Um einen Menschen, der sich an den Rand seiner Existenz und darüber hinaus begeben muss, um zu sich selbst zu finden, ging es schon in „The Sixth Sense“
(fd 34 020), jenem Geisterdrama, das eine Magie verströmte wie kaum ein anderer aktueller Film dieses Genres. Der indischstämmige Regisseur und Drehbuchautor der M. Night Shyamalan, dieselben Produzenten und sogar derselbe Hauptdarsteller Bruce Willis fanden auch im Folgeprojekt zueinander, und Shyamalan blieb seinem Thema treu. Auch hier ist eine Familie, die auseinander bricht, Keimzelle und Angelpunkt der Geschichte. Dorthin und in sein trostloses Leben als Security-Wächter eines Footballstadium kehrt David zurück, nachdem sein Tod schon unausweichlich schien. Das Leben, das er für mehr als normal hielt, erscheint anderen plötzlich wie ein Wunder: David ist der einzige Überlebende eines schweren Zugunglücks. Ohne einen Kratzer steigt er aus den Trümmern. Im Krankenhaus blickt er in die entsetzten Gesichter der Angehörigen, bevor er von seinem kleinen Sohn in die Arme genommen wird. Etwas kühler empfängt ihn seine Frau, die er seit einiger Zeit nicht mehr in seine Nähe lässt. Aber das Leben geht zunächst weiter wie bisher, nur einer gibt sich damit nicht zufrieden: ein Mann namens Elijah, der unter der Glasknochen-Krankheit leidet. Er hält David für auserwählt – für einen Menschen, der gleichsam am anderen Ende der Skala steht und durch göttlichen Segen unverwundbar ist, unzerbrechlich. Während David den Mann für verrückt erklärt, nimmt sein Sohn Joseph die Geschichte ernst, so ernst, dass er schließlich auf seinen Vater schießen will, um ihm dessen Unverwundbarkeit zu beweisen. Elijah gibt nicht auf und geht noch weiter: Eines Tages im Stadion versucht er, David davon zu überzeugen, dass dieser die seherische Fähigkeit besitzt, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden.Wie in „The Sixth Sense“ steht ein entwurzelter, einsamer Mann in engem emotionalen Kontakt zu einem Jungen, der mehr über den Mann zu wissen scheint als er selbst, der ihn vielleicht sogar zu retten vermag und dessen ungetrübten Blick er sich erst wieder aneignen muss. Es geht um Schicksal und Bestimmung, um Dinge, die getan werden müssen, um zu sich selbst zu finden, verpackt in einen Mix aus Horror-, Thriller- und Psychodrama-Elementen. Aber Shyamalan ist kein Genre-Regisseur. Hatte er schon für den „The Sixth Sense“ einen höchst eigenwilligen und charakteristischen Stil entwickelt, wendet er ihn hier wieder auf ganz ähnliche Weise an. Seine Bilder sind düster, immer ein wenig unterbelichtet, nur notdürftig und dennoch wirkungsvoll ausgeleuchtet, von matten Farben gekennzeichnet, und sie verzichten oft auf das übliche Schuss-Gegenschuss-System. Die Einstellungen sind so lang, dass man den Figuren beim Durcharbeiten ihrer inneren Konflikte in Ruhe zusehen kann, was den Schauspielern ungewöhnlich viel Freiraum gibt. Zudem drehte der Regisseur mit einem sparsamen Drehverhältnis, das verhindert, dass der Film erst am Schneidetisch entsteht, und er verlangte, die Szenen unbedingt in chronologischer, also der Handlung entsprechender Reihenfolge zu drehen, um die Darsteller die Geschichte quasi selbst erleben zu lassen. Ist Shyamalan damit ein Epigone der dänischen Dogmatiker? Wohl eher ist er, wie diese, ein Nostalgiker, der sich auf schon vergessen geglaubte Qualitäten von Kino bezieht. Sein Kino funktioniert, weil es Fragen stellt, die die menschliche Existenz betreffen, und sie nicht leichtfertig beantwortet. Dass das Übersinnliche herangezogen wird, um wenigstens Erklärungsversuche zu geben, liegt zwar im Trend, hat hier aber keinen esoterischen Beigeschmack, sondern, wie bereits in „The Sixth Sense“, eine religiöse Dimension. Die Figur des Elijah etwa, so fanatisch sie auch gezeichnet ist, trägt nicht umsonst den Namen des Propheten Elias, der in David eine Art Erlösergestalt sieht. Als begebe sich der Film auf die Suche nach Beweisen dafür, welcher Art das Verhältnis der beiden zueinander ist, sind in Rückblenden traumatische Erlebnisse beider Figuren zu sehen, die ihr künftiges Leben vorzeichnen und erst im Moment ihrer Begegnung Sinn machen. Dass David - auch dies ein zentrales Thema des Regisseurs - seinen angeblichen Status als Erlöser nicht anerkennt und sich im Gegenteil mit allen Mitteln dagegen wehrt, hat auch etwas damit zu tun, wie er sich seiner Vergangenheit stellt. Wie in „The Sixth Sense“ fehlt der Hauptfigur der Wille zur Reflexion; hier wie dort muss sie zuerst sich selbst erlösen. Den schwierigen Weg dorthin beschreibt Shyamalan auf eine ganz ungewöhnliche, äußerst spannende Weise.