Weil niemand Zeit für sie hat und die böse Lehrerin Miss Gulch droht, ihr das Hündchen Toto wegzunehmen, sehnt sich die kleine Dorothy nach jenem zauberhaften Land Oz, das irgendwo hinter dem Regenbogen liegen soll. Sie reißt von zu Hause aus, will schon kurz darauf reumütig heimkehren, gerät jedoch in einen Wirbelsturm. Im Hause ihrer Pflegeeltern verliert sie die Besinnung und in ihrem Traum trägt der Sturm sie fort - vom schwarz-weißen Kansas ins technicolor-bunte Land Oz.Dort wird sie mit Jubel empfangen, denn schließlich verdanken die Zwerge ihrer Ankunft das Ableben einer bösen Hexe. Mit deren roten Zauberschuhen versehen wäre Dorothy nun bestens gerüstet für den beschwerlichen Weg zum Schlosse des Zauberers von Oz, der als einziger ihre Heimkehr ermöglichen kann, doch eben diese Schuhe sind es auch, die die Begierde der ebenfalls bösen Schwester der Hexe wachrufen. In Begleitung ihres Hündchens folgt Dorothy der "großen gelben Straße" und findet nach und nach drei höchst sonderliche Weggefährten: den Vogelscheuchen-Mann, der sich Verstand, den Zinnmann, der sich ein Herz wünscht, und den überängstlichen Löwen, der so gerne Mut hätte. Nach einigen Schwierigkeiten können sie ihre Wünsche in der Tat dem "großen Zauberer von Oz" vortragen, doch der verlangt -wie alle richtigen Zauberer - eine Bewährungsprobe: die Vier sollen den Besen der bösen Hexe beschaffen. Als Dorothy in deren Klauen gerät, können die Gefährten Verstand, Herz und Mut beweisen. Um so größer ist die Enttäuschung, als sich der Zauberer als lächerlicher Popanz entpuppt, der den drei Leidgeprüften, die sich längst selbst geholfen haben, nur symbolisch zu ihren Rechten verhelfen kann. Für Dorothy hingegen hilft nur die Macht des Wunsches und der Zauberspruch: "There's no place like home." Glücklich heimgekehrt, erkennt Dorothy in ihren Weggefährten die Vertrauten ihrer alltäglichen Umgebung. So ganz weg war sie doch nie; mit dem Herzen schon gar nicht.1939, mit "Vom Winde verweht" (Victor Fleming), "Stagecoach", "Der junge Mr. Lincoln" (John Ford), "Ninotchka" (Ernst Lubitsch) oder "Mr. Smith geht nach Washington" (Frank Capra), ein ohnehin filmverwöhntes Jahr brachte mit "Der Zauberer von Oz" nicht nur den Durchbruch für die junge Judy Garland, die zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren bei MGM unter Vertrag war, sondern dem Studio, das weder Mühen noch Kosten bei der Produktion dieses Films scheute, einen Prestige-Gewinn und langfristig einen der berühmtesten Kultfilme der Filmgeschichte ein. Dabei entspricht die um jeden Preis harmonisierende Geschichte in keiner Weise der Produktionsgeschichte des Films. Eigentlich hatte man mit den zehnjährigen Publikumsliebling Shirley Temple für die Hauptrolle geliebäugelt, doch der wurde von der Fox nicht ausgeliehen; das Besetzungskarussell für die Nebenrollen drehte sich bis zuletzt; vier Regisseure - Richard Thorpe, George Cukor, Victor Fleming und King Vidor (er ist u.a. für die Inszenierung des Liedes "Somewhere Over the Rainbow" verantwortlich) wurden mit dem Projekt beauftragt; und was man über das Verhalten der 124 Zwerge, die das Munchkin-Land bevölkern, lesen kann, klingt mehr als abenteuerlich. Doch dies tat dem Erfolg der Verfilmung des Kinderbuchs von L. Frank Baum (bereits 1925 wurde eine Stummfilmversion erstellt. 1985 lieferte Walter Murch mit "Oz - Eine fantastische Welt" eine aufwendige Neuverfilmung) keinen Abbruch. In der Tat scheint der Stoff wie kein zweiter uramerikanischer Selbstprojektion zu entsprechen, die Botschaft der Hilfe zur Selbsthilfe fiel nicht nur auf psychologisch, sondern auch auf gesellschaftlich fruchtbaren Boden, und die Erkenntnis, daß es zu Hause immer noch am schönsten ist, entsprach dem politisch tief verwurzelten Isolationismus der Nation.Heute hat der Film einiges an Faszination und Poesie eingebüßt. Sicher, die Geschichte ist hübsch anzuschauen, der Vogelscheuchen-Mann ist ein eindeutiger Sympathieträger, der nicht nur die Kinderherzen höher schlagen läßt, und kleine Randepisoden, wie die Geschichte mit den Apfelbäumen, die ihre Früchte widerwillig hergeben, sind Kabinettstückchen, doch es überwiegt, besonders in den Massenszenen, eine farbenprächtige Einfalt, die erwachsenen Zuschauem den Zugang zu dem Filmmärchen erschwert. Fast scheint es, als hätte die Fabel des Films den Film selbst eingeholt. Je genauer die Filmhelden dem Zauberer auf die Finger und hinter die Schliche schauen, um so kleiner und unscheinbarer wird er; ähnlich verhält es sich mit einem großen Film-Mythos.