Die Sage von Anatahan

Abenteuer | Japan 1953 | 90 Minuten

Regie: Josef von Sternberg

Eine Gruppe japanischer Soldaten ist nach einem Anfriff der US-Luftwaffe auf einer Insel im Pazifik gestrandet und glaubt noch sechs Jahre nach Kriegsende an die Fortdauer des Zweiten Weltkriegs; eine Kapitulation des Kaiserreichs ist unvorstellbar. Auf der isolierten Insel, auf der neben den Soldaten noch ein Ehepaar lebt, schwelen allerdings Konflikte; deren Mittelpunkt ist die einzige Frau unter den dreizehn Männern. Keine Soldatengeschichte, sondern eine Robinsonade, die ihre Abenteuer mehr in den Dschungel männlicher Leidenschaften als in die Gefahrenzone Mensch-Natur verlegt. Der in Japan gedrehte Film ist die vielbeachtete letzte Arbeit von Sternbergs. (O.m.d.U.; Fernsehtitel auch: "Anatahan") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE SAGA OF ANATAHAN
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1953
Produktionsfirma
Daiwa
Regie
Josef von Sternberg
Buch
Josef von Sternberg
Kamera
Josef von Sternberg
Musik
Akira Hukube
Schnitt
Mitsuzo Miyata
Darsteller
Akemi Negeshi (Keiko) · Tadashi Suganuma (Kusakabe) · Shoji Nakayama
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Abenteuer | Drama
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Diskussion

Aus dem Gewirr von Stechpalmen und Schlingpflanzen auf einer (fast) einsamen Insel taucht plötzlich eine Frau auf. Die schöne Keiko trägt einen Kimono, bevor sie später auch diese Hülle fallen lässt, entspannt ruhen ihre Hände auf dem Bambusgeländer einer Hütte. Mit vielversprechendem Blick betrachtet sie die zwölf Schiffbrüchigen, deren Staunen und beginnende Unruhe nun die Kamera abschwenkt. Das Schöne ist hier, mit Rilke, „des Schrecklichen Anfang“.

„Die Sage von Anatahan“ ist Josef von Sternbergs letzter Film, gedreht und 1953 uraufgeführt in Japan. Sein weniger geglückter, aber wegen seiner Flugzeugerotik von Kritikern wie François Truffaut durchaus geschätzter „Düsenjäger“ kam zwar erst 1957 in die Kinos, war aber schon vor „Anatahan“ abgedreht worden. Die in der Rolle der Keiko debütierende Schauspielerin Akemi Negishi war die letzte „Femme Fatale“ des Regisseurs, der Marlene Dietrich im Blauen Engel zu Weltruhm verholfen und ihr kühl-erotisches Image in sechs weiteren Filmen in Hollywood ausgebaut hatte. „The Devil is a Woman“, ihr letzter gemeinsamer Film, markierte auch das Ende seiner Glanzzeit bei Paramount. Das Studio ließ von Sternberg fallen, weil die Einspielergebnisse sein autoritäres Gebaren nicht mehr aufwogen. In der Folge litten seine Filme unter den Eingriffen der Produzenten, nur mit „Anatahan“ konnte von Sternberg seine Vorstellungen noch einmal ungestört verwirklichen. Gedreht wurde zwischen Dezember 1952 und Februar 1953 auf einem zum Filmstudio umgewidmeten Fabrikgelände in Tokio. Von Sternberg blieb seiner von atmosphärischen Gesichtspunkten geleiteten Ästhetik treu und wählte die Darsteller eher nach ihrem Aussehen denn aufgrund ihrer schauspielerischen Fähigkeiten aus.

Trotz der Sternberg-typischen Künstlichkeit beruht seine Story auf einer wahren Geschichte: 30 (statt wie im Film zwölf) Überlebende eines von Amerikanern im Pazifikkrieg bombardierten japanischen Kriegsschiffs konnten sich 1944 auf die Marianen-Insel Anatahan retten. Neben 45 Einheimischen (die der Film ausspart) lebten ein Japaner und eine Japanerin bereits auf der Insel. Kazuko Higa, die einzige Frau auf Anatahan, verließ 1950 die Insel. Nach der Evakuierung der Einheimischen nach Kriegsende hatten sich die Japaner geweigert, an die Niederlage ihres Landes zu glauben. Erst nachdem elf Schiffbrüchige gestorben waren, gaben die „Holdouts“ im Juni 1951 auf und kehrten in ihre japanische Heimat zurück.

