- | Schweden 1921 | 85 (bei 18 B/pro Sek.) Minuten

Regie: Mauritz Stiller

Ein Jungbauer heiratet gegen den Willen seiner Mutter die Magd seiner Eltern. Als sich ein Fremder auf dem Hof einstellt, der ihr Avancen macht, widersteht die Frau seinem Werben, brennt dann aber mit ihm durch. Der Ehemann nimmt die Verfolgung auf und stellt den vermeintlichen Entführer, muss aber erkennen, dass seine Frau ihm freiwillig gefolgt ist. Doch der Kampf ist unausweichlich, der Bauer gewinnt und versöhnt sich mit seiner Frau. Erste Verfilmung eines Klassikers der modernen finnischen Literatur, deren triviale Dreiecksgeschichte durch die vielschichtige Personenzeichnung aufgebrochen wird. Der Film entstand unter freiem Himmel, wobei die Naturelemente Licht und Wasser nicht nur die Inszenierung bestimmen, sondern ihren Gehalt auch symbolisch überhöhen. Restaurierte, neu viragierte Fassung, unterlegt mit einer neuen Musik. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JOHAN
Produktionsland
Schweden
Produktionsjahr
1921
Produktionsfirma
Svensk Filmindustri/Svenska Biografteatern
Regie
Mauritz Stiller
Buch
Mauritz Stiller · Arthur Nordeen
Kamera
Hendrik Jaenzon
Musik
Alexander Popov
Darsteller
Jenny Hasselqvist (Marit) · Mathias Taube (Johan) · Urho Somersalmi (Vallevan, der Fremde) · Hildegard Harring (Johans Mutter) · Lilly Berg (Magd)
Länge
85 (bei 18 B
pro Sek.) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Mauritz Stiller, 1883 in Helsinki als Sohn russischer Juden geboren, kam 1912 zur schwedischen Filmfirma Svensk Biografteatern, wo er bald den Ruf eines guten Geschichtenerzählers und Perfektionisten besaß. Der musikalische Rhythmus seiner Filme resultierte aus einer innovativen, zu ihrer Zeit einzigartigen Schnitt- und Montagetechnik; seine Dramaturgie orientierte sich an literarischen Traditionen und zeichnet sich durch komplexe psychologische Charaktere aus. Die Helden stehen oft im Widerspruch und Konflikt mit der Gesellschaft: Außenseiter, Waisen, Entflohene, deren Bindung zu ihren natürlichen Milieus für ihren Charakter bezeichnend sind. „Unglücklicherweise gilt Stiller zum großen Teil nur als der Entdecker von Greta Garbo und als der Schwede, der in Hollywood scheiterte. Die wunderbaren Restaurierungen des schwedischen Filminstituts sollten dieses Fehlurteil ein für allemal ausräumen“, erklärte Jytte Jensen vom Museum of Modern Art in New York anlässlich einer Retrospektive des Regisseurs. Vallevan, ein Abenteurer und Herzensbrecher, ist neben dem Fluss mit seinen gefährlichen Stromschnellen der eigentliche Held des Stummfilms „Johan“. Wie dieser gilt er als unberechenbar, unstet und unehrenhaft. Zusammen mit Kanalarbeitern kommt er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf der Durchreise an einem Bauernhof vorbei, wo ihm die junge Marit auffällt. Das „Frühlingserwachen ihres Herzens“ ermutigt Vallevan zu einem Kuss, der mit einer Ohrfeige beantwortet wird. Zwei Jahre später rettet Marit den bei Holzarbeiten gestürzten Bauern Johan. Der in die Jahre gekommene Hofbesitzer möchte das vor 18 Jahren vor dem Schneetod gerettete Waisenmädchen schon lange heiraten, doch seine dominante Mutter verwehrt es ihm. Als Marit weggeschickt wird, fordert Johan sie zum Bleiben auf. Trotz der baldigen Heirat bleibt in Marit die Sehnsucht nach dem Fremden wach; der taucht eines Tages mit einem Geschenk auf. Von ihrer Schwiegermutter schlecht behandelt, gibt die Unglückliche dem Werben des Fremden nach und steigt in sein Boot – trotz der Angst vor den Stromschnellen. Verzweifelt sucht der gehbehindete Johan die Küste nach