Alles scheint so zu sein, wie es sein sollte, im Happy End von Disneys „Dschungelbuch“-Verfilmung aus dem Jahre 1967 (fd 15 898, nach den Erzählungen von Rudyard Kipling): Jeder ist da, „wo er hingehört“. Der kleine im Dschungel aufgewachsene Waisenjunge Mogli lebt endlich in einem Dorf unter Menschen; seine besten Freunde, Balu, der Bär, und der Panther Baghira, kehren in den Urwald zurück. In der Fortsetzung des Zeichentrickklassikers von Wolfgang Reitherman stellt Moglis neuer Ziehvater allerdings schon fest: „Man kriegt diesen Jungen vielleicht aus dem Dschungel raus, aber den Dschungel wird man aus diesem Jungen nie rauskriegen.“ Mogli hat im Dorf schnell viele neue Freunde gefunden, sehnt sich aber in die Wildnis zurück. Vor allem den väterlichen „Papa Bär“ vermisst er. Seinen neuen Vater redet er immer noch mit „Herr“ an, und wie allen Kindern ist es auch ihm verboten, den Dschungel zu betreten. Jenseits des Dorfes fühlt sich derweil auch Balu einsam und verlassen. Wie im Original singt er sein „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ – diesmal allerdings allein und traurig. Mit der melancholischen Gesangseinlage schlagen die Macher von „Das Dschungelbuch 2“ nicht nur eine Brücke zum Original, sondern entfalten zugleich den Ausgangskonflikt des Filmes: Balu und Mogli wollen wieder zusammen finden. Als sich dann eines Nachts Balu zu Mogli ins Dorf schleicht, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Shanti, das Mädchen, das Mogli am Ende des ersten Films ins Dorf gelockt hat, entdeckt den Bären und schlägt Alarm. Aufgescheucht von den Menschenmassen, flieht Balu gemeinsam mit Mogli in den Dschungel. Wieder einmal amüsieren sich die beiden königlich miteinander, doch der böse Tiger Shir Khan sinnt noch immer auf Rache für die einst erlittene Schmach, und auch sonst lauern allerhand Gefahren.
Vielleicht liegt es am legendären Status, den das Original in der Geschichte des Zeichentrickfilms einnimmt, dass es trotz der in Hollywood seit Jahren grassierenden Fortsetzungswut über 25 Jahre gedauert hat, bis ein Sequel gedreht wurde. Zumindest verweist Produzent Chris Chase ehrfürchtig auf die „historische Bedeutung“ des letzten Zeichentrickabenteuers, das noch unter Walt Disneys persönlicher Aufsicht hergestellt wurde. Entsprechend respektvoll sind die Filmemacher bei der Umsetzung des zweiten Teils zu Werke gegangen. Anders als sonst häufig in Sequels zu beobachten, versucht sich hier der Nachfolger nicht als Komparativ seines Vorgängers. Autoren wie Regisseur geht es offenbar nicht darum, das Original durch ein Mehr an Figuren, Abenteuern und Gags zu toppen, es lustiger, bunter und moderner zu machen. Der Zeichenstil lehnt sich eng an den ersten Teil an. Nur recht verhalten werden Computeranimationen eingesetzt, auf eine effektvolle Kameraführung wird weitgehend verzichtet, und auch die Musik orientiert sich an den Dixieland- und Big-Band-Elementen des Originals. Dank dieser inhaltlichen und formalen Zurückhaltung vermag „Das Dschungelbuch 2“ den liebenswerten Charme seines Vorläufers neu aufleben zu lassen. Viele gute alte Bekannte kehren auf die Leinwand zurück: der wichtigtuerische Elefanten-Colonel Hathi, die gefräßig schmeichelnde und doch immer irgendwie übertölpelte Schlange Kaa oder die übermütigen Geier – allesamt verbreiten sie jene gutmütig humorvolle Fabelatmosphäre, die schon den ersten Teil ausgezeichnete.
Nicht nur die Erzählung knüpft direkt an das Original an, sondern auch die handlungsleitenden Themen des Heranwachsens werden weiterentwickelt. In beiden Filmen geht es um die schwierige Vereinbarkeit unterschiedlicher Lebenswelten. Zunächst greift „Das Dschungelbuch 2“ den Konflikt zwischen persönlicher Vergangenheit und Zukunft vom Ende des ersten Teiles auf. Dort ist Mogli zwischen Balu und dem Dorfmädchen hin und hergerissen, bis er sich schließlich für das Dorf entscheidet. Der zweite Teil zeigt, dass der Ablöseprozess des Erwachsenwerdens ein langwieriger und teilweise schmerzhafter ist und erweitert die Problematik noch um einen Widerstreit zwischen der Nachsicht des mütterlichen Balus und der väterlichen Strenge, die im Dorf herrscht. Die Gegenüberstellung eines Mutter- und eines Vaterprinzips in den Symbolen von Natur und Kultur ist freilich weder fortschrittlich noch originell. Doch Disneys „Dschungelbücher“ sind Hollywood-Märchen und als solche im Kern dichotomisch, archetypisch und idyllisierend. Dennoch ist der Umgang mit den Dichotomien durchaus differenziert. Balu, der weiblich gezeichnete Bär, ist männlichen Geschlechts und Shanti, Moglis Freundin, kann nicht nur mit den Augen klimpern, sondern auch richtig kämpfen, wenn es darauf ankommt. Dass der Film nicht sonderlich originell ist, sondern eine adäquate Fortsetzung des ersten Teils darstellt, ist wahrscheinlich das größte Kompliment, das man ihm machen kann.