© Alexander Griesser/Walker + Worm Film/DCM (Laeni Geiseler in „Was Marielle weiß“)

Tückische Transparenz

Ein Gespräch mit dem Regisseur Frédéric Hambalek über seinen Film „Was Marielle weiß“

Veröffentlicht am
15.04.2025 - 15:46:19
Diskussion

Der 1986 geborene deutsche Filmemacher Frédéric Hambalek realisierte bislang vor allem Kurzfilme und einen selbst finanzierten Spielfilm, außerdem ist er als Drehbuchautor („4 Blocks“, „Der Polizist und das Mädchen“) bekannt. Seine zweite Spielfilm-Regiearbeit „Was Marielle weiß“ wurde in den Wettbewerb der Berlinale 2025 aufgenommen. Der Film kreist um ein Mädchen mit telepathischen Fähigkeiten und deren peinliche Auswirkungen auf das Familienleben. Ein Gespräch über surreale Erlebnisse, Überwachungstechnologien und die Realität des Kinos.


Was Marielle weiß“ ist erst Ihr zweiter Spielfilm – und gleich im Berlinale-Wettbewerb gelandet. Wie war die Premiere für Sie?

Frédéric Hambalek: Es kommt mir immer noch sehr surreal vor. Die Premiere war zufällig an meinem Geburtstag. Mein Produzent konnte nicht verhindern, dass das bekanntgegeben wurde: Da steht man dann im Berlinale-Palast und 1600 Leute singen „Happy Birthday“ für einen, sehr verrückt.

Der Film handelt von der zehnjährigen Marielle, die aufgrund plötzlich auftretender telepathischer Kräfte die Gedanken und Geheimnisse ihrer Eltern kennt. Die erleben nun, wie ihr Innerstes nach außen gekehrt wird. Fühlt sich eine Premiere auch ein bisschen so an?

Hambalek: Es fühlt sich auf jeden Fall so an, als würde man sich nackt ausziehen und an die Rampe stellen. Nicht, weil die Geschichte autobiografisch wäre, aber sie ist trotzdem eine sehr persönliche Angelegenheit. Da kann es schon unangenehm sein, einen Film erstmals zu zeigen. Aber ich habe dann bei der Premiere gemerkt: Okay, das funktioniert gut, das Publikum geht mit.

Lachen die Zuschauer an den „richtigen“ oder vielleicht auch überraschenden Stellen?

Hambalek: Lachen ist auf jeden Fall hilfreich. Der Film kann als Drama oder auch als Komödie gesehen werden. Bei der Berlinale wurde er offenbar als außerordentlich komisch wahrgenommen. Damit war ich glücklich.

Frédéric Hambalek bei der Berlinale-Pressekonferenz von „Was Marielle weiß“ (© IMAGO / Future Image)
Frédéric Hambalek bei der Berlinale-Pressekonferenz von „Was Marielle weiß“ (© IMAGO / Future Image)

Sie haben nicht festgelegt, ob „Was Marielle weiß“ eher tragisch oder komisch sein soll?

Hambalek: Nein, ich mag es, wenn Situationen offenbleiben. Es gibt schon ein bis zwei Szenen im Film, die man nur komisch finden kann, aber je mehr es in verschiedene Richtungen kippen könnte, umso interessanter finde ich das. Und deshalb habe ich eben versucht, die Idee in aller Komplexität auszuarbeiten.


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Für mich entwickelt sich die Geschichte so: Am Anfang kennt Marielle die Geheimnisse ihrer Eltern – dass die Mutter ihren Mann betrügt und der Vater seine Schwierigkeiten im Job verschweigt und sich zuhause als Macher verkauft. Die Eltern wissen, was Marielle weiß. Im Verlauf der Geschichte fällt es den Figuren immer schwerer, offen miteinander umzugehen – und am Schluss ist total unklar, was nun wahr ist und was nicht.

Hambalek: Ja, diese Konsequenzen der an sich irrealen Idee der Telepathie haben mich interessiert. Und: Was Vertrauen heißt in so einer Drucksituation.

Sie haben eben gesagt, dass es keine autobiografische Story ist. Aber Sie haben Kinder?

Hambalek: Ja. Aber man war ja auch selber ein Kind. Als ich mit dem Drehbuch angefangen habe, war ich noch nicht Vater. Inzwischen habe ich zwei Kinder. Damit hat sich die Geschichte durchaus verändert. Ich habe mich irgendwann stärker auf die Eltern konzentriert. Für die ist die Tochter wie eine Black Box. Zuerst gab es noch Szenen, die der Perspektive der Tochter gewidmet waren. Die habe ich später weggelassen.

Das fantastische Element wird ganz umstandslos etabliert, das hat mir gefallen. Die Tochter hat von einer Freundin eine Ohrfeige kassiert, und seitdem hat sie telepathische Fähigkeiten.

Hambalek: Ja, das Kino erschafft seine eigene Realität. Wenn es geschickt gemacht ist, dann geht das Publikum mit – und akzeptiert diese Realität. Das ist in der Filmgeschichte auch nichts komplett Neues.

Die neue Fähigkeit der Tochter kommt den Eltern (Julia Jentsch, Felix Kramer) ungelegen (© Alexander Griesser/Walker + Worm Film/DCM)
Die Eltern (Julia Jentsch, Felix Kramer) in unbehaglicher Lage (© Alexander Griesser/Walker+Worm/DCM)

Sie haben zuerst Filmwissenschaft studiert, in Mainz. Was für Filme haben Sie zuerst beeindruckt?

