- | Großbritannien 1996 | 100 Minuten

Regie: Andrew Kötting

Die Geschichte einer Reise rings um die britische Insel, beginnend im südenglischen Bexley: Der 37jährige Filmemacher, seine siebenjährige behinderte Tochter Eden sowie die 85jährige Urgroßmutter reisen über Wales und Schottland zurück nach England. Eine "Dokumentation" im formalen Gewand des Experimentalfilms. Bei all seiner überbordenden, selbstironischen Filmsprache hinterläßt der Film einen nachhaltigen Eindruck von Zärtlichkeit. Eine Meditation über die Vergänglichkeit, höchst privat und universell zugleich. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GALLIVANT
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
BFI/Channel 4/Arts Council of England
Regie
Andrew Kötting
Buch
Andrew Kötting
Kamera
Nick Gordon Smith · Gary Parker
Musik
David Burnand
Schnitt
Cliff West
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
"Gallivant" erzählt die Geschichte einer Reise rings um die britische Insel. Beginnend im südenglischen Bexley, machen sich der 37jährige Filmemacher, seine siebenjährige behinderte Tochter Eden und die 85jährige Urgroßmutter auf den Weg über Wales und Schottland zurück nach England. Anlaß für dieses Unterfangen war, wie der Regisseur im Film verlauten läßt, der Wunsch nach einem möglichst intensiven Zusammensein "bevor wir alle verschiedene Wege gehen". So wie die Hauptfiguren dieser "Dokumentation" ein Trio bilden, so umfaßt der Film auch gleich drei inhaltliche Komplexe. Er ist ethnologische Studie über Großbritannien, das Protokoll einer zwischenmenschlichen Beziehung über vier Generationen hinweg und lustvolle Reflexion über das Filmemachen selbst. Nur dadurch, daß Andrew Kötting die einzelnen Bestandteile völlig gleichberechtigt behandelt, kann er sie zur gelungenen Synthese führen.

Vermutlich läßt sich das Selbstverständnis der Briten nur von ihrem Inselbewußtsein her definieren - sie sind die anderen Europäer, losgelöst vom Kontinent. Das Meer ist ihre Passion, Basis einstiger imperialer Größe, damit gleichzeitig Symbol des Niedergangs. Zum Zentrum des Phänomens kann man nur vom Rand her vordringen, von der Küste her also. Hier finden sich zahllose kuriose Erscheinungen, flankiert von skurrilen, aber durchweg liebenswerten Zeitgenossen. Der Filmemacher beobachtet seine Großmutter und ihre Urenkelin/seine Tochter bei ihren Erkundungen, verläßt aber immer wieder den Platz hinter der Kamera, um ins Geschehen einzugreifen oder um neue Konstellationen zu provozieren. Selbstverständlich widmet er sich nicht touristischen Attraktionen: sein Interesse gilt dem Abwegigen, dem Peripheren. Er bringt beispielsweise wortkarge pensionierte Seeleute dazu, am Strand einen Shanty zum Besten zu geben, stellt einen Toilettenpächter vor, der seinen Arbeitsplatz zum Heimatmuseum gemacht hat, und bricht sich schließlich im Übereifer auch noch einen Knöchel. So zahllos wie kurios sind die erwähnenswerten Beispiele seiner aktionistischen Recherche. Er entwirft dabei keineswegs das verklärende Bild einer Idylle: Erscheinungen von Umweltverschmutzung oder Rezession sind allgegenwärtig, ohne daß sie noch über Gebühr polemisiert werden müßten.

Köttings Tochter Eden leidet unter dem "Joubert-Syndrom", einem seltenen genetischen Defekt; sie kann sich deshalb nur mittels einer einfachen Zeichensprache verständigen, die Bewegungskoordination ist schwer gestört. Zwischen dem Kind, das durch seine Krankheit nur eine geringe Lebenserwartung hat, und der mit fast 90 Jahren auf ihr Lebensende zugehenden Urgroßmutter Gladys entwickelt sich schnell eine enge Beziehung. Die beiden hatten sich vor dieser Reise nur selten gesehen - nun vermögen sie binnen Kürze, völlig unbefangen, d.h. ohne Berührungsängste und falsche Rücksichtnahme miteinander umzugehen. Es ist kein Zufall, daß Eden während der Reise ihre ersten selbständigen Schritte absolvieren kann.

Der Vater/Enkel/Regisseur Andrew Kötting benutzt seinen Film als Medium im wahrsten Sinne des Wortes: als Vermittler zwischen den Generationen, als Vehikel für Verständigung und durchaus auch Selbsterkenntnis. Seine Herangehensweise an das Untertangen ist deshalb erfrischend unprätentiös, frei von cineastischen bzw. akademischen Lasten. Ja, seine Blickweise erinnert oft an die eines Kindes. Möglich, daß seine Tochter Eden, wäre sie in der Lage eine Kamera zu führen, ähnliche Bilder produziert hätte. In einer sich überschlagenden Montage aus ursprünglich auf Super-8, 16mm und Video gedrehtem Material, mit zahlreichen Stop-Motion-, Zeitlupe- und Zeitraffereffekten versehen, mit einer dichten Tonspur aus Musik, Sprachfetzen und Zitaten aus populärwissenschaftlichen Filmen oder Nachrichtensendungen, kommt ""Gallivant" im formalen Gewand des Experimentalfilms daher - er ist aber gleichzeitig mehr: ""Gallivant" hinterläßt bei all seiner überbordenden, selbstironischen Filmsprache einen nachhaltigen Eindruck von Zärtlichkeit. Eine Meditation über die Vergänglichkeit, höchst privat und universell in einem.
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