Belladonna of Sadness
Zeichentrick | Japan 1973 | 93 Minuten
Regie: Eiichi Yamamoto
1 Kommentar
Nach der Vergewaltigung durch einen Potentaten verbündet sich das schöne Bauernmädchen Jeanne mit dem Teufel und holt zum Gegenschlag aus. Das japanische Anime aus dem Jahr 1973 entfaltet vor dem Hintergrund einer spätmittelalterlichen Szenerie in Frankreich eine wilde Mischung aus Sex, Pop und Gewalt, in der es vage um Tyrannei und Aufbegehren geht. Die märchenhafte Handlung dient dabei primär als Vorwand für ein prä-postmodernes, extrem eklektizistisches Spiel mit Farben, Klängen und Formen, das hemmungslos zwischen Kitsch und Subversion pendelt und gerade daraus einen heute noch wirksamen Reiz bezieht.
- Ab 16.
Filmdaten
- Originaltitel
- KANASHIMA NO BELLADONNA
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 1973
- Produktionsfirma
- Nippon Herald Films/Mushi Prod.
- Regie
- Eiichi Yamamoto
- Buch
- Yoshiyuki Fukuda · Eiichi Yamamoto
- Kamera
- Masahiko Sato
- Musik
- Daido Moriyama
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- 07.06.2018
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Zeichentrick | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Die Extras der DVD umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (4 Min.) sowie ein informatives 15-seitiges Booklet. Die Erstauflage enthält zudem ein gefaltetes Originalposter. Die Extras der Box-Edition von REM (DVD/BD) enthalten längere Interviews mit Regisseur Eiichi Yamamoto (23 Min.), Illustrator Kuni Fukai (16:51 Min.) und Komponist Masahiko Sato (27:20 Min.) sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (4 Min.). Die Box-Edition ist mit dem Silberling 2018 ausgezeichnet.
Zwischen Kitsch und Subversion: Wiederaufführung eines prä-postmodernen Animationsklassikers von 1973
Diskussion
Als „Belladonna of Sadness“ 1973 auf der „Berlinale“ gezeigt wurde, verließen viele Zuschauer kopfschüttelnd das Kino, empört von der wilden Mischung aus Sex, Pop und Gewalt. Der Eindruck eines komplett eklektischen und spekulativen Machwerks wurde durch das unbekümmerte Nebeneinander von dreisten Zitaten aus der Kulturgeschichte und ausufernden psychedelischen Einschüben noch verstärkt. Europa war damals offenbar noch nicht reif für ein so prä-postmodernes Werk. Später geriet „Belladonna of Sadness“ in Vergessenheit und wäre fast komplett verloren gegangen. Mehr als 40 Jahre nach der Premiere bietet die restaurierte, auf 4K vom Original-Negativ vorgenommene Abtastung nun aber Gelegenheit für eine Wiederbegegnung.
Noch immer ist der Film ein sehr spezielles cineastisches Erlebnis. Aber eines, das ungemeine Energien entfaltet und mit nie gesehenen Bilderwelten konfrontiert. Soweit von einem Plot die Rede sein kann, erzählt dieser von verschiedenen Stationen einer machtpolitisch immanenten Demütigung und den Versuchen, dagegen aufzubegehren. Im Mittelpunkt steht das betörend schöne Bauernmädchen Jeanne, das in seiner Hochzeitsnacht von einem tyrannischen Provinzpotentaten vergewaltigt wird. Aus Verzweiflung lässt sich Jeanne auf die Werbungen des Teufels ein und baut mit seiner Hilfe ein esoterisches Gegenimperium auf. Mittels Zauberformeln und -kräutern bindet sie die ländliche Bevölkerung an sich, wirkt bis hinein in den Herrschaftshof des Fürsten. Dessen Intrigen ist sie auf Dauer aber nicht gewappnet. Jeanne landet auf dem Scheiterhaufen. Ihr Schicksal aber bleibt nicht ungesühnt: Jahrzehnte später springt die Empörung über das ihr und anderen Frauen angetane Unrecht auf die Massen über: Die Revolution bricht aus, um das auf zynischen Gewohnheitsrechten basierende Herrschaftssystem ein für alle Mal hinwegzufegen.