Marit ab. Das heimliche Leben empfindet jene „wie einen Traum“, während ihr Geliebter darin nur einen „Teufelssieg“ erkennt, handelt es sich doch um eine verheiratete Frau. Ein alter Fischer klärt sie über Vallevans diverse Liebschaften auf, und Marit bereut ihren Entschluss. Als Johan das Versteck findet, kommt es zum Kampf zwischen den Männern. Marit fleht Johan an, sie mit sich zu nehmen, da ihr sonst nur der Gang ins Wasser bleibt. „Sie fuhren nach Hause, gegen den Strom. Da wurde ihr Schicksal klar. Und zwischen sie trat eine Stille, die das Glück schenkt“, lautet der Schlusskommentar. „Johan“ steht in der Tradition des nordischen Widerstreits der Geschlechter. Stillers Variaton der archaisch-universellen Dreiecksgeschichte ist fest eingebettet in den Makrokosmos von Mensch und Natur. Ein Fremder kommt in eine festgefügte Gemeinschaft – mit dominierender Mutter, einem schwachen Sohn, der sich am Ende gegen sie auflehnt und das Waisenmädchen heiratet – und wird zum Katalysator, indem er unerwartete Reaktionen im moralischen wie sozialen Rahmen auslöst. Marit geht freiwillig mit Vallevan. Ihr Ausbruch ist ein Akt der Verzweiflung, der Jugend. Am Ende, nach dem Ehebruch, nachdem sie ihren Fehler eingesehen hat, bittet sie ihren Mann um Vergebung. Stiller bettet seine melodramatische Handlung in das Leben auf dem Bauernhof, die Natur, die Landschaften und das Licht seiner Heimat ein. Das episch-lyrische erzählte Filmdrama wirkt auch durch die einfühlsame, den jeweiligen Stationen adäquat angepasste Musik. Da sich Finnland während der Dreharbeiten zu „Johan“ noch im Unabhängigkeitskampf mit Russland befand, verlegte Stiller die Aufnahmen während des nordischen Sommers nach Lappland. Die Magie der Mitternachtssonne, die riesigen Wälder und großen Flüsse mit ihren Stromschnellen avancierten zu gleichwertigen Darstellern neben den Schauspielern. Der finnische Schriftsteller Juhani Aho ließ seinen Roman mit dem Selbstmord des Ehemanns enden und favorisierte die realistische Tragödie. Stillers freie Adaption weist eine Variation der Geschichte und eine moralische Wendung auf. „Mein Johan geht in den Tod, weil er keine Chance mehr sieht, mit seiner Frau weiter zusammen zu leben. Mein ‚Johan‘ wollte eine Strafpredigt in einer Tragödie sein, der Film ‚Johan‘ ist eine Moralpredigt mit einer konventionellen Versöhnung“, schrieb er im April 1921 an Mauritz Stiller. Aki Kaurismäkis Stummfilm „Juha“ (fd 33 597) bezieht sich explizit als Hommage auf Stillers Werk und wählt einen viel vordergründigeren Zugang zu dem Stoff. Das Originalnegativ wurde 1941 durch einen Brand vernichtet, 20 Jahre später fand man eine gekürzte Schwarz-Weiß-Fassung und versah sie mit Zwischentiteln aus dem schwedischen Filmarchiv. 1971 scheiterte ein Farbrestaurierungsversuch; erst 2000 brachte das neue Desmet-Verfahren den Erfolg: Der Schwarz-Weiß-Film wurde auf ein Farbpositv kopiert und davon eine gelb-orange viragierte Kopie gezogen. Arte hat die gegenüber der Originallänge immer noch um etwa 25 Minuten kürzere Fassung von Alexander Popov (Jhrg. 1957) mit einer einfühlsamen neuen Musik versehen lassen, da die Uraufführungsmusik von Rudolf Sahlberg nicht vollständig überliefert ist. Das ensemble KONTRASTE (Leitung: Frank Strobel) spielte sie im Februar 2001 bei den Erlanger Stummfilm Musiktagen ein. Die psychologischen und emotionalen Momente der als Fünfakter aufgebauten Geschichte harmonieren nicht zuletzt durch die zurückgenommene, auf subtile Zwischentöne und innere Spannung konzentrierte Komposition.
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