Das Bergwerk - Franz Fühmann

Dokumentarfilm | Deutschland 1998 | 85 Minuten

Regie: Karlheinz Mund

Detailreicher Filmessay über die letzten zehn Lebensjahre des DDR-Schriftstellers und Kinderbuchautors Franz Fühmann, der als sein opus magnum einen Roman über den Bergbau im Harz in Angriff genommen hatte. Um zu recherchieren, fuhr er unter die Erde ein und errang sich die Achtung der Bergleute, scheiterte aber an seinem großen literarischen Ziel. Ein traditionell strukturierter und entwickelter Dokumentarfilm, der das Porträt eines Künstlers in den Mittelpunkt rückt, der als leidenschaftlicher Sozialist an den real existierenden Verhältnissen in der DDR litt. Das vielschichtige Dokument eines Scheitern legt die inneren Strukturen seines Buchprojekts offen und verweist auf die DDR-Gesellschaft und ihre Deformationen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Provobis/A Jour Film/mdr
Regie
Karlheinz Mund
Buch
Karlheinz Mund
Kamera
Wolfgang Dietzel
Musik
Dietmar Diesner
Schnitt
Ingeborg Marszalek
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Um keine falschen Erwartungen zu wecken: „Das Bergwerk“ ist kein Film über die Schließung einer weiteren Zeche in der DDR, sondern ein Bericht vom Scheitern des Schriftstellers, Kinderbuchautors, Übersetzers, Nachdichters und Essayisten Franz Fühmann. Fühmann, überzeugter, dennoch enttäuschter Sozialist, wollte mit seinem Roman „Das Bergwerk“ sein Hauptwerk und seinen literarischen Nachlaß abliefern: sein opus magnum. Er war ein leidenschaftlicher Briefschreiber und ausgewiesener Kinderfreund; die Korrespondenz mit einem jugendlichen Freund war die Initialzündung zum Romanversuch, dessen Fragment es auf 129 Seiten und eine Unzahl von Notizen brachte, die Fühmann aber auch mit Menschen und Lebenshaltungen konfrontierte, die er zutiefst verehrte, denen er sich auf Grund seines intellektuellen Berufes zunächst jedoch nur intellektuell annähern konnte. Die Konsequenz: Fühmann fährt ein, wühlt sich mit den Kumpels unter den Harz, gräbt sich in die Erde, schindet sich, schuftet und erringt die Anerkennung der Bergleute, die in ihm am Anfang nur den „Salonbergbauer“ sahen. Fühmann lernt Kupferflöze kennen und verfällt dem Kupferreich; er arbeitet in Kali-Bergwerken und entwickelt Respekt vor dem „mächtigen“ Salz. Zehn Jahre lang arbeitete er an dem Projekt, nimmt das schwere Los der Bergleute des Mansfelder Landes in Kauf; in seiner „Freizeit“ versucht der Romantiker, der sich auf die Schlüsselgestalten Tieck und Hoffmann bezieht, sein Erleben und Erleiden zu literarisieren. Doch er findet keine adäquate Form. Das Leben scheint die Sprache hinter sich gelassen zu haben, ihr keine Chance zur Beschreibung einzuräumen. Hinzu kommen bereits 1968 angelegte politische Erschütterungen. Der Einmarsch der Warschauer Truppen in Prag, später dann, 1976, die Ausbürgerung Biermanns; seit 1975 steht Fühmann, der sich auch mit körperlich und geistig Behinderten intensiv auseinandersetzt und ihre Rechte einfordert, in der Kritik. Inoffiziell attestiert man ihm den Charakter eines Geistesschwachen. Vielleicht alles Faktoren, die zum Eingraben in die Erde einladen. Das Leben als Metapher? Am 8.7.1984 stirbt Franz Fühmann, erschöpft, müde und mit 129 Romanseiten im Nachlaß. Von seinem Typoskript spricht er kurz vor seinem Tod als „Bericht des Scheiterns“.

