Hollywoods standhafte Kinohelden sind hinter den Drug Lords, den reichen Drahtziehern des internationalen Drogenhandels, schon so lange her, wie es Actionfilme gibt. Der Kampf gegen die Drogenkartelle erstreckt sich von „Brennpunkt Brooklyn“
(fd 17 686) über „James Bond 007 - Lizenz zum Töten“
(fd 27 746) bis zu Tom Clancys „Das Kartell“
(fd 31 003). Die Stereotype der amerikanischen Filmindustrie im Umgang mit dem Rauschgiftproblem sind ebenso allgemein bekannt wie die Regierungspolitik, die den „war on drugs“ schon zu Zeiten der Nixon-Administration erklärte und bis heutigen Tag aufrecht erhält. Das Ergebnis dieser Politik sind 400.000 Amerikaner, die wegen Verstoßes gegen das Drogengesetz hinter Gittern sitzen und von denen 85 Prozent rückfällig werden, sobald sie entlassen sind, während an der Front des Drogenhandels alles beim Alten bleibt. Die Unlogik des „war on drugs“ hat in den letzten Jahren zu Reformvorschlägen und Volksabstimmungen geführt, ohne dass sich in Washington etwas geändert hätte. Die Filme der Hollywood-Studios, die sich mit dem Thema befassen, weichen der Konfliktstellung aus. Kein Wunder deshalb, dass sich Steven Soderbergh für sein Projekt eines „ehrlichen“ Drogenfilms nur Absagen holte, bis er es schließlich bei einem Außenseiter unterbringen konnte.
Die Handlung basiert auf einer zwölf Jahre alten britischen Fernsehserie. Zur leichteren Identifikation des amerikanischen Kinopublikums mit den Figuren und Fakten des Films wurde die Story von Asien und Europa nach Nord- und Mittelamerika verlegt. Mit den Worten des Regisseurs ist es „eine Art ‘Upstairs, Downstairs’ über den Weg der Drogen von Mexiko zu einer Straßenecke in Cincinnati“. Mehrere Handlungsstränge entwickeln sich parallel zueinander und werden kunstvoll verstrickt: der Kampf eines mexikanischen Grenzpolizisten, der sich zwischen dem Ethos seines Berufs und der Korruptheit seiner Oberen mühsam hindurch manövriert; die Orientierungssuche eines frisch bestallten Chefs der Washingtoner Drogenbekämpfung, der feststellen muss, dass seine 16-jährige Tochter abhängig ist; und die Story eines reichen Drogenhändlers, dessen bis dahin ahnungslose Frau das Heft in die Hand nimmt, als ihr Mann gefasst und vor Gericht gestellt wird. Drehbuchautor Stephen Gahan hat bekannt, dass er eigentlich lieber eine Art „Dr. Strangelove“ über den Drogenkrieg geschrieben hätte. Doch Soderbergh habe ihn davon abgehalten: „Ich will es ganz groß, ich will ein Epos.“ Ein Epos hat er bekommen - mit allen Höhen und Tiefen, die dazu gehören. Gaghan hat nach eigener Aussage eine Menge persönlicher Erfahrungen einfließen lassen. Sie machen die Geschichte der intelligenten, verführbaren Tochter des „Drogen-Zaren“ besonders beunruhigend. Auch bei den Recherchen auf beiden Seiten der mexikanischen Grenze hat Gaghan genau hingesehen. Die Kalamitäten beginnen erst mit der über weite Teile des Films verteilten Melodramatik und der kinohaften Charakterisierung der Figuren. Dass sich der Film zwischen Polizei-Story, politischem Thriller, sozialkritischem Protest und dramatischer Familiengeschichte nicht entscheiden kann, sondern ein Amalgam aus all diesen verschiedenen Aspekten versucht, mag ihm verziehen sein; dass aber die „Kombination aus ‘Nashville’ und ‘The French Connection’“ (Soderbergh) bei vielen der Hauptfiguren tief in die Soap-Opera-Kiste greift statt originelle Personen mit einer unorthodoxen Individualität aufzubauen, raubt der Handlung viel von der beabsichtigen Effektivität. Was „Traffic“ bietet, ist ein ehrgeiziges und kritisches Konzept, dem eine artifizielle und gleichzeitig zuschauerfreundliche Maske übergestülpt wird. Das Hässliche wird konsumierbar gemacht, das Riskante durch die Beteiligung von Stars und echten Politikern hoffähig. Wirklich interessant wäre, einen Film zu sehen, der da beginnt, wo dieser endet. Soderberghs Epos schließt mit der brennenden Frage, ob wir den „war on drugs“ tatsächlich auch in unseren eigenen Familien führen wollen. Ob den vom Drogenkonsum zerstörten Familien jedoch mit der Weisheit unserer Politiker, Soziologen und Therapeuten überhaupt zu helfen ist, diese entscheidende Frage ist wohl zu unpopulär, um als Thema eines Films zu dienen, der an den Kinokassen der Welt ein Erfolg werden möchte.
