige Zustände; durch Siedlungen wird sie ad absurdum geführt und in jüngster Zeit durch eine Betonmauer weiter negiert.
Ermüdung statt Radikalisierung
Entlang dieser Grenze sind Michel Khleifi und sein israelischer Kollege Eyal Sivan gereist. Dennoch ist ihr Film „Route 181“ kein Pamphlet. Bewusst werden politische Hintergründe fast ausgespart; Politiker kommen überhaupt nicht zu Wort. Nicht das alltägliche öffentliche Tauziehen ist Thema, sondern dessen Auswirkungen auf die Menschen. Wobei sich wie zufällig, gerade beim Befragen der Älteren, die Geschichte der Region in ihrer ganzen Brutalität ausbreitet: die Zeit vor, während und nach der Teilung sowie die der Kriege, Zäsuren, die Israelis im Jahr 1948 sehen, die Palästinenser aber 1967.
Dabei zeigt sich, was für manche Betrachter überraschend sein mag, dass von einer zunehmenden Radikalisierung parallel zur Ausweitung des Konfliktes keine Rede sein kann. Im Gegenteil, und das muss auf andere wiederum empörend wirken, machen sich gerade im Grenzland vor allem Ermüdung und Frustration breit: nicht nur unter den Palästinensern, sondern auch bei den Israelis, sogar unter den eigens angesiedelten Juden aus fernen Ländern.
Der Ärger über eine angeblich Israel-feindliche Haltung von „Route 181“ entlud sich bereits nach der Ausstrahlung des Films bei arte, vor allem aber im Rahmen des Dokumentarfilmfestivals „Cinéma du Réel“ in Paris, als eine Vorführung derart heftige Reaktionen auslöste, dass das Festival, offenbar auf politischen Druck hin, eine weitere absagte. Allein dieser Umstand erregte wiederum Frankreichs Intellektuelle, die inzwischen zu Hunderten einer Unterschriftenaktion der Zeitung „Libération“ gefolgt sind, unter ihnen auch Jean-Luc Godard und Elfriede Jelinek.
Der Wahrheit einen Ort verschaffen
Dabei hatte der Film eigentlich nur der Wahrheit einen Ort verschafft. Da reden Juden, die seit Jahrzehnten im Land sind, davon, wie schön sie es einst in Tunesien hatten, wo es sich, weitab von allen Konflikten, gut leben ließ, ohne dass man sich als Bürger zweiter Klasse fühlen musste. Hier müssen sie sich um ihre Söhne sorgen, die ihr Leben als Soldaten in einem sinnlosen Kampf aufs Spiel setzen oder schon verloren haben. Für Juden und Israelis wirken solche Äußerungen scheinbar wie Nadelstiche. Schließlich zählt es zu den Grundpfeilern des Staates Israel und des Zionismus, dass die Juden aus aller Welt aus der Diaspora heim ins Gelobte Land geholt werden, in den jahrtausendelang erhofften eigenen Staat.
Tatsächlich kamen und kommen Juden zu Hunderttausenden, heute vor allem aus Osteuropa und Vorderasien, um sich am Mittelmeer niederzulassen. Meistens werden sie zu Bewohnern der zum Teil illegalen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet und insofern politisch missbraucht. Khleifi und Sivan nennen dies schlicht beim Namen. Ihr Hauptverdienst ist es aber, den Sachverhalten nicht zu referieren, sondern die Menschen ihre ureigensten Geschichten erzählen zu lassen.
Vielleicht nutzt es ja etwas
Nicht minder schockierend sind auf der anderen Seite die Berichte ergrauter Veteranen, die ohne Scham von der Vertreibung der Palästinenser aus dem neu geschaffenen israelischen Territorium berichten, und davon, wie brutal dabei vorgegangen wird. Unbelehrbar zeigen sich aber auch die Palästinenser. Niemand hört so etwas gerne. Zur allgemeinen Aufklärung können Filme wie „Route 181“ indes nur nützen. Die Filmemacher planen auch Aufführungen in Israel, was offenbar – anders als im Fall der Dokumentation „Dschenin, Dschenin“ von Mohammed Barkis – möglich ist. Vielleicht lösen sich manche Missverständnisse zwischen den Völkern dadurch ja in Luft auf.