Zehn Jahre nach seinem Tod beginnt der Dokumentarist Karlheinz Mund (vgl. Porträt in fd 15/1998, S. 4) mit seinen Recherchen zum „Bergwerk“, die sich zu einer eindrucksvollen Beschreibung der letzten Lebensjahre des Schriftstellers Fühmann verdichten. Sie beleuchtet die Zerrissenheit, den Mut, den Kampfeswillen und die Visionen, aber auch die Widersprüche eines Mannes, der seinen Weg gehen muß und sich von den real existierenden (Lebens-)Umständen um keinen Preis irremachen lassen will. Mund, dem klassischen Dokumentarfilm verpflichtet, besucht die Kupfer- und Kaligebiete, spricht mit ehemaligen Hauern und Funktionären, die Fühmann noch heute Achtung zollen, dokumentiert die einschneidenden Veränderungen in den „blühenden Landschaften“, in denen einst Stollen unter Denkmalschutz standen und deren Strukturwandel (sprich: Abwicklung) noch nicht einmal der Förderturm der Stadt Sandershausen, ihr Wahrzeichen, standhalten konnte. Wie Fühmann sich in die Erde grub, um der Wahrheit nahe zu kommen, so gräbt Mund sich in das Leben des 1922 geborenen Schriftstellers ein. Er fördert mittels alter Dokumentaraufnahmen, die Fühmann u.a. bei Lesungen zeigen, in denen sich der systemkonforme Kritiker plakativen Aushorchungsangriffen von seiten der Kulturfunktionäre ausgesetzt sieht, eine Reihe von Dokumenten zu Tage, die Archivmaterial vom Erzabbau (den es heute in dieser Form nicht mehr gibt) mit Interviewszenen mit ehemaligen Kumpels und intellektuellen Zeitzeugen zu einem Porträt verbinden, das viel mehr zeigt als ein Künstlerleben. Es zeigt das Eingebundensein in eine Gesellschaft, deren offizielle Seite bei aller Liebe wenig Gegenliebe aufzubringen in der Lage ist. Verkrustete Strukturen, Stein, den es leidenschaftlich und liebevoll abzubauen gilt. 800 Jahre Bergbaugeschichte im Harz treffen hier auf die 200jährige Kulturgeschichte des Romantizismus, die durch den Romantiker Fühmann in eine Linie hineininterpretiert werden. Sind Schinderei und die Suche nach der „blauen Blume“ letztlich doch vereinbar? Eine zunächst fragwürdige These, die letztlich aber nicht so ganz von der Hand zu weisen ist.

Der einfache, aber aufregende Dokumentarfilm beschäftigt sich ursprünglich mit einem Buch und seinem Autor, kommt dann auf den Menschen, der es schreiben möchte und nicht mehr kann, dann auf die Gesellschaft, deren Struktur den Menschen am Schreiben hindert. In diesem Zusammenhang spricht Christa Wolf von einem Autor, dem die literarische Form fehlt (verloren gegangen ist, könnte man unter Berücksichtigung von Fühmanns Oeuvre mutmaßen), und der Germanist Jürgen Kraetzer stellt den Anti-Intellektualismus des Autors heraus, der in späten Jahren dem Mythos der körperlichen Arbeit frönte. Verdichtet wird das äußerst einfühlsame, vielschichtige Porträt durch Voice-over-Stimmen, die aus Fühmanns Aufzeichnungen und seinem Roman-Fragment vorlesen. „In der Tiefe kommen die Probleme...“, dieser schlichte und doch so bewegende Satz, verrauscht da in Sekundenschnelle, bringt das Schicksal des Autors auf den Punkt und hat doch irgendwie auch mit unser aller Schicksal zu tun. Ein überzeugender Dokumentarfilm, der Beachtung verdient, auch - oder vielleicht gerade weil sein Thema ein wenig wie vom anderen Stern anmutet: ein Blick in eine andere Welt und andere Leben. Doch für alle Lebensentwürfe bleibt: In der Tiefe kommen die Probleme!
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