Das Verlangen (2002)
Drama | Deutschland 2002 | 94 Minuten
Regie: Iain Dilthey
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Tag-Traum/Artus/Samples & Frames/Filmakademie Baden-Württemberg/BR/SWR
- Regie
- Iain Dilthey
- Buch
- Iain Dilthey · Silke Parzich
- Kamera
- Justus Pankau
- Musik
- Johannes Kobilke
- Schnitt
- Barbara Hoffmann
- Darsteller
- Susanne-Marie Wrage (Lena) · Klaus Grünberg (Johannes) · Robert Lohr (Paul) · Heidemarie Rohwedder · Manfred Kranich
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Vermutlich liegt man nicht falsch, Diltheys Vorbilder bei August Strindberg und Ingmar Bergman zu orten. Seine Hauptfigur ist Lena, von Susanne-Marie Wrage als äußerst verschlossene, an der Seite ihres Mannes, eines evangelischen Pfarrers, frühzeitig gealterte Frau dargestellt. Dilthey lässt keine Möglichkeit – vielleicht auch kein Klischee – aus, um dies zu charakterisieren: Lena trägt ihr langes blondes Haar stets zum Knoten gebunden (nur am Ende wird sie es öffnen); ihr Kleid ist hochgeschlossen und mit strengem weißen Kragen versehen; sie wagt kaum, ihre Augen aufzuschlagen. Ihrem Mann Johannes deckt sie nicht nur den Frühstückstisch: Sie belegt ihm sogar die Brotscheiben. So ritualisiert wie jede Mahlzeit läuft der gesamte Alltag ab. Einkaufen im Dorfladen, der noch aus den 1950er-Jahren übriggeblieben zu sein scheint; Krankenpflege bei der gelähmten Schwägerin, die sie tyrannisiert und einmal sogar schlägt. Am Abend schiebt sich Johannes, nicht weniger grausam als seine Schwester, nackt auf die starre Lena, die schon angstvoll auf diesen Moment gewartet hat. In solchen eindringlichen Bildern wird deutlich, wie sehr die Figuren um Lena auf die Funktion von Stichwortgebern und Reibungsflächen reduziert sind: von differenzierten Charakteren, noch dazu mit biografischem Hintergrund, kaum eine Spur.
Ins Zentrum des Films stellt Dilthey eine Predigt: Im Dorf wurde ein Mädchen ermordet; im Anfangsbild sieht man dessen Leiche unter einem Baum. Nun zelebriert Johannes den Trauergottesdienst, dessen Worte wie gemeißelt im Raum stehen: „Welchen Sinn sollen wir dem geben ... Vom Unglück möchte ich reden, nicht vom Schicksal und auch nicht vom Zufall. Schicksal macht stumm, und Zufall auch. Aber das Wort Unglück kann man hinausschreien in die Welt, und hinauf zu Gott auch.“ Natürlich soll der Zuschauer diese Sentenzen keineswegs nur auf das Verbrechen, sondern auch auf Lenas Dasein beziehen. Nicht im unabänderlichen Schicksal, sondern im Unglück ist sie befangen: eine blitzlichtartige Erkenntnis, die ihren Ausbruch, ihre Emanzipation anstößt. Lena singt, an der Orgel sitzend, nach der Predigt laut mit, als ob die Worte ihres Mannes eine befreiende Wirkung hätten. Am selben Abend konfrontiert sie ihn damit, dass sie von nun an seine Schwester nicht mehr pflegen wird. Sie wagt es, mit einem anderen Mann, einem Automechaniker, durchs Dorf zu spazieren, ja sich in ihn zu verlieben. Am anderen Morgen lächelt sie zum ersten Mal versonnen und vergisst, Johannes an der Tür seine Tasche zu reichen. Später rückt sie das Kreuz neben der Tür gerade. Und am Abend wird sie sich ihrem Mann verweigern, zum ersten Mal in ihrer Ehe.
Es sind solche kleinen Gesten, Blicke, Haltungen, mit denen der Film vornehmlich arbeitet. Justus Pankau fotografiert sie kammerspielartig präzise, während Dilthey sie kalkuliert, vielleicht zu kalkuliert in Szene gesetzt hat. Auch eine leise Lösung schien dem Regisseur dann zu „einfach“. Ein zweiter und dritter, nun sogar direkt im Bild ausgeführter Totschlag müssen her, um „Das Verlangen“ zu einem einigermaßen aufwühlenden Ende zu bringen. Aber gerade mit dieser dritten Tat steuert die Geschichte einer vereinsamten, um ihr Leben betrogenen Frau, die um ihr Recht auf Liebe, Zärtlichkeit und eine eigene Stimme ringt, letztlich in die Fallstudie einer psychisch Kranken. Das verengt den Film, und so kehrt „Das Verlangen“ vom überwindbaren Unglück doch wieder zum unüberwindbaren Schicksal zurück.