Drama | Großbritannien/Russland/Frankreich/Italien/Niederlande 1992 | 94 Minuten

Regie: Sally Potter

Ein englischer Edelmann durchlebt wechselweise als Mann und Frau die vier Jahrhunderte zwischen der höfischen Zeit von Königin Elisabeth I. und dem London des 20. Jahrhunderts. Seine geschlechtsgebundenen Erfahrungen sind ein ironisch-kritisches Spiegelbild der gesellschaftlichen Vorherrschaft des Mannes und des wachsenden emanzipatorischen Bewußtseins der Frau. Eine mit ästhetischen Bildkompositionen und großer Schauspielkunst gestaltete Verfilmung des gleichnamigen fantastischen Romans von Virginia Woolf. In der Veranschaulichung der Woolfschen Mann-Frau-Dialektik gelungener als in der Übernahme der dichterischen Zeitverschachtelungstechnik. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
ORLANDO
Produktionsland
Großbritannien/Russland/Frankreich/Italien/Niederlande
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Adventure/Lenfilm/Mikado/Rio/Sigma/British Screen/The European Co-Production Fund
Regie
Sally Potter
Buch
Sally Potter
Kamera
Alexej Rodionow
Musik
Sally Potter · David Motion
Schnitt
Hervé Schneid
Darsteller
Tilda Swinton (Orlando) · Billy Zane (Shelmerdine) · Lothaire Bluteau (Khan) · Charlotte Valandrey (Sascha) · Heathcote Williams (Nick Greene)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.85:1, DS engl., DD2.0 dt.)
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Diskussion
Am besten käme die Verfilmung eines Romans von Virginia Woolf (1882-1941) der Vorlage nahe, wenn sie sich jener zeitverschachtelnden High-Tech-Bildgestaltung bediente, wie sie Peter Greenaway so hervorragend für seine Verfilmung von Shakespeares "Der Sturm" ("Prosperos Bücher", fd 29 201) zu nutzen verstand. Denn Virginia Woolf als Vorkämpferin des modernen Romans verfaßte keine Lebensdarstellungen mit festgefügter Handlung und präzis umrissenen Charakteren. Ihre dichterische Geltung und einen entscheidenden Einfluß auf die neuere Weltliteratur erreichte sie mit einer Epik, in der Leben nur noch als Summe unendlich vieler flüchtiger, erlittener oder gesuchter Eindrücke in einem unablässigen Strömen begreifbar wird.

Dieses Ineinanderfließen von Erleben und Reflexion, Bewußtem und Unbewußtem, Traum und Tat, Illusion und Erkenntnis, das auch ihre 1928 erschienene fantastisch-fiktive Biografie "Orlando" beherrscht - es wird in der Filmadaption von Sally Potter nicht zu einem Strömen, sondern durch die abgrenzenden Einblendungen von Daten und Stichworten zu einem traditionellen Erzählen in Kapiteln wie "Liebe", "Poesie", "Tod" und "Krieg". Erlebnisse und Erfahrungen unter diesen Aspekten gehören zur existentiellen Geschichte des englischen Adeligen Orlando, der in einem einzigen Leben die politischen, gesellschaftlichen und moralischen Wechselfälle von vier Jahrhunderten erfährt.

Es ist eine Zeitreise, die für Orlando als jünglingshaftem Favoriten am Hofe der gealterten Königin Elisabeth I. von England beginnt. Von ihm mit poetischem Ehrgeiz als .jungfräuliche Rose" besungen, verhilft ihm die herrscherliche "Gloriana" mit Wunsch und Beschwörung zu einer ewigen Jugend, so daß er gleich Oscar Wildes nicht alterndem Dorian Gray und später als immerzu junge Frau in Schönheit die Jahrhunderte bis zu unserer Zeit durchlebt. Denn als Orlando in einer Epoche als Botschafter in Zentralasien tätig ist und sich dort den Schrecknissen eines plötzlich ausbrechenden Krieges ausgesetzt sieht, entledigt er sich voller Mißfallen seiner "männlichen Bestimmung", zu töten oder getötet zu werden, indem er in magischer Verwandlung das weibliche Geschlecht annimmt. Mußte er als Mann "nur" in der Liebe und in der als Lebenserfüllung angestrebten Dichtkunst ernüchternde und demütigende Enttäuschungen wegstecken, erfährt er als Frau weit gewichtigere Frustrationen und Traumata. Außer dem Verlust von Liebe und Glück bekommt Orlando in der weiblichen Lebensrolle auch noch alle die Geringschätzungen und Unterdrückungsmechanismen zu spüren, die Religionen, Philosophien und patriarchalische Gesellschaften jahrhundertelang gegen die Frau entwickelt haben.

Wenn Orlando am Schluß seiner Odyssee durch die Zeiten aus dem Muff und Zwang des viktorianischen Englands herauskommt ins London des 20. Jahrhunderts, vermag auch der mit Countertenor vorgetragene Jubelgesang eines am Himmel auftauchenden seraphischhermaphroditischen Wesens über das Ideal der Einheit von Mann und Frau nur als ironischer Schlußpunkt aufgefaßt werden angesichts der Tatsache, daß trotz des emanzipatorischen Aufbäumens der Frau die männliche Vorherrschaft heute noch weitgehend ungebrochen ist und solche "Errungenschaften" wie "Frauenquote" im Grunde nur verbale Gleichstellungsgalanterie sind. Denn unter der Wirkung des alten "Adam-und-Eva-Effekts", so muß Orlando als "Sie" erfahren, gibt die Geschlechtszugehörigkeit immer noch eher den Ausschlag als die jeweilige individuelle Persönlichkeit mit ihren Gaben des Geistes.

Orlandos geschlechtsgebundenen Erfahrungen innerhalb von vier Jahrhunderten entfiltert der mit erlesenen Bildkompositionen und Kostüm-Ästhetik prunkende Film manche lehrhafte Betrachtung über Schein und Sein von Mann und Frau. Im Verbund mit grundsätzlichen Fragen nach Liebe, Vertrauen, Schmerz und der Unausweichlichkeit von Schicksal zeigt er nicht ohne eine gewisse komische Dramatik die Konflikte von Mann und Frau auf, "deren Welten sofort (wieder) unvereinbar sind, sobald die Liebe verbraucht ist". Außer mit der von Virginia Woolf vorgegebenen Mann-Frau-Dialektik erreicht der Film wirkungsvoll auch mehrmals die Höhepunkte eines ironisch-intellektuellen Schmunzelvergnügens durch Bestandsaufnahmen bestimmter Zeiterscheinungen allgemeinmenschlicher Verhaltensweisen. Ein Musterbeispiel für sublimen Witz bietet er unter anderem mit der Sequenz, wo der reiche Orlando in seiner idealistischen Auffassung von dichterischer Arbeit und als hochfliegender Hobbypoet durch einen höchst realistisch schmarotzenden und auf Lebensrente spekulierenden Barden ernüchtert wird. Und wie sehr ein solches komplexes Filmgeweb' aus Zeit und Mensch mit der Hauptdarstellung steht oder fällt, beweist die letzthin noch in Derek Jarmans "Edward II." (fd 29 507) höchstbewährte Tilda Swinton, die den zartsinnigen Jüngling Orlando ebenso glaubhaft verkörpert wie die genau von jener männlichen Egozentrik immer wieder düpierte "Orlanda", die "ihr" als Mann selbst einmal zu eigen war
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