- | USA/Großbritannien 1999 | 155 Minuten

Regie: Stanley Kubrick

Ein glücklich verheirateter junger Arzt wird aus seinem scheinbar gesicherten Leben aufgestört, als ihm seine Frau gesteht, dass sie von Fantasien und realen Erlebnissen oft an die Grenze ehelicher Untreue getrieben wird. Er gerät in eine Reihe sexueller Versuchungen, denen er letztlich mehr durch zufällige Umstände als durch eigenes Zutun entgeht. In enger Anlehnung an Arthur Schnitzlers Traumnovelle (1925) beschwört Stanley Kubricks letzter Film in suggestiven Szenenfolgen die Zerstörbarkeit erotischer Liebe durch den sich verselbstständigenden sexuellen Trieb. Trotz aller Faszinationskraft der Gestaltung, die Traum und Wirklichkeit auf unentwirrbare Weise mischt, mangelt es der psychoanalytischen Komponente des Stoffes letztlich aber doch an Glaubwürdigkeit: Die Ansiedlung der Handlung im heutigen New York beraubt die Ereignisse ihrer motivierenden Einbettung in den Sittenkodex des europäischen Bürgertums zur Zeit des frühen 20. Jahrhunderts.
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Filmdaten

Originaltitel
EYES WIDE SHUT
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Warner Bros.
Regie
Stanley Kubrick
Buch
Stanley Kubrick
Kamera
Larry Smith
Musik
Jocelyn Pook · György Ligeti · Dmitri Schostakowitsch · Chris Isaak
Schnitt
Nigel Galt
Darsteller
Tom Cruise (Dr. William Harford) · Nicole Kidman (Alice Harford) · Madison Eginton (Helena Harford) · Jackie Sawiris (Roz) · Sydney Pollack (Victor Ziegler)
Länge
155 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Externe Links
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Heimkino

Die ersten Auflagen der DVD präsentieren auf Wunsch des Regisseurs den Film im Vollformat (1.33:1); dadurch sind zwar am oberen und unteren Bildrand mehr, links und rechts dafür deutlich weniger Bildinformationen sichtbar. Die Special Edition präsentiert den Film im Breitwandformat (1.78:1), bei deutlich verbesserter Bildqualität. Diese Edition enthält zudem die erhellende Channel-Four-Produktion "Der letzte Film: Stanley Kubrick und Eyes Wide Shut" (43 Min.) sowie die Dokumentation "Lost Kubrick: Kubricks unvollendete Filme" (20 Min.). Die Special Edition ist mit dem "Silberling 2007" ausgezeichnet.

Verleih DVD
Warner (FF, DD5.1 engl./dt.), Special Edition: Warner (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Seit fast 40 Jahren hat Stanley Kubrick zurückgezogen auf einem privaten Landsitz im Norden von London gelebt. Der Anschluss an die Lebensverhältnisse in seinem Heimatland, den USA, scheint ihm dabei wohl etwas verloren gegangen zu sein. Jedenfalls würde man keinem weniger renommierten und begabten Filmemacher auch nur fünf Minuten lang abnehmen, was Kubrick sein Publikum über mehr als zweieinhalb Stunden glauben machen will. Welcher junge amerikanische Arzt würde heute noch so komplett die seelische Balance verlieren wie Tom Cruises Dr. Harford, wenn ihm seine Frau anvertraut, dass sie trotz glücklicher Ehe sexuelle Fantasien mit andern Männern nicht widerstehen könne? Zu Zeiten Arthur Schnitzlers (1862-1931) war das ein die Erde erschütterndes Geständnis. Sigmund Freud hatte gerade erst begonnen, die Triebnatur des Menschen offen anzusprechen und jahrhundertealte gesellschaftliche Barrieren zu durchbrechen. Schnitzler war so etwas wie dessen literarischer Antipode, den Freud deshalb auch als eine Art „künstlerischen Doppelgänger“ betrachtete. Doch Schnitzlers „Traumnovelle“ datiert zurück ins Jahr 1925 – Kubricks Film spielt im New York von 1999.

Im Nachspann von „Eyes Wide Shut“ steht zu lesen, Kubrick habe sich von Schnitzlers Novelle „inspirieren“ lassen. In Wirklichkeit ist der Film in weiten Teilen eine äußerlich modernisierte, aber getreue Verfilmung der Vorlage, die oft sogar Schnitzlers Dialoge verwendet. Die Faszination, der Kubrick erlegen ist, lässt sich nachvollziehen. In der Tat sind Schnitzlers Werke in ihrer Analyse menschlicher Beziehungen auch heute unverändert reizvoll. Aus dem gesellschaftlichen Milieu ihrer Entstehungszeit lassen sie sich jedoch schwerlich lösen, obwohl gerade das Mode zu werden scheint (Kubricks Hauptdarstellerin Nicole Kidman hatte soeben mit dem Schnitzler-Verschnitt „The Blue Room“ von David Hare am Broadway großen Erfolg). Mehr noch als sich die Konflikte von Theodor Fontanes „Effi Briest“ oder die Obsessionen in Stefan Zweigs „Brief einer Unbekannten“ ohne den sozialen und weltanschaulichen Kontext darstellen lassen, verweigert sich Schnitzlers „Traumnovelle“ einer direkten „Übersetzung“ in eine andere Zeit und ein anderes Land.