Hambalek: Als Kind habe ich natürlich „Star Wars“ geliebt und bin mit den Indiana-Jones-Filmen aufgewachsen. Aber irgendwann, mit 13 oder 14, habe ich zum ersten Mal Kubricks „2001 - Odyssee im Weltraum“ gesehen. Und erstmal gar nichts verstanden. Trotzdem hat mich beeindruckt, was im Film alles möglich ist.

Ansonsten ist die Familie, von der Sie in „Was Marielle weiß“ erzählen, natürlich sehr weit weg vom Weltraum.

Hambalek: Das stimmt natürlich. Bisher sind meine Filmsujets immer so entstanden, dass ich etwas in meinem Umfeld beobachtet habe, und aus dieser konkreten Idee habe ich dann die Geschichte entwickelt.

Was mich ein bisschen gestört hat, ist die Tatsache, dass der Job des von Felix Kramer gespielten Vaters – in einem Verlag – ziemlich klar definiert wird, während man nicht genau weiß, was die ebenso berufstätige Mutter, gespielt von Julia Jentsch, eigentlich macht. Wir sehen sie im Büro, aber nur ihre Zigarettenpausen mit ihrem Arbeitskollegen, mit dem sie heftig flirtet, sind von Belang.

Hambalek: Das ist aber gewollt. Ich lasse einfach alles weg, was für die Geschichte unwichtig wäre. Auch beim Vater geht es nicht wirklich um dessen Beruf, sondern um die Machtkämpfe, die sich im Büro ereignen – und dass der Vater sein Ohnmachtsgefühl verleugnet und den durchsetzungsfähigen Mann markiert. Um diese Lebenslügen der Eltern geht es. Der Fokus muss immer auf der eigentlichen Geschichte liegen.

Wie lange haben Sie am Drehbuch geschrieben?

Hambalek: Die erste Fassung ist in einem Dreivierteljahr entstanden. Dann ging es in Richtung Finanzierung, was sehr mühselig war. Und im Lauf der Zeit habe ich mehrere weitere Versionen verfasst, insgesamt saß ich bestimmt drei Jahre am Skript.

Wie haben Sie Laeni Geiseler gefunden, die Marielle spielt?

Hambalek: Es gab ein Casting mit über 100 Kindern, das Anne Walcher organisiert hat, später waren 30 Mädchen in der engeren Wahl. Laeni Geiseler war schnell eine Favoritin. Sie war allerdings anfangs etwas zu jung. Interessanterweise wurde der Dreh aufgrund unserer Finanzierungsprobleme so lange verschoben, dass Laeni dann im sozusagen perfekten Alter war.

Laeni Geiseler in ihrer ersten Hauptrolle (© Alexander Griesser/Walker + Worm Film/DCM)
Laeni Geiseler in ihrer ersten Hauptrolle (© Alexander Griesser/Walker + Worm Film/DCM)

Wie verändern sich die Szenen noch mal bei den Dreharbeiten?

Hambalek: Ich gehe das immer so an, dass ich über das Drehbuch relativ wenig mit den Schauspielerinnen und Schauspielern rede. Ich lasse sie einfach spielen. Ich finde es spannend, wenn sie mir von sich aus etwas anbieten, worauf ich selber nicht gekommen wäre. Es wurde nicht improvisiert, aber es gibt zum Beispiel so viele verschiedene Arten, einen Satz auszusprechen. Wir probieren gemeinsam viele Dinge aus, dabei habe ich den größten Spaß. Ich animiere die Darsteller auch manchmal dazu, ausgehend von ihrer Idee einmal das Gegenteil auszuprobieren. Und noch mal eine ganz andere Variation. Das macht die Dreharbeiten für mich spannend.

Wir haben schon darüber gesprochen, dass die Telepathie im Film eine Transparenz herstellt, die nicht unbedingt wünschenswert ist. In der Realität ist es eher die Technologie, die unser Zusammenleben auf die Probe stellt.

Hambalek: Ja, es gibt so subtile Veränderungen, die Einfluss auf unser Verhalten haben. Als WhatsApp die Lesebestätigung eingeführt hat, habe ich das sofort deaktiviert. Weil ich mich da kontrolliert fühlte.

Der Ausgangspunkt für Ihren Film soll das Babyphon gewesen sein und das ganze Überwachungsthema, das daran hängt. Stimmt das?

Hambalek: Richtig. Und wichtig für das Drehbuch war auch ein Zitat des US-Informatikers Eric Schmidt: „If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place“ – „Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es jemand erfährt, sollten Sie es vielleicht gar nicht erst tun“.

Vater Tobias muss unbequeme Wahrheiten eingestehen (© Alexander Griesser/Walker + Worm Film/DCM)
Vater Tobias muss unbequeme Wahrheiten eingestehen (© Alexander Griesser/Walker + Worm Film/DCM)

Wie geht es für Sie nun weiter?

Hambalek: Ich habe den nächsten Kinofilm im Blick, für den ich jetzt so schnell wie möglich das Drehbuch schreibe.

Verraten Sie, worum es da geht?

Hambalek: Nein, das Geheimnis hüte ich noch.

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