Eine junge Frau, die sich von ihrer einzigen Bezugsperson, ihrer Schwester, verraten fühlt, bricht aus, um andernorts nach Liebe und Geborgenheit zu suchen. Auf ihrem Weg hinterlässt sie Verstörung, Angst und tiefe Verletzungen, ohne selbst Schuld zu empfinden. Ein Debütfilm, der die Studie eines in seiner Einsamkeit gefangenen, seelisch verletzten Menschen zeichnet, der sich hilflos in Gewalt flüchtet, sobald eigene Wünsche und Ansprüche nicht erfüllt werden. Kühl und sezierend beschreibt er die Abgründe der Heldin und teilt sein Erschrecken ohne moralisch erhobenen Zeigefinger mit. (O.m.d.U.)
- Sehenswert.
Die Nacht des Schmetterlings
Drama | Finnland 1997 | 90 Minuten
Regie: Auli Mantila
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Filmdaten
- Originaltitel
- NEITOPERHO
- Produktionsland
- Finnland
- Produktionsjahr
- 1997
- Produktionsfirma
- GNUfilms Oy
- Regie
- Auli Mantila
- Buch
- Auli Mantila
- Kamera
- Heikki Färm
- Musik
- Risto Lissalo
- Schnitt
- Riitta Poikselkä
- Darsteller
- Leea Klemola (Eevi) · Elina Hurme (Ami) · Rea Mauranen (Anja) · Robin Svartstöm (Jusu)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Drama
Diskussion
In seinem Film „Der Fänger“ (1964, fd 13 822) zeigt William Wyler einen psychopathischen jungen Mann, der ein Mädchen im Keller seines Landhauses einsperrt, um es dort daran zu gewöhnen, ihn zu lieben. „Es gibt keine Hoffnung auf gesunde soziale Beziehungen“, hat der Regisseur diesen Plot später kommentiert, „denn keiner der Charaktere kann darauf bauen, den anderen von seinen ethischen Vorstellungen zu überzeugen.“ So endet der Film tragisch: Die Welt aus Dunkelheit und Angst gebiert ihre eigenen Monster. Wylers Studie über extreme Einsamkeit und die Unfähigkeit zur Kommunikation hat in Auli Mantilas „Die Nacht des Schmetterlings“ deutliche Spuren hinterlassen. Bis ins Detail werden Motive aus dem klassischen Thriller zitiert und paraphrasiert; und hier wie da geht es nicht darum, nach gesellschaftlichen Ursachen für menschliche Abgründe zu forschen, sondern um eine von allen schnellen Erklärungsversuchen befreite Beschreibung dieser Abgründe selbst. Gewalt bricht sich auf irrationale Weise Bahn; Warnsignale leuchten nur für Momente auf und werden von einer dafür kaum sensibilisierten Umgebung nicht wahrgenommen. Sowohl Wylers als auch Mantilas Helden sind Kinder ihres eigenen Moralkodexes, ihrer eigenen Finsternis.„Die Nacht des Schmetterlings“ beginnt in den klaustrophobischen Räumen eines Fotolabors, in dem das Mädchen Eevi zwischen technischen Geräten hockt und wie gebannt auf Bilder sadistischer Exerzitien starrt, die aus der Maschine gespuckt werden. Die Kamera erfaßt über längere Zeit nur eine Gesichtshälfte, ein Auge; daraus erwächst beim Zuschauer Distanz, Befremden, Unwohlsein. In der folgenden Szene wird dann die Körperlichkeit Eevis betont: In einer Diskothek bricht sie sich einen Weg durch die dichtgedrängte Menge, radikal, mit den Ellenbogen vorwärts rudernd, rücksichtslos. Schließlich das intime Zwiegespräch in der Wohnung der älteren Schwester Ami, der einzigen Bezugsperson, die das Mädchen noch hat. Eevis Wunsch nach Nähe wird zurückgewiesen: Ami verlangt Selbständigkeit, hat der Schwester ein eigenes Appartement gemietet. Eevi empfindet das als Verrat; ihr flehendes „Ich liebe dich“ kippt unvermittelt in einen Haßausbruch um: „Du würdest mich töten, wenn Du nur könntest.