Bill und Alice Harford leben mit ihrem Töchterchen in einem teuren Apartment am Rande des Central Parks. In den Tagen vor Weihnachten werden sie zur Party eines reichen Tycoons eingeladen. Bill hat sich solche Extravaganzen durch seine fürsorglichen Dienste als Hausarzt der Begüterten verdient. Während er sich um eine Prostituierte kümmert, die unter der Einwirkung von Rauschgift das Bewusstsein verloren hat, lässt sich die alkoholisierte Alice von einem eleganten Partygast umgarnen, dessen eindeutigen Avancen sie schließlich mit dem Hinweis auf ihre Ehe widersteht. Am nächsten Abend jedoch, unter dem Einfluss von Marihuana, gesteht sie ihrem Mann, dass es bei anderer Gelegenheit nur eines kleinen Anstoßes bedurft hätte, um für ein sexuelles Abenteuer ihr gesichertes Leben, ihre Ehe und ihre Familie aufs Spiel zu setzen. Noch bevor er sich fassen oder reagieren kann, wird Bill ins Haus eines soeben verstorbenen Patienten gerufen. Er entzieht sich der unerwarteten Liebeserklärung der Tochter des Verstorbenen, irrt durch die Nacht und stößt in einer Bar auf einen alten Studienfreund, der inzwischen als Pianist durch die Lande tingelt. Der erweckt Bills Neugier mit der Schilderung einer geheimnisvollen nächtlichen Orgie und verrät dem Insistierenden Losungswort und Adresse. Bill gelingt es tatsächlich, sich Zugang zu dem Landsitz zu verschaffen, in dem maskierte Gestalten und nackte Frauen nach mysteriösem Ritus in diversen Räumen ihre sexuellen Fantasien ausleben. Nur mit Hilfe einer der Liebesdienerinnen, die er am nächsten Tag tot im Leichenschauhaus wieder findet, schafft es Bill bei Androhung höchster Gefahr für Leib und Leben, dem seltsamen Ort zu entfliehen.

Auch in Schnitzlers Novelle ist die nächtliche Orgie Höhepunkt und Zentrum der Geschichte. Auch dort haben die Vorkommnisse jener Nacht der Verstörung, der Erregung und der Neugier ebenso viel traumhafte wie reale Perspektiven, die sich kurz darauf in einer ebenso aufwühlenden Traumerzählung von Alice fortsetzen. Der Unterschied zu Kubricks Filmhandlung ist jedoch, dass die Disparatheit der Erlebnisse und deren stets erfüllungslose Unterbrechung ein Reflex der zeitbedingten gesellschaftlichen Lebensumstände sind, nämlich des europäischen Bürgertums zur Zeit nach der Jahrhundertwende. Im Film hingegen erscheinen sie bestenfalls als artifizielle, in ihrer Künstlichkeit überarrangiert und konstruiert wirkende Bestandteile einer psychoanalytischen Betrachtung, deren Erkenntnisse längst zum selbstverständlichen Gedankengut jedes heutigen Eheberaters gehören. Kubricks Exegese über die Differenzierung zwischen Liebe und Triebbefriedigung hat zwar mit Schnitzler die fatalistische Perspektive der möglichen Zerstörung erotischer Liebe durch den sich verselbständigenden sexuellen Trieb gemeinsam, findet jedoch keinen Hintergrund mehr in der Moral und den Lebensverhältnissen einer inzwischen weitgehend liberalisierten Gesellschaft. Deshalb können auch die zahlreichen Nuditäten und sprachlichen Direktheiten des Films weniger schockieren, als es einst die gepflegte, aber unverhohlene Prosa Arthur Schnitzlers getan hat. Die Realität hat diesen Film längst überholt, während die Novelle zu ihrer Zeit noch die Sprengkraft des scheinbar Unaussprechlichen besaß.

Was inhaltlich ein Schuss ins Leere ist, weckt dennoch eine unbestreitbare Faszination durch Kubricks Meisterschaft der formalen Gestaltung. Der Film besitzt eine geradezu mathematisch kalkulierte Struktur, abwechselnd zwischen ruhigen, auf intime Dimensionen reduzierten Dialogpartien und opulenten, ausladenden Gesellschaftsszenen, zwischen die sich akzentuierend ebenso realistische wie gespenstische Straßenaufnahmen schieben. Die Gewichtung der Sequenzen ist so austariert, dass selbst das Timing identische Zeitblöcke hervorbringt: Sowohl die anfängliche Party als auch die Orgie sind jeweils 18 Minuten lang. Die so minutiös kalkulierten Abläufe finden in den Bildinhalten und Einstellungsperspektiven ihre Entsprechung. Am stärksten jedoch vermag die exquisite Verwendung von Farben und Musik zu fesseln. Keine Räumlichkeit, die nicht ihre charakterisierende Grundfarbe hätte, keine Stimmung, die nicht durch die Musik mitgeprägt würde. Dieses bedachte Spiel mit Bildern, Farben und Klängen wird konzentriert bis zum Ende des Films durchgehalten, weckt allerdings in seiner Intensität gelegentlich auch Erwartungen, die von der Handlung letztlich nicht erfüllt werden können. So steigert Kubrick die Getriebenheit der Hauptperson durch eine an „Shining“ (fd 22 670) erinnernde Beweglichkeit der Kamera in weiten Räumen und langen Korridoren und durch die neurotische Qualität eines ebenso simplen wie effektvollen, konstant wiederholten Klaviermotivs zu einer Art Todeswahn, nach dessen unterschwelliger Albtraumhaftigkeit der schließliche Rekurs auf die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Wirklichkeit des menschlichen Lebens wie ein unbefriedigendes Happy End wirkt.
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