Ein 50-jähriger Prager Cellist muß durch eine Scheinheirat die Verantwortung für einen fünfjährigen russischen Jungen übernehmen. Nur allmählich erliegt der vom Leben enttäuschte Mann dem Charme des Kindes und lernt, es zu verstehen und zu lieben. Ein behutsam und warmherzig inszenierter Film, dessen kleine Geschichte die große Weltgeschichte spiegelt. Mit sanfter Ironie und feinsinnigen dramaturgischen Mitteln spricht er sich für die Überwindung von (Sprach-)Barrieren und für (Völker-)Verständigung aus und vermittelt eindringlich, wie lebensnotwendig Gespräch und Kommunikation sind. (Kinotipp der katholischen Filmkritik.)
- Sehenswert ab 14.
Kolya
Drama | Tschechien/Großbritannien/Frankreich 1996 | 105 Minuten
Regie: Jan Sverák
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Filmdaten
- Originaltitel
- KOLYA
- Produktionsland
- Tschechien/Großbritannien/Frankreich
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Biograf Jan Sverák/Portobello Pictures/Ceska Televize/Pandora Cinema/CinemArt
- Regie
- Jan Sverák
- Buch
- Jan Sverák
- Kamera
- Vladimír Smutný
- Musik
- Ondrej Soukup
- Schnitt
- Alois Fisárek
- Darsteller
- Zdenek Sverák (Frantisek Louka) · Andrej Chalimon (Kolya) · Libuse Safránková (Klara) · Ondrej Vetchý (Herr Broz) · Stella Zázvorková (Frantiseks Mutter)
- Länge
- 105 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Prag 1988. Frantisek Louka ist Cellist im Tschechischen Philharmonischen Orchester. Auf Grund einer unbedachten Verunglimpfung der kommunistischen Bürokratie wird der 55jährige entlassen und muß sich mit Gelegenheitsjobs bei Begräbnissen und dem Renovieren von Grabsteinen durchschlagen. Da der Junggeselle beim Totengräber tief verschuldet ist, akzeptiert er, dessen entfernte Verwandte, eine junge Russin, pro forma zu heiraten, damit sie tschechische Papiere bekommt. Dank der erhaltenen 40.000 Kronen wird Frantisek seine Verpflichtungen auf einmal los. Er kann sich sogar ein Auto leisten und seine Mutter auf dem Lande besuchen, die durch die Truppenbewegungen der Russen tief verstört ist. Seine frisch Angetraute macht sich schon bald auf in den Westen Deutschlands, ihren fünfjährigen Sohn Kolya und ihre betagte Mutter in Prag zurücklassend. Nun steht der "Vater", der kein Russisch spricht, mit seinem "Sohn", der kein Tschechisch versteht, alleine da. Denn die Großmutter des Jungen erkrankt ganz plötzlich und verstirbt. Ungeübt im Umgang mit Kindern, versucht Frantisek, Kolya dem Heiratsvermittler und der russischen Fürsorge zu überantworten - vergebens. Und was am schlimmsten ist: Der Junge ist dem Musiker auch beim Liebesleben ständig im Weg. Aber schließlich nimmt Frantisek Kolya in seiner heimeligen Dachwohnung auf, nimmt ihn zu Begräbnissen mit und besucht mit ihm seine Mutter, der er wegen ihres Hasses auf die Besatzer eine jugoslawische Nationalität vorgaukelt. Mittlerweile interessiert sich auch die Polizei für Frantiseks Scheinehe und seine Verbindungen zu Emigranten. Als der Junge krank wird, kommt sich das Paar wider Willen immer näher. Gemeinsam reisen sie durch die Provinz. Und um Kolya vor dem Zugriff der Fürsorge zu schützen, nimmt der Mann ein Engagement auf dem Lande an. Dort sehen sie auch die Demonstrationen, die zur "samtenen Revolution" führen. Rechtzeitig in Prag zurück, erleben sie den politischen Wechsel. Die Grenzen öffnen sich, und Kolyas Mutter kommt, um den Sohn mit in den Westen zu nehmen. Am Ende erhält Frantisek seinen Platz in der Philharmonie zurück, und unter den Zuhörern beim nächsten Konzert ist auch seine langjährige Geliebte - offensichtlich schwanger.Von der "tschechischen Befindlichkeit" handelt und erzählt Jan Sveráks Film, und er besitzt tatsächlich markante Züge eines