I love Beijing

- | VR China 2000 | 97 Minuten

Regie: Ning Ying

Die Tage und Nächte eines wortkargen chinesischen Taxifahrers in der Elf-Millionen-Stadt Peking, der von seiner Frau verlassen wurde und in Kollegenkreisen als Herzensbrecher gilt. Einblicke in sein Innenleben werden kaum gewährt, vielmehr wird die chinesische Hauptstadt zum erzählerischen Zentrum des Films. In zahlreichen Fahrtaufnahmen fernab von touristischen Sehenswürdigkeiten kommt die Metropole ins Bild, unterstützt von einer wirkungsvollen Kameraarbeit, die den Protagonisten stets als ein wenig von seiner Umgebung isoliert zeigt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
XIARI NUANYANGYANG
Produktionsland
VR China
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Eurasia Communications/Happy Village
Regie
Ning Ying
Buch
Dai Ning · Ning Ying
Kamera
Fei Gao
Musik
Xiaomin Zhu
Schnitt
Ning Ying
Darsteller
Yu Lei (Dezi) · Zuo Baitao · Hong Tao · Yi Gai · Miao Liu
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Den Platz des Himmlischen Friedens nimmt man im Vorbeifahren nur kurz auf der linken Seite wahr. Auch als der Taxifahrer Dezi (Yu Lei) mit einer Unbekannten, mit der man ihn verkuppeln will, zur Großen Mauer aufbricht, bleibt die Kamera auf einer tristen Ausfallstrasse zurück. „I love Beijing“ beginnt zwar im en passant aufgeschnappten Small Talk einiger Amerikaner mit der Frage nach dem schönsten Ort Pekings, doch ist es nie der auf Sehenswürdigkeiten gerichtete, touristische Blick, den die Regisseurin Ning Ying in ihrem vierten Spielfilm auf Chinas Kapitale wirft. Ebenso wenig werden indesse n die Schattenseiten einer wuchernden Mega-City hervorgekehrt. Während der berühmteste Taxifahrer der Filmgeschichte sein New York nur als eine Kloake sieht, die einzig ein sintflutartiger Regen reinigen könnte, scheint dieser Pekinger Taxi Driver gegenüber seinem Arbeitsgebiet keinen vergleichbaren Ekel zu empfinden. Allerdings ist schwer auszumachen, was der wortkarge junge Mann überhaupt denkt und fühlt, denn Ning, die auch für das Drehbuch mitverantwortlich zeichnet, gewährt kaum Einblicke in Dezis Innenleben. Man lernt ihn bei jenen zermürbenden Behördengängen kennen, die der chinesische Staat scheidungswilligen Paaren abverlangt. Während der Redefluss seiner Ehefrau kaum zu bremsen ist, behält Dezi seine Gedanken weitgehend für sich. Ein einziges Mal sieht man ihn in der Wohnung, die er mit seiner Mutter und seiner Frau teilt – bis zu eben diesem Zeitpunkt, da sie ihre Sachen packt und ihn verlässt. Danach ist Dezi fast nur noch mit seinem Taxi unterwegs, am Tag und in der Nacht. Einmal trifft er sich mit einer Geliebten, nach deren plötzlichem Selbstmord man später erfährt, dass auch diese Beziehung zwischenzeitlich in die Brüche gegangen war. Unvermittelt erkennt man ihn schließlich bei Aufnahmen zu Hochzeitsfotos mit einer für die Zuschauer gänzlich Unbekannten. Das Wort ergreift Dezi noch am ehesten in den Diskussionen seiner Kollegen, in denen Eigentumsrechte rhetorisch gegen staatliche Auflagen in Stellung gebracht werden. Auch wenn er auf der Strasse versucht, Bekanntschaften mit Frauen zu schließen, ist der Mann nicht auf den Mund gefallen. Seinen Eroberungen imponiert er dann, indem er ihnen in einer in Chrom und Glas funkelnden Mall ein Getränk im Gegenwert eines durchschnittlichen Wochenlohnes spendiert. So gilt Dezi unter seinen Kollegen als Herzensbrecher, doch müsste, wenn zuletzt ein weiblicher Fahrgast eine rührende Herz-Schmerz-Ballade intoniert und fragt, ob ihm schon einmal jemand das Herz gebrochen habe, die Antwort im Sinne des Erzählkinos unweigerlich „ja“ lauten. Tatsächlich betont Nings Inszenierung gelegentlich die Verlorenheit dieser Figur, indem sie in Szenen, in denen der Taxifahrer buchstäblich am Boden ist, seine Niedergeschlagenheit durch Zeitlupen mit dezentem Pathos auflädt. Doch bis zuletzt bewahrt Yu Leis ausdrucklose Miene dieser Figur eine Aura der Verschlossenheit. Letztlich fungiert Dezi in „I love Beijing“ ohnehin weniger als Protagonist denn als Anbieter einer Mitfahrgelegenheit. So schweift der Blick der Kamera immer wieder von ihm ab und wendet sich der eigentlichen Hauptfigur zu: Peking um die Jahrtausendwende. Zwischen dem Kino und einer durch das Großstadterlebnis geprägten Wahrnehmung besteht eine oft zitierte Verwandtschaft, die in den 20er-Jahren in den filmischen Großstadt-Sinfonien mündete. Zwar markierte Charles Sheelers und Paul Strands „Manhatta“ den Beginn dieses Filmzyklus, doch konnte in den 30er-Jahren vom fernen Hollywood aus das amerikanische Kino die umwälzenden Veränderungen, welche die paradigmatische Metropole der Moderne durchlebte, kaum noch einfangen: So blieb es der Fotografin Berenice Abbott vorbehalten, das „Changing New York“ für die Nachwelt zu bewahren. In einer Phase mindestens ebenso turbulenter Veränderungen der Elf-Millionen-Stadt Peking treten die chinesischen Filmemacher immer wieder als faszinierte Chronisten des urbanen Wandels auf. Unlängst lief mit „Beijing Bicycle“ (fd 35 340) ein Film in den deutschen Kinos, der seine Figuren – und mit diesen die Kamera – auf einem Fahrrad gelegentliche Streifzüge durch Chinas Hauptstadt unternehmen ließ. In ihrem vorherigen Film „Auf Streife“ (fd 32 576) war Ning ihren Figuren ebenfalls auf dem Fahrrad gefolgt, doch hatte sie den Eindruck, dass dieses Tempo zu langsam sei, um den rasanten Wandel Pekings zu erfassen. Deshalb, so die Regisseurin, habe bei diesem Film nun der Gedanke an die schnelle Fahrweise der Taxifahrer am Anfang gestanden, so dass es wohl durchaus beabsichtigt ist, wenn in diesem Film die zahlreichen Fahrtaufnahmen letztlich wichtiger als die Handlung erscheinen. Zumeist werden dieser Fahrten von Musik untermalt, von sentimentalem chinesischem Pop, Anflügen von Cool Jazz und Latino-inspirierten Klängen, zu deren Rhythmus bisweilen auch die Bilder der Hochhäuser und Baustellen, die an den Autofenstern vorbei gleiten, geschnitten sind. Eine agile Steadicam und Jump Cuts versuchen, die Unmittelbarkeit und desorientierende Wirkung der Großstadterfahrung nachzuahmen, während Weitwinkelobjektive die räumliche Erfahrung leicht verfremden und Dezi von seiner Umgebung zusätzlich isolieren. So gilt, selbst wenn man nicht weiß, inwiefern Dezi sich die Aussage des Filmtitels zu eigen machen für würde, zumindest für die Kamera von Gao Fei: „I love Beijing“.
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