“ Wenig später verübt sie selbst einen Anschlag auf Ami, stiehlt deren Geld und Auto und rast davon.Auli Manitila folgt der Perspektive des Mädchens und suggeriert auch optisch einen Befreiungsschlag: Aus der dunklen Tiefgarage fährt der Wagen, von hinten aufgenommen, in eine lichte Weite. Mit seiner Heldin scheint der Film auch die seelischen Gruften verlassen zu haben, in offene Landschaften aufgebrochen zu sein: endlose Straßen, Wiesen und Seen als Metaphern für einen Neubeginn ohne Grenzen. Tatsächlich aber mündet das Road Movie immer wieder in „Käfigen“: im Auto, im Motel, in einem einsamen Landhaus und in der Gefühlswelt des Mädchens selbst. Was sich zwischen Eevi und ihrer Schwester abspielte, erfährt in der Begegnung mit anderen Menschen nur seine Fortsetzung und Bestätigung. Die fast schon pathologische Sehnsucht des Mädchens, geliebt zu werden, erfüllt sich nie, weder mit einem Tramper, zu dem sie in der Raststätte ins Bett kriecht, noch mit dessen alternder Geliebter, einer Schmetterlingssammlerin, die sie niederschlägt, fesselt und in den Keller ihres Hauses sperrt. Am Ende sind alle, die Eevi mit ihren Mitteln um Hilfe anflehte, halbtot. Wieder ist es Nacht, und sie ist finsterer den je.„Die Nacht des Schmetterlings“ ist ein strenger, lakonischer Film. Ähnlich Michael Hanekes „Funny Games“ (fd 32 731) läuft Gewalt wie ein unaufhaltsames Uhrwerk ab, freilich nicht als Spiel sadistischer Lust, sondern als hilflose Antwort eines seelisch verletzten Menschen auf die Welt, die ihm begegnet. Eevis Gewaltausbrüche sind ein Schrei der Verzweiflung; sie will Liebe und bringt Zerstörung, möchte Geborgenheit, ohne selbst Wärme geben zu können. Auli Mantila faßt das in jenem Bild zusammen, in dem das Mädchen versucht, es der Schmetterlingssammlerin gleichzutun und Falter mit Nadeln auf einer Platte festzustecken. Sie gibt sich Mühe, aber zerstückelt nur die Flügel; der Wutausbruch folgt auf dem Fuße. Später wird sie die Schmetterlinge ins Feuer werfen – in jenes Höllenfeuer, mit dem sie die Welt immer wieder zu bestrafen versucht. Schuldig fühlt sich Eevi dabei freilich nie: Ihr moralisches Universum hat andere Maßstäbe und Grenzwerte als das der anderen. Auli Mantila weigert sich, darüber den Stab zu brechen oder Eevis Verhalten gar als symptomatisch für die gewachsene Gewaltbereitschaft der jungen Generation zu apostrophieren, wie es gelegentlich in Kritiken hieß: Sie führt vor und überläßt es dem Zuschauer, zu urteilen und vielleicht auch zu verallgemeinern.Leea Klemola spielt Eevi sperrig und maskulin: mit strähnigem blondem Haar, die Schulter leicht vornüber gebeugt, stets auf dem Sprung. In entscheidenden Momenten der Handlung zeigt die Kamera nur ihr Gesicht: vor der Abfahrt aus der Tiefgarage, bei dem sie böse grinst; als sie mit dem Tramper vor der Raststätte anhält und stumpf darüber nachsinnt, was passieren wird; als sie die Frau in der Villa würgt. Immer blicken dabei die Augen nach innen, qualvolle Sekunden lang. Am Schluß jagt ein Polizeikommando das Mädchen durch den Wald und über Felsen. Das Licht einer Taschenlampe holt sein Gesicht aus der Finsternis heraus. Blut läuft über seine Stirn und das rechte Auge. Aber es lächelt, und es scheint, als löse sich ein Krampf: Jetzt wird sich jemand um Eevi kümmern müssen.
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