Es geht zu wie bei Shakespeare, handelt von Shakespeare, ist „Shakespeare“ pur: In John Maddens sprühender Komödie über das Leben des englischen Klassikers vereinen sich historische Daten, literarische Motive und moderne Interpretationen so lustvoll zu einer intelligenten Fiktion, daß man sie ohne Umschweife dem Federkiel der Hauptfigur zuschreiben könnte. Diese hockt im Frühjahr 1594 mit tintenverschmierten Fingern und dunklen Ringen unter den Augen in einem kargen Londoner Verschlag und bringt bis aufs Autogramm keine Zeile zu Papier. Während sich der Besitzer des „Rose“-Theaters unter Verweis auf Shakespeares neues Projekt „Romeo und Ethel, die Piratentochter“ nur mühsam seiner Gläubiger erwehren kann, leidet der Autor an der berüchtigten „Schreibblockade“. Der Seelendoktor, den der depressive Dichter zu Rate zieht, kommt der Schaffenskrise schnell auf die Spur: Eine Muse muß her. Daß er diese ausgerechnet in der jungen, theaterbesessenen Lady Viola De Lesseps findet, sprengt nicht nur die Blockaden in seinem Kopf. Getrieben vom Verlangen, selbst auf der Bühne zu stehen, verkleidet sich der adelige Wildfang als Knabe und spricht für die Rolle des Romeo vor. Shakespeare ist elektrisiert und verfolgt den Jüngling auf der Themse bis zum Wohnsitz der reichen Lesseps, wo er bei einer abendlichen Gala plötzlich Viola gegenübersteht. Fortan ist es um Will geschehen, der ungeachtet des messerscharfen Abschieds durch ihren künftigen Ehemann Lord Wessex in fiebernder Hast ein Liebessonett aufs Blatt wirft und bis zum nächsten Morgen auch erste Szenen seiner Auftragsarbeit fertiggestellt hat. Die glühenden Zeilen verfehlen ihre Wirkung nicht. Bald wahrt Violas Schnurrbart nur noch den Schein nach außen und ist aus den beiden ein liebestrunkenes Paar geworden, das sich während der Proben vor Verlangen nach der nächsten Nacht verzehrt. Realität und Bühnenwirklichkeit verschwimmen und durchdringen einander auf verschiedenen Ebenen, was nachhaltige Folgen auf den Fortgang des Stückes nimmt, das Shakespeare von Tag zu Tag weiterschreibt. Denn vor allem Viola gibt sich über den Ausgang ihrer Liebe keinen Illusionen hin, da auch die Königin ihre kurz bevorstehende Vermählung abgesegnet hat.Das Drehbuch von Marc Norman und Tom Stoppard macht sich für die durchtriebene Spekulation über die Entstehung von „Romeo und Julia“ geschickt eine Notlage der Biografen zunutze, die über Shakespeares Anfänge weitgehend im dunkeln tappen. Mehr als die spärliche Nachricht, daß sich der gelernte Handschuhmacher aus Stratford-upon-Avon zu Beginn der 90er Jahre seines Jahrhunderts als Schauspieler und Lohnschreiber im Londoner Bankside-District niederließ, ist nicht bekannt. Allerdings wurden schon von seinen Schülern Gerüchte kolportiert, daß hinter dem phänomenalen Wurf seiner unsterblichen Liebestragödie reales Erleben verborgen läge. Mit einer solchen „carte blanche“ versehen und gestützt auf solide recherchierte historische Details wie den aufkommenden Theaterboom unter Queen Elizabeth I. oder der drohenden Pestgefahr, welche die Spielzeit auf die Sommermonate beschränkte, entfalten die Autoren ein raffiniertes Spiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ohne die Illusion ihres amüsanten „Bio-Pics“ auch nur an einer Stelle zu gefährden. Mühelos fügen sich Shakespeare-Verse in die zeitgenössische Umgangssprache und erfahren die bekanntesten Szenen des Dramas ihre – manchmal etwas zu ernüchternde – prosaische Deutung. Der Theaterbetrieb avanciert zum Vorläufer des Kinogeschäfts, in dem man, ständig vom Bankrott bedroht, jedem das verspricht, was er hören will, als Gefühlslagen nur Euphorie oder tiefe Niedergeschlagenheit kennt und, wenn alle Stricke reißen, auf die rettende Macht des Schicksals hofft.Was daraus aber ein fulminantes Feuerwerk voller Witz, Einfälle und Anspielungen macht, ist vor allem der temporeichen Inszenierung von John Madden zu verdanken, der – deutlicher als in „Ihre Majestät: Mrs. Brown“
(fd 33 217) – die Kostümpracht zähmt und dafür die Kamera auf permanente, aber wohldosierte Fahrten schickt. Auf diese Weise gelingt es ihm nicht nur, eine Vielzahl von Spielorten und Handlungsszenen einzubeziehen, sondern auch dem hervorragenden Darstellerensemble pointiert Platz zu gewähren, den z.B. Judy Dench als Queen Elizabeth für sarkastische Höhepunkte nutzt. Joseph Fiennes glänzt als übernächtigter Master Will, dem die Liebesglut die Feder führt und am eigenen Leib die Qualen seines Romeo durchleben läßt, während Gwyneth Paltrow als bezauberndes Edelfräulein über weite Strecken zwar strahlt, ihre eigentliche Anziehung aber in der paradoxen Hosenrolle des Thomas Kent entfaltet. Madden nützt dies dezent für eines der zentralen Shakespeare-Themen: das der fließenden Geschlechteridentität. Die als Frauen verkleideten Theatermimen dienen – wie zu Shakespeares Zeiten – zwar vorrangig der Belustigung, doch sowohl die Lady als auch der Jüngling „stehen ihren Mann“, was der geistreiche Film auch in seiner langen, wunderbaren Schlußapotheose feiert. Viola springt Minuten nach ihrer Hochzeit furchtlos für den Darsteller der Julia ein, bei dem plötzlich der Stimmbruch eingesetzt hat, und erfüllt mit der Premiere eine Wette, daß sich wahre Liebe auch im Theater authentisch darstellen läßt. Die Königin, Zeugin des Rechtsbruchs – Frauen waren im Elisabethanischen Zeitalter auf der Bühne verboten – , spielt mit, befiehlt Master Kent im Anschluß jedoch, Lady Viola Wessex auf das Schiff zu schicken, das die Eheleute auf ihre Besitztümer nach Virginia bringen soll. Den Liebenden gewährt sie dadurch einen stillen Moment des Abschieds, in dem Paltrow über sich hinauswächst und dem Dichter den Weg zur Sublimierung seines Leids eröffnet: die Eingangsszene zu „Twelfth Night“, in der eine Frau namens Viola als einzige Überlebende eines Schiffbruchs ein fremdes Eiland betritt. Auch sie wird sich wieder als Mann verkleiden, um gegen Männer gewappnet zu sein. Madden aber suggeriert darüber hinaus mit der minutenlangen mythischen Totale während des Abspanns zugleich auch die tatsächliche Eroberung einer „neuen Welt“ durch eine Frau, die sich vor Männern nicht mehr fürchten muß, weil sie deren Stärken in sich trägt.