Filme im Grenzbereich von Pathos und Peinlichkeit waren bisher das bevorzugte Betätigungsfeld von Regisseur Edward Zwick. Sowohl bei „Glory“
(fd 28 218) als auch bei „Legenden der Leidenschaft“
(fd 31 273), beides im Amerika des 19. Jahrhunderts angesiedelte Epen, gab er seiner Vorliebe für das Kino der ganz großen Gefühle hemmungslos nach. Doch als er sich zuletzt in dem Golfkriegsdrama „Mut zur Wahrheit“
(fd 32 322) mit der jüngeren US-Geschichte auseinandersetzte, stand ihm sein Stil im Weg. Vielleicht hat ihn diese Erfahrung dazu bewogen, bei „Ausnahmezustand“, der das aktuelle Phänomen des internationalen Terrorismus zum Gegenstand hat, seinen Hang zur Melodramatik zu zügeln und die emotionalen Effekte konsequent in den Dienst eines intelligenten Polit-Thrillers zu stellen.New York ist schockiert, als in einem vollbesetzten Bus eine Bombe detoniert. Fieberhaft bemüht sich das FBI unter der Leitung des Agenten Hubbard, die Täter – offenbar islamische Extremisten – zu fassen. Dabei wird er von der CIA-Agentin Elise Kraft unterstützt, die scheinbar mehr weiß, als sie preisgeben will. Ihre gemeinsamen Anstrengungen sind bald erfolgreich. Bei dem Versuch der Festnahme werden die Urheber des Anschlags jedoch getötet. Wenig später signalisiert eine Explosion in einem Theater am Broadway, daß andere bereit sind, an ihre Stelle zu treten. Als schließlich das FBI-Hauptquartier dem verheerendsten aller Attentate zum Opfer fällt, veranlaßt der wachsende Druck der Öffentlichkeit den Präsidenten, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Er verhängt das Kriegsrecht über Brooklyn, jenen Stadtteil, in dem der Großteil der arabischen Immigranten lebt. Kaum hat die Armee dort die Kontrolle übernommen, setzt der befehlshabende General die Bürgerrechte außer Kraft: Verdächtige werden in Lagern interniert und im Extremfall durch Folter zu Aussagen gezwungen. Hubbard glaubt unterdessen unbeirrt daran, den Terroristen mit legalen Methoden beikommen zu können. Gemeinsam mit Elise Kraft und seinem arabischen Partner Frank Haddad setzt er die Ermittlungen fort.In den ersten Minuten sieht man einen Muezzin, der die Gläubigen zum Gebet ruft. Erst allmählich gibt die Kamera preis, daß sich diese Szene nicht in Bagdad, sondern in Brooklyn abspielt. Die ethnische Vielfalt der US-Gesellschaft, die sich auch in der Besetzung widerspiegelt, dient allerdings nicht nur als pittoresker Hintergrund für das dramatische Krisenszenario. Der „Ausnahmezustand“ stellt nämlich den Zusammenhalt der Nation in Frage, die seit ihrer Gründung auf kultureller Vielfalt basiert: Jugendliche liefern sich Straßenschlachten mit Armee und Polizei, in Nachrichtensendungen ist von „hate crimes“ gegen Araber die Rede, Haddad quittiert aus Protest gegen die Internierung seines Sohnes vorübergehend den Dienst. Doch zugleich zelebriert der Film die Selbstverständlichkeit des Miteinanders von Schwarzen, Weißen, Latinos, Asiaten und Arabern im Arbeitsalltag – eine Vision des friedlichen Miteinanders. Dennoch hinterläßt er ein Gefühl der Beklemmung, da sein Inhalt jederzeit Realität werden könnte. Wie würden die USA reagieren, wenn eine Serie von Terrorakten im eigenen Land jede Illusion von Sicherheit zerstört? Welchen Preis ist man bereit, für die eigene Freiheit zu zahlen? Es zeichnet den Film aus, daß die Antworten nicht zu einfach ausgefallen sind. So sehr man aus der sicheren Distanz des Kinosessels das militärische Szenario ablehnen mag, kann man doch die politische Ratio hinter dieser Entscheidung nachvollziehen. Trotzdem läßt Edward Zwick keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Terroristen ihr Ziel in dem Moment erreicht haben, in dem die Regierung die Rechte und Freiheiten der eigenen Bürger beschneidet. Gleichzeitig beweist der Regisseur Umsicht, indem er den Islam nicht als Quelle allen Übels denunziert. Zum einen wird darauf hingewiesen, daß die Attentäter ihre Religion mißbrauchen, um die wahren Motive hinter ihren Gewaltverbrechen zu kaschieren; zum anderen stellt sich letztlich heraus, daß die Verantwortung für die Eskalation des Terrors auch bei der US-Armee und der CIA liegt.Filme, die sich mit aktuellen politischen Themen beschäftigen, bieten oft nur dröges Thesen-Kino. Daß Zwicks Film in dieser Hinsicht eine Ausnahme ist, liegt einerseits an der temporeichen Inszenierung, andererseits an den vorzüglichen Darstellern. Obwohl die Figuren im Grunde auf Funktionsträger des Plots reduziert und nur ansatzweise als Charaktere entwickelt sind, nimmt man sie als Individuen ernst. Vor allem Denzel Washington versteht es, dem Film durch die Intensität seines Spiels ein emotionales Zentrum zu geben. Er wirkt selbst in jenen Szenen glaubwürdig, in denen der Regisseur seiner Botschaft mit wortgewaltigen Monologen besonderen Nachdruck verleihen will. In den letzten Minuten des Films gibt Zwick seine Zurückhaltung auf und opfert die Plausibilität der Handlung dem pädagogischen Effekt: Die Situation wird auf spektakuläre Weise entschärft, während die Schuldigen überdeutlich gebrandmarkt werden.