In ihren blauschwarzen, wehenden Mänteln wirken sie wie Abgesandte einer finsteren Macht; Vampiren gleich, haben sie weder Spiegelbild noch hinterlassen sie Spuren auf Fotografien. Als eigentümliche Hybriden aus Krähe und Zombie zieht es sie bei Sonnenaufgang und -untergang zum Meeresstrand, wo sie zu sphärischen Klängen in die Wellen starren. Und doch sind es Engel, die Brad Silberling entgegen den Klischees in Szene setzt. Sie begleiten und beschützen die Menschen, auch wenn diese nicht an sie glauben, und führen sie im Moment des Todes in ein verheißungsvoll gleißendes Licht. In der Engelstadt Los Angeles beschäftigen Seth intensiver als seine Kollegen die Fragen, was es heißt, Mensch zu sein, wie es ist, jemanden zu berühren oder berührt zu werden. Mehr und mehr genügt diesem Vertreter seiner Zunft das abstrakte Wissen nicht mehr, das er aus Beobachtungen und Befragungen der Toten gewinnt. Er sehnt sich nach der körperlichen Erfahrung, die ihm als himmlisches Wesen verwehrt ist. Der Blick des Unsichtbaren bleibt an der energischen Herzchirurgin Maggie haften, die einen sterbenden Patienten nicht aufgeben will, als dieser an Seths Seite längst auf dem Weg „nach Hause“ ist. Der Engel verliebt sich in das irdische Geschöpf, das ihn mit seinen himmelblauen Augen ansieht, als wäre er ein Mensch. Der über den Tod ihres Patienten Verzweifelten verkündet er mittels des Hemingway-Romans „Paris, ein Fest für’s Leben“ die für sie bestimmte frohe Botschaft: Vertraue deinen Gefühlen.Aus Liebe zu Maggie gibt Seth seine Ewigkeit als Engel für das Hier und Jetzt an ihrer Seite auf, obwohl sie ihren Freund heiraten will. Die idiomatische Redewendung „to fall in love“ offenbart für ihn ihren tieferen Sinn, denn allein durch den realen Fall vollzieht sich seine Menschwerdung. Im Glauben an die Unbedingtheit seiner Gefühle und die Möglichkeiten, die in ihrer Beziehung stecken, wagt Seth den radikalen Neuanfang: Er bricht mit seiner Vergangenheit und öffnet sich im Flug der Metamorphose für ein neues Leben an Maggies Seite.„Stadt der Engel“ ist ein Paradebeispiel dafür, was Mainstreamkino im Bereich des Spirituellen leisten kann. Denn bei aller Unterhaltung und Rührseligkeit nimmt Silberlings („Caspar“, fd 31 427) zweiter Spielfilm – anders als beispielsweise der Engelklamauk „Michael“
(fd 32 447) – die Sphäre des Transzendenten ernst. Vorsichtig bezieht er Position und entläßt den Zuschauer nachdenklich, aber auch mit Trost versehen aus dem Dunkel des Kinosaals. Ungewöhnlich ist, daß das Erlösungsmotiv nicht wie so oft, z.B. in „Breaking the Waves“
(fd 32 145) oder „Lea“
(fd 32 745), zu Lasten des weiblichen Geschlechts geht, sondern Maggie gleich zweifach Erlösung zuteil wird: als Mensch durch den Engel, als Frau durch den Mann Seth, die in eine Liebe mündet, die sich gerade im Alltag ausdrücken will. „Stadt der Engel“ besticht dabei durch den Mut, ein im positiven Sinne altmodischer Film mit einer Botschaft zu sein: „It’s a wonderful life“, Leben und Lieben lohnen sich auch angesichts von Unglück und Leid. Die hervorragende Fotografie des Kameramanns John Seale, der wie zur Zeit kein anderer seines Fachs Stadt- und Naturräume in Seelenlandschaften verwandelt, trägt das Ihre zu diesem filmischen Lobpreis bei.Diese Verdienste verdecken jedoch nicht die Schwächen des Films. Nach einer beeindruckenden Exposition erreicht er im Mittelteil einen dramaturgischen Tiefpunkt, wenn der Plot auf ausgetretenen romantischen Pfaden zu einem Mix aus „Ghost – Nachricht von Sam“
(fd 28 562) und „Schlaflos in Seattle“
(fd 30 395) verkommt. Eine aufdringliche Symbolik, beispielsweise ein langer Tunnel, durch den der menschgewordene Seth gehen muß, oder eine Kerze, die im Moment von Maggies schwerem Unfall erlischt, stört den Filmgenuß ebenso wie die Inkonsequenz, mit der der Filmdialog Seth’ visuell nachhaltig inszeniertes Engelmysterium profanisiert, indem ein anderer ehemaliger Engel Maggie darüber aufklärt.Natürlich muß sich „Stadt der Engel“ einem Vergleich mit Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“
(fd 26 452) stellen, auch wenn es sich weniger um ein Remake im klassischen Sinn als um eine freie Adaptation von Motiven des deutschen Originals handelt. Wenders selbst, von „Großvatergefühlen“ übermannt, war vom Ergebnis der Bearbeitung angetan. Formal ist sein Film auch heute noch ungleich radikaler in der Verwendung filmischer Mittel wie Farbe und Kamerafahrten, die zudem den Perspektivwechsel seiner Hauptfigur vom Engel zum Menschen spiegeln. In der Erkundung der urbanen Topographie eifert „Stadt der Engel“ seiner Vorlage nach und macht sich den Blickwinkel der Himmelsboten zu eigen: Wie entfesselt ergeht sich die Kamera in Sturzfahrten und rasanten Flüge über Wolkenkratzer und zeigt die Stadt von ungewöhnlichen Aussichtspunkten wie einem Highway-Schild aus. Dennoch drängt sich der Eindruck von Beliebigkeit auf, denn anders als „Der Himmel über Berlin“ kann „Stadt der Engel“ – bis auf den sprechenden Ortsnamen – keinen Grund dafür nennen, daß der Film in Los Angeles spielt.Von Nicolas Cage darf man nach diesem Film vermuten, daß er alles spielen kann, seien es Bösewichte wie in „Im Körper des Feindes“
(fd 32 760) oder Engel. Letzteren stellt er mit stark zurückgenommener Virilität dar, die erst bei der langsamen Annäherung an Maggie an Präsenz gewinnt. Die Besetzung des weiblichen Gegenparts kann – wie schon bei Wenders – mit dieser darstellerischen Virtuosität nicht mithalten: Meg Ryan bemüht sich zwar sichtlich, ihr übliches Repertoire an Gestik und Mimik zu übersteigen und nimmt sogar Abstand von ihrem so typischen Schnuteziehen; die überzeugte Naturwissenschaftlerin nimmt man ihr indes zu keinem Zeitpunkt wirklich ab.