BeFreier und BeFreite - Krieg - Vergewaltigungen - Kinder

Dokumentarfilm | Deutschland 1992 | 192 Minuten

Regie: Helke Sander

In zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen und sowjetischen Armeeangehörigen thematisiert der Dokumentarfilm die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten am Ende des Zweiten Weltkrieges. Trotz einiger Schwächen in der Kommentierung eine außergewöhnliche Analyse, die in einer assoziativen Montage aus Archivmaterial, Inszenierungen und Gesprächen dem schwierigen Thema sowie den historischen Fakten durchaus gerecht wird und zur Diskussion über die sexuelle Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau herausfordert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
BIFF/Helke Sander Filmprod./Journal/WDR
Regie
Helke Sander
Buch
Helke Sander
Kamera
Hille Sagel
Musik
Wolfgang Hamm
Schnitt
Olla Höf · Karin Nowarra · Helke Sander
Länge
192 Minuten
Kinostart
-
Genre
Dokumentarfilm | Frauenfilm
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Diskussion
Nach einer fünfjährigen Vorbereitungszeit, Reisen in die Sowjetunion, dem Studium von Krankenhausakten, dem Sichten von Archivmaterial, vielen Gesprächen mit Betroffenen und sowjetischen Armeeangehörigen dokumentiert Helke Sander die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten am Ende des Zweiten Weltkriegs. Zum ersten Mal haben Sander und ihre Mitarbeiterin, die Historikerin Barbara Johr, Zahlen ermittelt, erzählen die Opfer nach mehr als 40 Jahren ihre Geschichte, werden Angehörige der Sowjetarmee befragt, geht es um die politischen und psychologischen Folgen und um die Kinder, in deren Leben die Gewalt an ihrer Mutter prägend wird.

In einer assoziativen Montage aus Archivmaterial, kleinen Inszenierungen, Interviews und Gesprächen unternimmt Sander den doppelt schwierigen Versuch, einerseits den historischen Fakten gerecht zu werden, ohne das antikommunistische Hetzbild von den ,vergewaltigenden roten Horden' zu bedienen, und andererseits quer zum historischen Beispiel die sexuelle Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau als Grundbedingungen kriegsbedingter Massenvergewaltigungen aufscheinen zu lassen. Zu diesem Zweck führt sie die Gespräche bis auf wenige Ausnahmen mit einer gehörigen Portion Abstand und stellt sie, nicht zuletzt durch die Mitinszenierung auch der eigenen Person, oft als die künstlich geschaffenen Situationen aus, die sie auch waren.

Wenn ein Gespräch mit einem länger in Deutschland stationierten sowjetischen Soldaten Stuhllehne an Stuhllehne geführt oder die Tochter aus einem Gewaltverhältnis in einer Art Niemandsland im Sand befragt wird, so machen diese Verfahren als Strategie einer Ent-Emotionalisierung Sinn. Andere Verfahren zum gleichen Zweck dagegen erweisen sich als Irrläufer. Eine nur gespielte Naivität in manchen Sätzen und Fragen etwa wirkt eher peinlich als hintergründig-listig, erinnert an Alexander Kluge und verfehlt doch völlig dessen Wirkungskraft. Wenn Sander beispielsweise kommentiert: "Ich fahre jetzt nach Minsk und frage sie, ob sie vielleicht als Soldatinnen zu einem Mann gesagt haben ,Mann komm'", oder wenn sie einen im Krieg 16jährigen mit den Worten zur Erinnerung auffordert, er sei doch Künstler und habe sicher mehr beobachtet als andere Leute, dann wirkt das höchstens angestrengt und platt.

Zu den über das Ziel hinausgeschossenen Inszenierungen kann man auch jene an mehrere Stellen des Films eingefügte Szenen rechnen, in denen sich weitere Zeugen, darunter einige, die auch ausführlich befragt werden, in einem Hinterhof Teile bereits geführter Gespräche, aber auch anderes auf Video ansehen. Doch nur dem gleichnamigen Buch, das den Film sowohl dokumentiert als auch um wesentliche Informationen ergänzt, ist beispielsweise zu entnehmen, daß hier auch ein Film gesehen wird, in dem ein deutscher Mann dazu Stellung nimmt, warum er sich gerade eine polnische Frau "gekauft" hat. Da diese Szene im Film kaum verstanden untergeht und ansonsten das Material den Film nicht um Wesentliches ergänzt, bleibt nur noch seine Funktion als Dokumentation einer Forschungsarbeit mit der Kamera, doch auch hierfür sind die wenigen Ausschnitte zu verknappt, und das selbstreflexive Moment schnurrt auf das Ausstellen einiger Monitore und den Anblick der filmenden Kamera zusammen.

Doch trotz mancher Kritikpunkte im Detail ist dem in zwei Teilen konzipierten Film (Teil 1 befaßt sich überwiegend mit den Vergewaltigungen, Teil 2 mit den Kindern aus solchen Gewaltverhältnissen) der Spagat zwischen konkretem historischem Beispiel und verallgemeinerbaren Aussagen zum Geschlechterverhältnis geglückt. Vor allen Dingen ist der Film sich stets bewußt, welch schwieriges Thema er behandelt. Er entlastet nicht die Deutschen und er macht aus den russischen Soldaten keine Monster. Die "furchtbare Logik, daß man Unrecht aufrechnet" (Sander) hat bei den Vergewaltigungen eine Rolle gespielt, der Film versucht, sich dieser Logik zu entziehen. An einer Stelle jedoch erliegt er dem, was er vermeiden wollte: wenn die von deutschen Soldaten geschändeten russischen Frauen ins Bild kommen, steht plötzlich an falscher Stelle die Frage nach faschistischer Schuld im Raum und der Film fällt hinter seine eigene Erkenntnis zurück, daß die Erklärung sexueller Gewalt jenseits von Vergeltung liegt und sein Beispiel daher nur eines von vielen ist, wenngleich ein einzigartiges.
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