Beijing Bicycle

Drama | VR China/Frankreich 2001 | 113 Minuten

Regie: Wang Xiaoshuai

Ein junger Mann vom Land versucht, in Peking als Fahrradkurier zu Wohlstand und Ansehen zu kommen. Als man sein Fahrrad stiehlt und ein Student als prestigeträchtiger neuer Besitzer auftaucht, wird er vor eine Menge Probleme gestellt, zumal alle Versuche, sich gütlich und solidarisch zu arrangieren, scheitern. Ein bemerkenswerter Film über die gesellschaftlichen Spannungen im Schwellenland China, der die Gegensätze von Stadt und Land, von Reich und Arm in augenfällige Bilder fasst und den Traum von einer individuellen Karriere aus eigener Kraft als frommen Wunsch charakterisiert. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SHI QI SUI DE DAN CHE
Produktionsland
VR China/Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Arc Light Films/Pyramide Prod.
Regie
Wang Xiaoshuai
Buch
Wang Xiaoshuai · Tang Danian · Peggy Chiao · Hsu Hsiao-ming
Kamera
Liu Jie
Musik
Wang Feng
Schnitt
Liao Ching-song
Darsteller
Cui Lin (Guei) · Li Bin (Jian) · Zhou Xun (Qin) · Gao Yuanyuan (Xiao) · Li Shuang (Da Huan)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Sunfilm (16:9, 1.85:1, DD5.1 kanton./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Talking Heads: Einige Jungendliche werden einem oberflächlichen Bewerbungsgespräch unterzogen. Sie antworten verlegen, ungelenk, mitunter schlitzohrig. „Beijing Bicycle“ hat einen semi-dokumentarischen Prolog. Die sich anschließende, titelunterlegte Bildsequenz zeigt dann zeitlupenmanipulierte Großaufnahmen von Fahrradrädern. Semi-Dokumentarismus und Poesie: dieses neorealistische Rezept für eine Reflexion aufs Soziale charakterisiert auch „Beijing Bicycle“ (sodass der eindeutigere deutsche Zusatz „Fahrraddiebe“, wenngleich unglücklich, doch vertretbar ist). De Sicas Rekurs aufs Melodramatische hat Regisseur Wang Xiaoshuai allerdings zugunsten eines sardonischen Ausbuchstabierens unlösbarer Widersprüche aufgegeben, die einer im radikalen Umbruch befindlichen Gesellschaft erwachsen. Auf der Suche nach einem Job landen die Jungen vom Lande in Peking häufig bei Fahrradkurieren. Sie werden von der Firma gewaschen und frisiert, bekommen Unterkunft, Verpflegung und ein schönes Fahrrad auf Leasing-Basis. Sind sie erfolgreich, geht das Fahrrad in ihren Besitz über. Was „erfolgreich“ ist, bestimmt die Firma. Guei ist einer von jenen, die auf diese Weise ihre Chance auf ein Leben in der Großstadt nutzen wollen und die Regeln, aber auch die Topografie der Großstadt gewissermaßen „on the job“ erfahren müssen. Das, was man sich auf dem Land von der Stadt erzählt, will verifiziert sein. Stimmt es, dass ein Leben im Reichtum unglücklich macht? So, wie die mysteriöse Nachbarin des Freundes in ihrem großen Haus unglücklich zu sein scheint? Stimmt es, dass auf den Toiletten der großen Hotels Musik gespielt wird? Als Fahrradkurier hat man doch qua Job Zugang zum Alltag der herrschenden Klasse. Allerdings ist der mobile Beobachterstatus längst noch kein Eintrittsbillett zur Teilnahme an deren Leben. Der naive, in seiner Naivität aber beharrliche Guei hat (erwartbares) Pech: Erst wird er von seiner Firma und von einer Hotelangestellten betrogen, dann wird ihm das Rad gestohlen, in der Folge vermasselt er einen Auftrag und verliert seinen Job. In Peking gebe es Tausende solcher Fahrräder, doch wenn Guei seines wieder finde, bekomme er noch eine Chance, sagt der Manager. Da Guei jedes Gespür für Ironie fehlt, macht er sich störrisch auf die aussichtslose Suche. In seiner Verzweiflung wird er selbst fast zum Dieb und fällt zum wiederholten Mal dem genervten Manager zur Last. Doch dann hat er wider Erwarten Glück. Allerdings befindet sich sein Rad jetzt im Besitz des Studenten Jian, der dafür auf dem Flohmarkt bezahlt haben will. Die Exposition Jians gehört zu den Höhepunkten des Films. Zwei, drei Szenen machen deutlich, was der Besitz des Fahrrads als Statussymbol für ihn bedeutet: Prestige innerhalb seiner Fahrrad vernarrten Clique, Ermöglichung einer zarten Liebesgeschichte, ein Gefühl von Ich-Stärke und Identität. Es beginnt ein langer, zäher Kampf um das Rad; beide Jungen klammern sich buchstäblich an ihren Besitz. Schließlich siegt die Vernunft, man einigt sich auf einen modus vivendi: Bicycle-Sharing. Doch dieser Prozess hin zu einem solidarischen Handeln hat zu lange gedauert; längst haben sich die konstitutiven Bedingungen für den Handel geändert. Als Jian erkennen muss, dass das Fahrrad für ihn in dieser (halben) Form wertlos ist, greift er aus gekränkter Eitelkeit auf archaische Muster zurück. „Beijing Bicycle“ nutzt die einfache, tragfähige Fabel, um ein recht trostloses Bild des heutigen China zu zeichnen. Hauptwiderspruch ist dabei der traditionelle Widerspruch von Stadt und Land, der sich in der kaum kaschierten Kluft zwischen Zentrum und Peripherie Pekings fortsetzt. Es mag ja sein, dass das Zentrum Pekings mit blank geputzten Fassaden und Individualverkehr längst wie eine normale Weltmetropole aussieht; es mag auch sein, dass das Führungspersonal im Dienstleistungssektor mit lässig kosmopolitischer Professionalität auftritt. Doch wenige Schritte hinter dieser glänzenden, materialistischen Oberfläche existieren große Armut und traditionell geprägte Vorstädte, in denen Transportgeschäfte noch mit dem Karren erledigt werden. Hier investieren Eltern in die kostspielige Ausbildung ihrer Kinder, können aber die in Aussicht gestellten Gratifikationen nicht finanzieren. Der Film findet für die gesellschaftlichen Spannungen eines Schwellenlandes prägnante Bilder. Gerade, weil das Fahrrad in China augenscheinlich noch immer ein Hauptfortbewegungsmittel ist, vermag die Geschichte mit dem Anspruch der Repräsentativität auftreten. Regisseur Wang Xiaoshuai hat angemerkt, dass das Fahrrad im heutigen China vom „Zeichen für Wohlstand und Pfiffigkeit“ zum Symbol für „Mangel an Wohlstand“ geworden sei.
Kommentar verfassen

Kommentieren