Philosophisch, historisch und sozial bleibt die Geschichte haltlos: ein reines Märchen, wenn auch keines für Kinder. Die behaupteten gesellschaftspolitischen Motivationen sorgen lediglich für eine dekorative Oberfläche, allerdings für eine reizvoll-schillernde. Zunächst fragt man sich, was die japanischen Produzenten damals wohl getrieben haben mag, sich eines Stoffs anzunehmen, der offenbar rein gar nichts mit den eigenen kulturellen Zusammenhängen zu tun hat. Mehr noch: Auch in der formalen Umsetzung fällt die Verweigerung gegenüber japanischen Stilmitteln mehr als deutlich auf. Aber gerade das macht die anhaltende Faszination des Unterfangens aus. „Belladonna of Sadness“ ist das Dokument einer mehrfach verschachtelten, kulturellen Transformation zwischen Ost und West.
Im Umkehrschluss erzählt das allzu starke Bemühen der Urheber, die tradierten Prägungen abzustreifen, aber dann auch wieder viel über sie selbst. Denn obwohl alles an diesem Film so strikt europäisch aussehen und klingen soll, in den Mythen und Legenden, den Kulissen, den Kleidungen und Frisuren, nicht zuletzt der Musik, liegen die eifrig zusammengetragenen Zitate doch immer ein paar Koordinatenpunkte neben den Originalen. Noch pittoresker wirken die mittelalterlichen Burgen, noch schmaler die Hüften der Mädchen, noch frenetischer tönen die „funky“ Bässe und Fanfaren des Soundtracks. In Europa hätte man das so nie hinbekommen. Indem sich Regisseur Eiichi Yamamoto und Manga-Legende Osamu Tezuka (Mushi Productions Tokyo) so explizit europäisch gaben, haben sie etwas ureigen Japanisches geschaffen, vermutlich gegen ihren eigenen Willen.
Nach der Euphorie des japanischen Zeichentrickfilms Anfang der 1960er-Jahre, dessen Aufstieg an die Popularität der Manga-Kultur gekoppelt war, war das Genre zehn Jahre später in die Krise geraten. „Belladonna of Sadness“ und andere Filme lesen sich heute wie Rettungsversuche, die sich einen neuen Aufschwung durch eine Annäherung an westeuropäische und US-amerikanische Tendenzen erhofften. In Hollywood war man damals, nach dem Überraschungserfolg von „Easy Rider“ (fd 16 524), gerade dabei, die Subkultur für die Unterhaltungsindustrie auszuschlachten. Was auch für Fernost nicht ohne Folgen blieb. Statt sich auf authentische Talente wie Keiichi Tanaami zu besinnen, griff man auf westliche Erfolgsrezepte (etwa eines Ralph Bakshi) zurück. Dies wurde dann mit stark von Prog- und Kraut-Rock beeinflusster Musik vermischt, sehr bunten, psychedelisch mäandernden Pop-Arabesken und einer merkwürdigen Mittelalter-Projektion zwischen Romantik und Barbarei.
Die filmischen Animationen fallen ebenfalls sehr unterschiedlich aus. Mal überrascht der feinsinnige Aquarell-Stil, dessen flächige Tableaus ohne Effekte abgeschwenkt werden, mal explodiert die Szene in sich ständig verändernde, gegenseitig durchdringende Wimmelbilder. Neben Verweisen auf Mucha, Chagall, Picasso oder Delacroix stehen nahezu abstrakte, an Fischinger oder Ruttmann gemahnende Szenen. Auch auf der Tonspur geht es wild durcheinander: süßliche Barmusik wird übergangslos von eruptiven Avantgardeklängen à la Amon Düül oder Magma abgelöst und stürzt dann in wabernde Jazz-Improvisationen. So pendelt die Ästhetik visuell wie musikalisch ständig zwischen Kitsch und Subversion, ohne dem nach kulturhistorischen Fundamenten suchenden Zuschauer damals wie heute irgendeinen Anhalt zu bieten. Gerade darin aber besteht der große Reiz dieser lohnenden Ausgrabung.