- | Deutschland 2002 | 100 Minuten

Regie: Doris Dörrie

Drei befreundete Paare um die 30 thematisieren ihre Beziehungen und Liebesvorstellungen und müssen feststellen, dass sie sich alle nach etwas anderem sehnen als nach dem, was sie haben. Von hervorragenden Darstellern getragene Verfilmung eines Bühnenstücks, das seine Theaterhaftigkeit durch die Reduktion der Kamerabewegungen noch unterstreicht. Trotz des ernsthaften Themas verliert der hintergründige, perfekt ausgestattete "Seelen-Striptease" nie seine Leichtigkeit und verdichtet sich dank der fantasievollen Inszenierung zu einem bemerkenswerten Vergnügen. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Constantin/Fanes Film/megaherz
Regie
Doris Dörrie
Buch
Doris Dörrie
Kamera
Frank Griebe
Musik
Ivan Hajek · Florian Riedl · Martin Kolb
Schnitt
Inez Regnier · Frank Müller
Darsteller
Heike Makatsch (Emilia) · Benno Fürmann (Felix) · Alexandra Maria Lara (Annette) · Jürgen Vogel (Boris) · Nina Hoss (Charlotte)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Verleih DVD
Universum Film
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Diskussion
Die Unterschiede zwischen den verwaschenen Bildern der Vergangenheit und den klaren Konturen der Gegenwart sind beredt: Die guten Zeiten sind vorbei, als sich drei befreundete Paare um die 30 an einem Samstagsabend wieder einmal zum gemeinsamen Essen verabreden. Felix und Emilia haben sich vor einiger Zeit getrennt und sind längst noch nicht darüber hinweg; Dylan und Charlotte haben es zwar aufgrund seiner erfolgreichen Börsengeschäfte „ökonomisch geschafft“, dafür aber kriselt es seit längerem in ihrer Beziehung; Annette und Boris haben die ersten Schritte der Etablierung hinter sich und sind (noch) glücklich miteinander. Auch die Beziehungen innerhalb der Gruppe haben sich verändert, es gibt Spannungen, Enttäuschungen, Neid und Misstrauen. So fließen in das flotte, eingeübte Party-Parlando, das die unterschwelligen Spannungen zunächst camouflieren hilft, einige Spitzen ein. „Erwachsen sein“, „Krise“ und die Therapien dagegen (Workout, Joggen, Sex) fungieren als Chiffren für die ganz großen Themen: das Leben, die Liebe, das Glück. Es ist Felix, der den Ball, eher zufällig, ins Rollen bringt. Charlottes Liebesvorstellung kontert er mit einer nüchternen Relativierung: Forschungen hätten gezeigt, dass die Partnerwahl mit dem Geruchssinn gekoppelt sei. Derlei Einsicht in die Unwillkürlichkeit der Partnerwahl kollidiert mit Charlottes leicht hysterischer Romantik und macht sie „traurig“. Jetzt springt Emilia, die am Max-Planck-Institut beschäftigt ist, Felix zur Seite und berichtet, dass die „kognitive Verhaltensforschung“ gezeigt habe, dass selbst Paare, die längere Zeit miteinander leben, einander mit verbundenen Augen nicht per Tastsinn identifizieren könnten. Unversehens steht eine Wette im Raum, und wenige Minuten stehen vier der sechs Personen nackt im Wohnzimmer. Keine Frage, man befindet sich mitten im Territorium von Doris Dörrie, die sich längst in der Kunst perfektioniert hat, bestimmte Zeitgeisterscheinungen mit leichter Hand aufzugreifen, sie durch Abstraktion bis zu ihrer Erkennbarkeit zuzuspitzen und dabei oberflächlich satirische Ansätze immer wieder nachdrücklich und philosophisch in Richtung Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit zu treiben. Dem Film liegt ihr eigenes Theaterstück „Happy“ zugrunde, was ihm eine eigenwillige, strenge Struktur verliehen hat. Jedes Paar wird zunächst in seinem Lebensraum vorgestellt, wobei Ausstatter Bernd Lepel ganze Arbeit geleistet hat: alle Räume stecken voller Details, die dem Zuschauer wichtige Hintergrundinformationen zur Situation und zum Status liefern. Da ist Emilias unfertige, zugleich verspielte Wohnung mit dem aufgebauten Zelt und dem aufgeblasenen Schlauchboot; und da ist die Wohnung von Boris und Annette, eine geschmackvolle Kompilation der Höhepunkte der IKEA-Kataloge der letzten fünf Jahre, angereichert um einige kostspieligere Designerstücke. Die Steigerung ist der luxuriöse, fensterlose Loft von Dylan und Charlotte, der durch verschiebbare, transparente Wände strukturiert wird und in dem einige stilisierte Grünanlagen für Nuancen sorgen. Von vergleichbarer Informationsdichte sind die Dialoge, was dem Film mitunter die angestrengte (Über-)Deutlichkeit eines Brechtschen Lehrstücks verleiht. Die Theaterhaftigkeit der Inszenierung wird durch das Scope-Format und die auffällige Reduktion von Kamerabewegungen unterstrichen. So verlässt sich Doris Dörrie ganz auf ihre Fähigkeit, pointierte Dialoge und Statements („Jetzt bin ich happy, aber früher waren wir glücklich“) zu schreiben, die unvermittelt – insbesondere im letzten Drittel – insistierend in die Tiefe gehen und auf ein Ensemble von erstklassigen Darstellern vertrauen, die die ungewöhnlichen Vorgaben – minutenlange Einstellungen ohne Schnitt; der Mut, sich nackt zu präsentieren – umzusetzen wissen. Bereits die Wahl der Schauspieler erweist sich als Glücksfall, wobei diese die Gunst der Stunde sowie die „lange Leine“, die ihnen Doris Dörrie lässt, zu nutzen verstehen, allen voran der charismatische Mehmet Kurtulus als naiv-pragmatischer Sündenbock Dylan und Nina Hoss als enervierende, egozentrische Charlotte. Nach dem gemeinsamen Abendessen, das im vorhersehbaren Desaster endet, registriert der Film in konsequenter Symmetrie die Folgen der „Katastrophe“ bei jedem Paar, und es folgt – mit unterschiedlicher Härte und unterschiedlichem Verlauf – ein zweiter, ungleich ernster zu nehmender „Seelen-Striptease“, mit dem sich erst jetzt der Filmtitel einlöst. Worum es letztlich geht, deutet Annette an: „Das andere Leben. Alle sehnen sich nach etwas anderem. Die Glücklichen, die wirklich zusammenleben, weil sie sich lieben, sind so wenige. Die ganzen Familien, die, wenn ihre Mörderfantasien ans Licht kämen, alle eingesperrt werden müssten.“ Andererseits – und das darf man nicht übersehen – atmet der Film eine surreale Leichtigkeit, die auch dadurch entsteht, dass die Figuren unvermittelt Chansons zu singen beginnen oder mit einem Fahrrad durch die Wohnung fahren. Dadurch erscheint „Nackt“ fantasievoll und fantastisch wie seinerzeit beim jungen Godard – und wird zum reinen Vergnügen.
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