Das Ministerium für Staatssicherheit - Alltag einer Behörde

- | Deutschland 2002 | 90 Minuten

Regie: Christian Klemke

Neun Stasi-Offiziere geben Auskunft über ihre ehemalige Tätigkeit und ihre Sicht der Dinge. Aufschlussreicher Dokumentarfilm, der ins Zentrum der DDR-Diktatur führt und Täter über ihre Arbeitstaktiken sprechen lässt. Durch die Konzentration auf die MfS-Mitarbeiter entlarvt sich der Alltag des Überwachungsstaates als Mischung aus Professionalität, Intelligenz und kleinbürgerlichem Untertanentum. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
e-Motion Picture/MDR/arte
Regie
Christian Klemke · Jan N. Lorenzen
Buch
Christian Klemke · Jan N. Lorenzen
Kamera
Peter Badel
Musik
Klaus Burger
Schnitt
Angela Wendt
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Von wegen „friedliche Revolution von ’89!“. Gerhard Neiber, einst Stellvertreter Erich Mielkes, sieht das ganz anders: Es handelte sich ja um eine rückwärtsgewandte Konterrevolution, weil der Kapitalismus reinstalliert wurde, „aber das muss wohl hier nicht agitiert werden“. Der Zusammenbruch der DDR im Herbst 1989 war die empfindlichste Niederlage des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS); das Skandalon, gegen eine sich als Friedensbewegung getarnte Konterrevolution unterlegen zu sein, hat Spuren hinterlassen. Über 100.000 hauptamtliche Mitarbeiter verfügte die Stasi, dazu kamen ca. 150.000 „Inoffizielle“: Eine höhere Überwachungsdichte gab es im Ostblock nirgends. Neun hochrangige MfS-Mitarbeiter haben die Dokumentaristen Christian Klemke und Jan N. Lorenzen zu ihrer Arbeit und Weltsicht befragt - und überraschend offene Antworten erhalten. Mielkes Abschiedsbotschaft „Ich liebe euch doch alle!“ zieht sich wie ein roter Faden durch den Film; in treudeutsch-paternalistischer Tradition des aufgeklärten Absolutismus erscheint das Bild vom Staatsbürger als zu erziehendem Kind und dem Geheimdienstmitarbeiter als im Grunde tolerante und nachsichtigen, retrospektiv aber zutiefst verletzte Erziehungsberechtigten. Dass die Kinder sich den „sozialistischen“ Anstrengungen der Eltern kollektiv entzogen, scheint auch mehr als ein Jahrzehnt nach der „Wende“ völlig unbegreiflich. Noch heute wird von den „prächtigen Kollektiven der MfS“ geschwärmt und bestritten, dass es im Umgang mit der Bevölkerung „Berührungsängste“ gab. Stattdessen heißt es: „Hut ab vor den IMs!“, obwohl diese doch eigentlich nur ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllten. Im Rückblick erfährt man von den Tätern aus erster Hand einiges über Überwachungs-, Infiltrations- und Zersetzungsmethoden, über Verhörstrategien und „Postumleitung“. Kurzum: Das MfS war ein Arbeitsplatz, der von den Mitarbeitern Kreativität und Engagement forderte und der ein recht engmaschiges System einer schwarzen Psychologie entwarf, das in der Praxis der Menschlichkeit nur auf höchst abstraktem Niveau verpflichtet blieb. Dass das MfS sich einer historisch und psychosozial durchaus verallgemeinerbaren Mentalität bediente (und mithin kein DDR-Problem war), wird deutlich, wenn man diese rüstigen Rentner bei ihren emotionsarmen Interviews beobachtet. Es gilt: Sauberkeit im Privaten und klarer Klassenstandpunkt als Ausdruck einer (gewiss systemübergreifenden) galoppierenden Kleinbürgerlichkeit („Es war nicht zu übersehen, dass die konspirativ zu durchsuchende Wohnung von einem Junggesellen bewohnt wurde, Ordnung und Sauberkeit ließen zu wünschen übrig“, heißt es einmal), die auch vor Gewalt- und Vernichtungsfantasien nach stalinistischem Vorbild nicht zurückschreckt. Darf ein Film uneinsichtigen Tätern ein derart umfassendes Podium bieten? Muss man nicht die Opfer in den Blick rücken? Muss man nicht die Aussagen der Täter relativieren, kommentieren oder ihnen widersprechen? Die Montage des vielfältigen Materials von Überwachungskameras über Verhörvideos bis hin zu Übungsfilmen, gekoppelt mit der (mitunter etwas zu) eindrücklichen Musik Klaus Burgers, kommentiert deutlich die Selbstgefälligkeit der Interviewten. Ein langes Travelling durch den Flur eines Verhörtraktes, unterlegt von stillen Moll-Pianoakkorden, repräsentiert die Opferperspektive weit treffender als jedes politisch korrekte Gegen-Interview dies vermöchte. Es ist die Täterperspektive, die den „Alltag einer Behörde“ veranschaulicht, die die gefährliche Mischung aus Professionalität und Intelligenz mit ihren Beschönigungen des eigenen Tuns in den Griff bekommt. Rückblickend wird noch immer beklagt, dass zum Ende der DDR der Geheimdienst von der Partei als Exekutive missbraucht wurde, hatte die paralysierte Führung doch längst die Kontrolle über die Entwicklung im Politischen wie im Sozialen verloren. Für die einstigen MfS-Kader steht fest: Der Zusammenbruch der DDR war „nicht unsere Schuld“. Schmerzhafte biografische Brüche nach 1989 werden durch Selbstmitleid abgefedert; der sich öffentlich artikulierende Hass auf die MfS-Kader wird als „frappierend“ erlebt; Willi Opitz, ehemaliger Rektor der Juristischen Hochschule der MfS in Potsdam, berichtet beispielsweise, dass ihm das Austragen von Werbezettel, mit dem er seine karge Rente aufbessert, zeitweise zum Spießrutenlauf geriet. Immerhin kann er aber auch Positives vermelden: Innerhalb seiner Familie, die inklusive der Urenkel zwischen 35 und 45 Mitglieder umfasst, hat sich bislang noch keine Opposition gegen ihn erhoben. Dass er davon heute zehrt, hat auch etwas Positives.
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