Drei Jahre lang begleitete der Dokumentarist Norbert Wiedmer den eidgenössischen Schauspieler Bruno Ganz, wobei die Proben zu Peter Steins epochaler "Faust"-Inszenierung im Zentrum seiner filmischen Aufbereitung stehen. Beabsichtigt ist weniger das Porträt eines begnadeten Künstlers als die Annäherung an eine Persönlichkeit, die zur Ruhe und zu sich selbst finden möchte und der dies teilweise auch gelingt. In fast kontemplativen Bildern wird dieser Seelenzustand ebenso beschrieben wie die Freude des Schauspielers an seiner Arbeit. Ein sehr bedächtiger Film, dessen Bilder bei aller Nähe stets auch die Distanz wahren.
- Sehenswert ab 14.
Bruno Ganz - Behind Me
- | Schweiz/Deutschland 2001 | 85 Minuten
Regie: Norbert Wiedmer
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Filmdaten
- Originaltitel
- BEHIND ME
- Produktionsland
- Schweiz/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- PS Film/Biograph/WDR/DRS/3sat
- Regie
- Norbert Wiedmer
- Buch
- Norbert Wiedmer
- Kamera
- Norbert Wiedmer · Peter Guyer · Bruno Ganz
- Schnitt
- Stefan Kälin
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
Diskussion
„Es war enmal ein kleiner Junge, der wollte unbedingt ans Meer...“ Besser als im Märchen vom kleinen Nils Holgersson kann eine unstillbare Sehnsucht kaum beschrieben werden. Eine Sehnsucht, die immer da sein wird, auch wenn man bereits am Meer angekommen ist. Drei Jahre begleitete der Schweizer Filmemacher Norbert Wiedmer den eidgenössischen Schauspieler Bruno Ganz, seit 1996 (nach Josef Meinrad) Träger des Iffland-Rings, der höchsten Ehrung des deutschsprachigen Theaters, und dokumentiert seine Arbeit. Auch wenn hin und wieder biografische Momente aufscheinen, ist „Behind Me“ alles andere als eine Künstlerbiografie, vielmehr das Arbeits- und Lebensprotokoll eines besessenen Künstlers, der nach wie vor auf der Suche scheint. Nicht von ungefähr stehen, neben Hörspiel-Einspielungen, Ausschnitte aus weitgehend unbekannten älteren Filmen und kurze anekdotische Aufzeichnungen der Proben zu Peter Steins Inszenierung von Goethes „Faust I + II“ im Zentrum, die Ganz alles abverlangen, obwohl er sich privat schon längst „des Pudels Kern“ genähert hat. In diesen Szenen wird deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit der Schauspieler seinen Beruf betreibt und hinterfragt, wie sehr der Text des deutschen Dichterfürsten auf ihm lastet, wie dennoch jede kurze Unterbrechung, jedes Extemporieren genutzt wird, um die Freude an der Arbeit, am Spiel mit Kollegen zu signalisieren. Doch das ist nur der offenkundige Aspekt des Films, der auf vielschichtige Weise versucht, sich dem Ausnahmeschauspieler zu nähern und einen Zustandsbericht abzulegen.
Wichtiges scheint in scheinbar belanglosen Szenen auf, etwa wenn Ganz mit Kollegen in einem Berliner Nobel-Restaurant speist und man auf die Arbeit zu sprechen kommt. Man spricht im ironischen Ton von Leuten, die „gute Jobs machen“, vom Bundeskanzler etwa oder vom Koch des Restaurants. Dabei wird deutlich, wie wenig die „Bühnenarbeiter“ von diesem Begriff halten; einen Job kann man schon machen, doch erst mit Leidenschaft wird er zum Beruf, zur Berufung – sei es als Koch oder Schauspieler. Bezeichnend auch das Gespräch mit einer Fotografin, die Bruno Ganz über lange Zeit begleitet hat; Ganz selbst filmt diese Szene mit der Handkamera. Auf einem Foto, das ihn mit Schnauzbart zeigt (so sah er in Wenders’ „Der amerikanische Freund“ aus), findet er sich blöde; eine Aufnahme in einer italienischen Bar kommentiert er lapidar: „Viele Flaschen im Hintergrund.“ Und dann Faust. Den steht er durch, 13 lange Stunden lang, ist froh, ihn gespielt und hinter sich zu haben, gesteht, wenig verstanden zu haben. Auch hier wird ein zentrales Thema das Films deutlich: die Einsamkeit, die Ganz als „Angst, sich nicht auszureichen“ beschreibt. Doch der Film sucht auch nach Bildern, die belegen, das Bruno Ganz mittlerweile die Angst vielleicht nicht abgelegt hat, zumindest aber beherrscht. Immer wieder werden Szenen aus Venedig, der Wahlheimat des Schauspielers, einmontiert, zeigen abseits touristischer Spuren augenberauschenden Stillstand, Angekommensein. Nicht von ungefähr legen immer wieder Boote an, werden nicht an die Leine gelegt, sondern suchen den sicheren Hafen auf, der in Venedig-Stadt allerdings nur eine Traghetto-Haltestation sein kann.
Mit „Behind Me“ ist Norbert Wiedmer ein ebenso unaufdringlicher wie eindringlicher Film gelungen, der keiner Persönlichkeit nachspürt (deswegen bleibt die Kamera auch meist auf Halbdistanz), sondern Lebenswege am exponierten Beispiel aufzuspüren versteht. Die gelungene Inszenierung wahrt die Ruhe, die Ganz auszustrahlen versteht, ohne je devot zu werden, und blendet den Probenstress zugunsten kontemplativer Bilder aus. „Behind me sieht’s irgendwie ganz anständig aus“, resümiert Bruno Ganz bereits im ersten Drittel des Films, dem kann man nur beistimmen – was Ganz betrifft und erst recht diesen Film über ihn.
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