Pas de café, pas de télé, pas de sexe

- | Schweiz 1999 | 87 Minuten

Regie: Romed Wyder

Ein junger Mann in Genf bittet seinen Freund und Mitbewohner, eine Scheinehe mit seiner französischen Geliebten einzugehen, damit ihr Aufenthalt in der Schweiz gewährleistet ist. Der Freund verliebt sich ebenfalls in die junge Frau, wodurch zwischen den Männern ungeahnte Gräben aufbrechen. Heiter-melancholischer Film über die Wirrungen der Liebe und den Widerspruch von Schein und Sein. Von der rigiden Ausländerpolitik der Schweiz ausgehend, entwickelt sich eine Komödie, die unkonventionell lebende junge Hausbesetzer auf dem Weg in die bürgerliche "Normalität" zeigt. Vorwiegend von beiläufigen Dialogen und ironischem Understatement lebend, von hohem Unterhaltungswert, zugleich ein Lehrstück über die "revolutionäre" Kraft von Männern und Frauen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PAS DE CAFE, PAS DE TELE, PAS DE SEXE
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
DAC de la Ville de Genève/Télévision Suisse Romande/DIP de l'Etat du Valais/Fonds Culturel de Suissimage/Laïa Films/Loterie Suisse Romande/Media Desk Suisse u.a
Regie
Romed Wyder
Buch
Romed Wyder
Kamera
Stéphane Kuthy
Musik
Thierry Clerc · Daniel Schweizer
Schnitt
Orsola Valenti
Darsteller
Vincent Coppey (Arno) · Alexandra Tiedemann (Nina) · Pietro Musillo (Maurizio) · Nalini Selvadoray (Alice)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Zwei Männer und eine Frau - wer denkt da nicht gleich an „Jules und Jim“ (fd 10 930)? Natürlich bleibt auch nach „Pas de café, pas de télé, pas de sexe“ Truffauts grandioses Klassiker unerreicht; dennoch gelang Romed Wyder eine hübsche Sommerdreistigkeit, in der die Gefühle Kobolz schlagen und die Ironie vor allem daraus erwächst, dass die Figuren immer wieder anders handeln als man es von ihnen erwartet. Zum Beispiel Arno. Seit fünf Monaten hat er nichts mehr mit Frauen gehabt, irgendwie will er allen Enttäuschungen aus dem Weg gehen. Er wirkt passiv: „Es hat keine Eile. Ich warte, bis mir eine in die Arme fällt.“ Die Mitbewohnerinnen seines besetzten Hauses bringen es auf den Nenner: Kein Kaffee, kein Fernsehen, kein Sex. Maurizio, sein Freund, scheint das genaue Gegenteil zu sein: Er ist kein Freund von Traurigkeit, wobei Sex und Liebe für ihn nicht unbedingt zusammenfallen müssen; deshalb schläft er auch schon mal mit einer anderen als mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin Nina. Beide Männer geraten aus dem Gleichgewicht: Arno verliebt sich ausgerechnet in diese junge Frau, und Maurizio, den Verfechter des eigenen Seitensprungs, bringt das auf die Palme.

Romed Wyder entwickelt die unterschiedlichen Stationen des Konflikts fast beiläufig. Sein Film ist, obwohl deutlich inszeniert, ein quasi dokumentarischer Blick auf die Gefühlswelten junger Leute in Genf. Das Ambiente des besetzten Hauses und die berufliche Ansiedlung der beiden Männer in der Musikszene tragen maßgeblich dazu bei, ein Milieu jenseits angepasster Yuppies zu konstituieren, wie das im deutschen Lustspiel lange Zeit üblich war. Jene Bürgerlichkeit, die die Helden eigentlich ablehnen, bricht sich dann doch Bahn, wenn es ums ganz Private geht. Als Nina, mit Maurizio im Bett herumalbernd, den nur mit einem Handtuch bekleideten Arno auffordert, sich zu ihnen zu legen, haben beide Männer damit arge Probleme. Arno folgt der Aufforderung nur verschämt, Maurizio wird laut und unwillig. Die Herkunft aus der Hausbesetzer-Szene, die nach außen hin gern als Hort der allseitigen Freizügigkeit behauptet wird, garantiert eben noch lange keine unkonventionelle, gar „revolutionäre“ Haltung zu den intimen Dingen des Lebens. Anders gesagt: Auch die Freunde der Kommune sind in der Konvention angelangt ­ oder waren es schon immer, wer weiß.