Zeitporträts. Der durch einen russischen Pflegesohn für kurze Zeit aus seiner Lethargie, Selbstzufriedenheit und inneren Emigration Gerissene verkörpert einen nicht unerheblichen Teil der Volksseele. Frantisek Louka hat diese gelungene Mischung aus Kleinbürgerlichkeit, künstlerischem Beruf, Weltschmerz, Gemütlichkeit, pfiffiger Schlitzohrigkeit und böhmischer Ironie. Eine Kombination, die extrem gut funktioniert, im Herstellungsland voll ins Schwarze getroffen hat und dabei so liebenswert-rücksichtsvoll ist, daß sie niemandem wehtut. Sicher beschreibt "Kolya" dadurch auf unterhaltsame Art, quasi in einem nostalgischen Rückblick die typische Befindlichkeit, die innere Emigration vieler Zeitgenossen in einer Zeit vor der Öffnung der Grenzen, als man sich vor der staatlichen Bürokratie in das eigene Leben zurückzog, sich einigelte. Hier blitzen kritische Momente im Detail, in der charmanten Situationskomik auf. Aber Frantisek ist weniger ein Held auf Grund bewußter, heroischer politischer Opposition und Aktivitäten als durch seine Starrköpfigkeit, gesunde Individualität und Dummheit. Zdenek Sverák, ein bekannter Schauspieler und Drehbuchautor, hat für seinen Sohn, den Filmemacher, dem in der Tschechoslowakei bereits mit seinen ersten Arbeiten große Beachtung und internationale Erfolge zuteil wurden, die Dialoge verfaßt und selbst die (erwachsene) Hauptrolle übernommen. Und diese Vater-Sohn-Beziehung schlägt im Film wie im realen Leben offensichtlich alles in Bann. Immer wieder wissen der Autor und der Darsteller den verführerischen Charme der Leichtigkeit des Seins, der Nonchalance auf der Klaviatur der Gefühle effektvoll anschwellen und abklingen zu lassen. Ohne dem kleinen Hauptdarsteller die Schau stehlen zu können. Denn "Kolya" lebt von dem natürlichen, unaufgesetzten Spiel des Jungen, der alle Facetten der Fremdheit, der Anziehung, des Verstehens, der Suche nach Liebe und Geborgenheit glaubhaft und zu Herzen gehend auf die Leinwand rettet.Damit transportiert der Film auch sein anderes Thema, das der Auseinandersetzung und Abrechnung mit dem großen Bruder, der russischen Besatzungsmacht. Allerdings scheint einem Zeitungsartikel zur Zeit der Erneuerung, der Perestroika, von diesen Durchschnittsbürgern keine Beachtung geschenkt zu werden. Der entlassene Cellist hat sich mit seinen Bedürfnissen und Sehnsüchten eingerichtet: Sex, etwas Geld, um das Haus der Mutter herzurichten, dolce far niente, das funktioniert auch während der Anwesenheit der fremden Soldaten, 20 Jahre nach Niederschlagung des Ausbruchsversuchs im Prager Frühling. Mit einer stillen Form der Kollaboration hat das sicher nichts tun. Und ihren Gefühlen freien Lauf lassen, das darf im Film die Mutter des Helden. Sie betrachtet die feindlichen Soldaten als lästige Heuschrecken, sie bringt (wie andere ihrer Generation?) kein Verständnis für die übergestülpte Zwangsbrüderschaft auf. Nicht umsonst verleugnet Frantisek die korrekte Nationalität des Jungen. Aus diesem Gegensatz freilich entwickelt "Kolya" mehrere hübsche amüsante Szenen, wenn kommunikative Mißverständnisse aufkommen, der Junge die ihm fremden Sentenzen aufschnappt und eigenständige Wortspiele daraus entstehen, eine Art Verfremdungseffekt eintritt. Jan Sverák ist dramaturgisch und auch thematisch dem tschechischen Kino der 60er und 70er Jahre verpflichtet, Filmen von Milos Forman ("Der schwarze Peter", "Der Feuerwehrball") oder Jirí Menzel ("Liebe nach Fahrplan", "Heimat, süße Heimat") beispielsweise. Kameramann Vladimír Smutny schafft diese Verbindung auch optisch, indem er das Flair der Hauptstadt, die Atmosphäre und legere Stimmung in der Provinz so romantisch-verklärt ins Bild rückt.
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