Ein Kaleidoskop der vielfältigen Facetten der Flamenco-Kunst, das den Tanz, die Musik sowie ihre Interpreten in einem faszinierenden Spiel aus Licht und Schatten feiert. Darüber hinaus erhellt der Film die kulturellen Hintergründe der Musik und überwindet dabei souverän touristische wie sozialromantische Klischees. Ein fesselnder Beitrag zur Kultur Spaniens, der den Rahmen des klassischen Dokumentarfilms sprengt. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
Flamenco
Musikfilm | Spanien 1995 | 100 Minuten
Regie: Carlos Saura
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Filmdaten
- Originaltitel
- FLAMENCO
- Produktionsland
- Spanien
- Produktionsjahr
- 1995
- Produktionsfirma
- Juán Lebrón Pruducciones/Junta de Andalucía/Sociedad General de Autores
- Regie
- Carlos Saura
- Buch
- Carlos Saura
- Kamera
- Vittorio Storaro
- Schnitt
- Pablo G. del Amo
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Musikfilm | Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Durch Carlos Sauras Flamenco-Trilogie mit dem spanischen Tänzer Antonio Gadés „Bluthochzeit“ (1981, fd 24 684), „Carmen“ (1983, fd 24 114), und „Liebeszauber“ (1986, fd 26 513) wurde die andalusische Musik auch hierzulande einem breiten Publikum bekannt. Besonders „Carmen“ wurde Mitte der 80er Jahre zum Sinnbild für Sinnlichkeit, Passion und die sogenannte neue Weiblichkeit. Das hiesige Flamenco-Fieber korrespondierte mit der Renaissance des Flamencos in Spanien, hatte er doch dort noch lange Zeit den abgestandenen Geschmack offizieller Kulturpolitik, nicht zuletzt weil das Franco-Regime den traurig bewegenden Gesang als folkloristisches Aushängeschild seiner rückwärts gewandten Weltanschauung benutzte. Die spanische Seele wurde dabei auf ein sentimentales Ansichtskarten-Andalusien reduziert, während der spanische Film mit Flamenco-Klängen das Bild einer vorindustriellen Agrargesellschaft zeichnete, antimodern und antirevolutionär, mit einem pittoresken Zuckerguß aus Folklore und Tradition. Der eigentliche Flamenco blieb dabei aber unberücksichtigt; von der offiziellen Vereinnahmung durch das Franco-Regime bis hin zur „Expo 1992“ in Sevilla mußten sich die Musiker immer gegen eine Tendenz zur Verflachung und zur Vereinnahmung aus politischen und touristischen Motiven behaupten. Carlos Saura hat wiederholt in seinen Filmen spanische Mythen und Archetypen aufgegriffen. In „Carmen“ verlegte er den Inbegriff der auswärtigen Projektion auf Spanien in Literatur und Musik ins kalte Madrid und brachte über die Neuinterpretation der Bizetschen Opernmusik durch die Gitarrenklänge Paco de Lucías eine bislang weitgehend unbekannte Dimension in die fast abgegriffenen Melodien.12 Jahre nach „Carmen“ näherte sich Saura erneut der Flamenco-Kunst. Im „Plaza de Armas“, dem stillgelegten Bahnhof von Sevilla, drehte er einen Monat lang mit den bekanntesten spanischen Flamenco-Interpreten, darunter Paco de Lucía, Manolo Sanlúcar, Joaquín Cortés, Carmen Linares, Ketama, sowie mit 300 Musikern. Dabei entstand etwas ganz Neues jenseits der üblichen Darstellung des Flamencos als touristisches oder sozialromantisches Klischee. Saura bewahrt sich dabei trotz aller choreografischen Disziplin die Familiarität des Geschehens und verzichtet auf jede Form gigantischer Kulturinszenierung. „Flamenco“ erklärt wenig, und nur einmal, als die Kamera noch an Spiegeln und weißen Stellwänden vorbei die beigen Backsteinwände und die Stahlkonstruktion des ehemaligen Bahnhofsgebäudes erfaßt, kommt der Kommentar zu Wort: „Der Flamenco tauchte in Andalusien Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Die Vermischung von Völkern, Kulturen und Religionen ließen eine neue Musik entstehen: Arabische Liebeslieder, Gregorianische Choräle, kastillische Gesänge, die Stimme, die Musik der ‘Gitanos’, die aus dem fernen Indien kamen, um hier zu bleiben, um jene Musik zu schaffen, die wir Flamenco nennen und die sich durch Gesang, Tanz und Musik auszeichnet.“ Saura verzichtet auf jegliches Dekor, hält den Hintergrund weiß und sachlich, um somit noch den Eindruck zu verstärken, den Gesang, Tanz und Gitarren hinterlassen. Eine Wirkung, die besonders durch die meisterhafte Lichtsetzung von Kameramann Vittorio Storaro hervorgerufen wird. Im Spiel von Licht und Schatten formen sich die Interpreten aus den Silhouetten hervor. 100 Minuten ausschließlich Tanz, Gesang und der schnelle Rhythmus der Gitarren und Kastagnetten, der klatschenden Hände, der Absätze. Ein Rhythmus, der mitreißt, der die unterschiedlichsten Facetten des Flamencos und seine Nähe zu anderen Tanzrichtungen zu einem Feuerwerk aus Licht und Tönen verschmilzt: bulería, martinete, fandango, siguiriya, taranta, rumba und soléa.Die Spannweite des Flamencos reichte immer vom populären Ausdruck bis hin zur E-Musik. Schriftsteller wie Féderico García Lorca und Antonio Machado wurden entscheidend von der Flamenco-Kultur geprägt. An der Vielfältigkeit der Interpreten, die Sauras Film zusammenbringt, wird aber auch deutlich, daß Flamenco längst die gesamte Breite der Zuhörerschaft abdeckt: Sind Paco de Lucía und Carmen Linares durch ihre regelmäßigen Ausflüge in die klassisch-sinfonische Musik längst in den Kanon des spanischen Bildungsbürgertums eingegangen, so ist Ketama derzeit eine der erfolgreichsten Gruppen bei spanischen Jugendlichen. Sauras Inszenierung von Licht und Leinwand im abgeschlossenen Bahnhofsraum beleuchtet aber auch die merkwürdige Diskrepanz zwischen der kulturellen Wertschätzung des Flamencos in Spanien während der letzten Jahre, bei gleichzeitiger Diskriminierung seiner Ursprünge, den „Gitanos“ in den Randgürteln der großen spanischen Städte. Der Flamenco ist ein Produkt der Symbiose von Kulturen, von unterschiedlichen musikalischen Richtungen, ein spätes Erbe der multikulturellen Toleranz des maurischen Al-Andaluz. Daß diese Tradition und Verschmelzung der Kulturen auch heute noch lebendig ist, zeigt die Gruppe Ketama am Ende des Films. Ketama integriert Elemente von Rockmusik und verbindet arabische und lateinamerikanische Rhythmen zu Gedichten von Federico García Lorca. Sauras Film läßt sich dabei kaum in die Schublade des Dokumentarfilms einordnen, ist vielmehr die Inszenierung einer vielfältigen Kultur durch Licht und Musik für die Kamera.
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