Eine Bienenkönigin, für die man(n) tötet

Sternberg, der auch das Drehbuch (nach Michirō Maruyamas Tatsachenroman „Anatahan. Insel der Unseligen“) verfasste, interessiert sich besonders für die Triebschicksale unter den insulären Bedingungen. Für eine gewisse Zeit kann ein Unteroffizier eine gewisse Disziplin aufrechterhalten. Doch „Queen Bee“ – wie Keiko schon im Vorspann genannt wird – lockt eine Reihe von „Drohnen“ an, die sich nacheinander und nur für kurze Zeit als Herrscher über Anatahan wähnen dürfen. Der jeweilige Rivale wird getötet, sodass sechs Männer am Ende ihr Leben lassen müssen. Ein Militärflugzeug ist über der Insel abgestürzt – und zwei der Männer haben Pistolen im Wrack gefunden. Gemäß dem Untertitel „Postscriptum zum Krieg im Pazifik“ setzt sich die Gewalt unter scheinbar „paradiesischen“ Bedingungen fort.

Die Männer haben den Feind mitgebracht – in ihren Körpern – so der von Sternberg selbst gesprochene Kommentar, der von Einsicht in die Conditio humana geprägt ist und sich nicht über das Geschehen stellen will. „To look back at something is not the same as to live it“, betont der Sprecher, der sich als einer der Gestrandeten zu erkennen gibt. Die japanischen Dialoge der Akteure wurden bewusst im Originalton belassen und auch für die US-Auswertung später weder untertitelt noch synchronisiert. Frieda Grafe hat darauf hingewiesen, dass Sternberg (wie übrigens auch Hitchcock) Dialogen im Tonfilm skeptisch gegenüberstand: „Er konzipierte seine Filme als ‚visuelle Gedichte‘“, schrieb Grafe. „In ‚Anatahan‘ hat Sternberg die Verachtung der Sprache bis zum äußersten getrieben (…) Nur ein verbindender Text, von Sternberg selbst gesprochen, kommentiert auf englisch die Vorgänge auf der Leinwand. Die Artifizialität und Stilisierung des sternbergschen Kinos ist gleichzeitig Ausdruck für die Achtung vor dem Leben und das Eingeständnis der Indezenz, die der Versuch, es zu imitieren, bedeutet.“

Ethnische Klischees oder Universalität?

In seiner Autobiographie bezeichnete von Sternberg „Die Sage von Anatahan“ als seinen „besten und zugleich am wenigsten erfolgreichen Film“. Tatsächlich kam „Anatahan“ weder in den USA noch in Japan an, wo der Regisseur sich mit dem Vorwurf konfrontiert sah, mit ethnischen Stereotypen gearbeitet zu haben. Der Regisseur verteidigte sich – aus heutiger Sicht eher unglücklich – damit, dass er das Universale der Anatahan-Geschichte, „wie die von Robinson Crusoe“, herausstrich. Wie auch immer, die Parabel auf sexuelle Anziehung, Macht und Gewalt bleibt ungemein fesselnd dank der hypnotischen Erzählkunst von Sternbergs und der zwischen fernöstlicher Musiktradition und westlicher Symphonik oszillierenden Musik Akira Hukube. Nicht zuletzt trägt die Schwarz-weiß-Fotografie zur fatalen Stimmung des Films bei: Mit dem Blick eines Malers verwandelt von Sternberg den Urwald der Insel in eine Art Spinnennetz, in dem sich die handelnden Personen verfangen. Noch einmal Frieda Grafe: „Wer je einen Film von Sternberg mit Bewußtsein gesehen hat, weiß, welche Rolle bei ihm Netze, Spitzen und Gewebe spielen, Strukturen aus Licht und Schatten, in die die Menschen wie eingewoben erscheinen. (…) Sternbergs Filme bedeuten den Versuch, zurückzuerziehen zur spontanen Wahrnehmung von Formen, von Zusammenhängen, Konfigurationen und Komplexen, in denen der Mensch, seine Geschichten und vor allem auch die analytische Intelligenz nicht das Wichtigste sind.“

 

„Die Sage von Anatahan“ ist auf Arte am Mittwoch, 20. Januar 2021 um 23.15 Uhr zu sehen. Online in der arte Mediathek ist der Film vom 20. Januar bis 20. April 2021 verfügbar.

 

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