Amerikanisches Publikum und amerikanische Kritiker sind so beeindruckt davon, dass überhaupt einmal jemand das Rauschgiftthema ernst nimmt, dass sie dem Film im Überschwang ihrer Gefühle alle Schwächen verzeihen. Aber „Traffic“ ist nicht das Meisterwerk, als das man ihn hinstellt. Es wirft fast schon ein ironisches Schlaglicht auf die Praxis von Jurys und Kritikergremien, dass sie alle wie auf Absprache Soderbergh ausgerechnet für diesen Film preisgekrönt sehen möchten, mit dem sich der eminent begabte und versatile Filmemacher in seiner Karriere dem Kommerzfilm am stärksten annähert. Soderbergh hat bei den Aufnahmen zu „Traffic“ - unter dem Pseudonym Peter Andrews - auch die Kamera geführt und versucht, der Handlung das Aussehen eines dokumentarisch recherchierten Reports zu verleihen. Durch den Gebrauch von Filtern und Viragierungen setzt er farbliche Unterscheidungsmerkmale für jede der verschiedenen Geschichten: braun für Mexiko, blau für Cincinnati und kalifornisch aufgehellt für San Diego. Auch bei der Montage ist Soderbergh sehr überlegt vorgegangen. Die einzelnen Komplexe, die zu Anfang noch ohne deutliche Verbindung nebeneinander stehen, verzahnen sich im Verlauf des Films zu einem eindrucksvollen Beziehungspuzzle. Doch so clever das alles eingefädelt und verwirklicht ist, kann es früheren Leistungen Soderbergs nicht das Wasser reichen. Hatte er mit „Out of Sight“
(fd 33 323) bereits ein Musterbeispiel intelligenter Montagetechnik abgeliefert, so schuf er mit „The Limey“
(fd 34 024) einen so kunstvoll erzählten Film, dass sich Story und Charaktere aus einem Geflecht von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, von realen Ereignissen, Gedanken und Erinnerungen wie auch aus fortwährenden Kontradiktionen und Analogien zusammensetzten. Niemand fand es angebracht, Soderbergh für diese Leistung als „besten Regisseur“ auszuzeichnen. Kann man es ihm verdenken, dass er sein Talent nun einem „großen Epos“ nutzbar gemacht hat? Mit „Erin Brockovich
(fd 34 174) verstand er es, eine aufregend realistische Geschichte so publikumsgerecht zu verpacken, dass er zum ersten Mal in seiner Laufbahn einen respektablen Kassenerfolg erzielte. Bleibt nur zu hoffen, dass er seine Begabung in Zukunft nicht verschwendet und genug Einsicht besitzt, um seinen jüngsten Film zum Beispiel einmal mit Paul Thomas Andersons „Magnolia“
(fd 34 178) zu vergleichen, damit er ein Gespür dafür bekommt, wie ein intelligenter Ensemblefilm aussehen kann.