Immer wieder spielt Wyder mit dieser Dialektik von Schein und Sein, die ja auch Ausgangspunkt der Geschichte ist. Den Rahmen des Films und den äußeren Antrieb für die Handlung bildet nichts Geringeres als die rigide Ausländerpolitik der Schweiz, die nur mit Tricks und Kniffen unterlaufen werden kann. So sieht es aus, als ob Maurizio seit acht Jahren glücklich verheiratet sei; tatsächlich lebt er in einer Scheinehe, die ihm, dem Italiener, überhaupt erst den Aufenthalt in der Schweiz ermöglicht. Nina, die er nach Genf holt, ist aber französische Staatsbürgerin; so bittet er Arno, mit ihr eine eben solche Scheinehe einzugehen. Mit dem einen verheiratet zu sein, aber den anderen lieben, erweist sich als ungeheuer kompliziert. Wyder tippt die Annäherung von Arno und Nina in knappen Szenen nur an, wie sein Film überhaupt vor allem auf Impressionen statt dramaturgische Knalleffekte baut. Wenn Nina auf dem Markt ein Kleid an den Körper hält, und Arno hinter ihr steht, knistert es hörbar; bis zu einer Umarmung ist es jetzt nicht mehr weit. Beim Kartoffelschälen erzählt er Nina dann eine Geschichte, die ihn selbst charakterisiert: von einem Mann, der das Leben liebt und es zugleich fürchtet, und der auf immer höhere Stühle stieg, um es von oben besser begreifen zu können. Aber er entfernte sich damit auch von den Menschen, und so kletterte er wieder herab: „Man muss das Leben nicht verstehen, um es zu leben.“ Zu den Raffinessen des Films gehört, dass er wichtige Momente indirekt erzählt. Als Arno die erste Nacht mit Nina verbringt, ist die Kamera ausgesperrt; am anderen Morgen aber sieht man Arno in der Küche mit einer Kanne Kaffee hantieren. Das ist perfektes Understatement, ein bisschen wie bei Lubitsch. Auch die Erklärung, weshalb Nina in beide Männer zugleich verliebt ist, wird indirekt mitgeteilt. Maurizio gibt ihre Worte wieder: Beide ergänzen sich gut, Arno beispielsweise sei so zärtlich. Später betritt der unwirsche, in seiner Ehre sichtlich schwer gekränkte Maurizio das Studio und lehnt es gegenüber Arno vehement ab, dass dieser eine ganze Nacht mit Nina verbringt. Genau das hatte Arno dem Mädchen in der vorherigen Szene vorgeschlagen, und dass Maurizio es sofort erfahren hat, unterstreicht sowohl die Offenheit Ninas als auch ihre nach wie vor unbeschädigte Liebe zu Maurizio, die sie durch keine Lüge, kein Versteckspiel gefährden will. Es ist also kompliziert zwischen den Dreien, und die Hochzeit, die im Epilog gefeiert wird, dürfte zur Beruhigung der Lage kaum beitragen. Nicht zuletzt ist der Film ein Lehrstück über Männer und Frauen. Denn sowohl Arno als auch Maurizio lehnen sich trotz mancher Seelenqual im Grunde genommen bequem zurück und überlassen Nina die Entscheidung, wem sie den Vorzug gibt. Sie, zunehmend nachdenklicher, ist zunächst einer Ehe zu dritt noch am ehesten aufgeschlossen, wie immer die aussehen mag. Vielleicht aber wird sie Maurizio bald ebenso satt haben wie Arno ­ doch das wäre schon die nächste Geschichte. Frauen, so viel steht nach diesem heiter-melancholischen Film fest, sind eben wohl doch revolutionärer.
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