© Salzgeber ("The Garden" von Derek Jarman)

Bilder von der Auferstehung

Filmische Variationen über die Auferstehung Jesu. Eine Untersuchung anhand der Filme „Die Passion Christi“, „The Garden“ und „Valley of Love“.

Veröffentlicht am
13.04.2025 - 00:59:39
Diskussion

Das Leben von Jesus Christus hat Filmemacher immer wieder gereizt. Mal haben sie sich dabei sehr eng an den biblischen Texten orientiert, mal sind sie recht frei mit den Vorgaben umgegangen. Bemerkenswert ist vor allem ihr Umgang mit der Auferstehung zwischen plakativer Bebilderung und reizvoller Abstraktion. Eine Untersuchung von Auferstehungsbildern anhand der Filme „Die Passion Christi“, „The Garden“ und „Valley of Love“.


Viele wissenschaftliche Bücher über den historischen Jesus klammern die Auferstehung schlichtweg aus. Warum er nicht auf sie eingehen „könne“, begründet der Neutestamentler Joachim Gnilka in seinem Standardwerk „Jesus von Nazaret“ in einem kurzen „Österlichen Nachwort“ damit, dass „die Geschichte von der Auferstehung des Gekreuzigten von den Toten nicht mehr zur irdischen Geschichte Jesus von Nazaret gehört. Dennoch ist sie ihr Ziel, auf das alles hinausläuft und von dem her Person und Wirken Jesu erst voll erfasst werden können.“

Angesichts der überragenden Bedeutung der Auferstehung für den christlichen Glauben, die der Apostel Paulus programmatisch in seinem Diktum „Wenn Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube wertlos“ (1 Kor 15,14) verdichtet hat, ist es aber zwingend, die Theologie jenseits der historischen Exegese intensiv über die Auferstehung nachdenkt. Selbstredend spielt diese auch in der christlichen Kunst eine herausragende Rolle. In den visuellen Künsten ist sie von der frühchristlichen Zeit an in überwältigender Fülle und Vielfalt präsent. Das verlängert sich dann bruchlos auch in die Filmkunst. Denn die Künste sind nicht an das Irdische, materiell Fassbare gefesselt, sondern ihnen eröffnen sich kraft der Imagination weite Räume eines Darüber-Hinaus. Gleichwohl bleiben die biblischen Auferstehungserzählungen als Inspirationsquellen und Sprungbrett der Kreativität von entscheidender Bedeutung.

Doch schon die vier Evangelien haben das Thema auf je andere und in Teilen durchaus widersprüchliche Weise bearbeitet. Grundsätzlich gibt es eine Gruppe von Texten, die den „Geheimnischarakter“, das „Mysterium“ der Auferstehung akzentuiert, sei es indem der Auferstandene überhaupt nicht mehr auf der Bühne der Erzählung erscheint (so in Mk 16), oder dadurch, dass der Auferstandene nicht erkannt wird (Joh 20,11-18: Magdalena am Grab; Lk 24,13-35: die Emmaus-Jünger). Eine zweite Gruppe von Texten, die gerne mit dem Signet „Auferstehungsrealismus“ belegt wird, bemüht sich hingegen um konkretisierende Veranschaulichungen. In ihnen isst und trinkt der auferstandene Jesus mit seinen Anhängern, lässt sie seine Wunden berühren und lehrt sie (so in anderen Texten von Lukas und Johannes).

"Die Passion Christi" von Mel Gibson (Constantin)
"Die Passion Christi" von Mel Gibson (© Constantin)

Vor diesem Hintergrund sollen einige Beispiele filmischer Auferstehungsbilder beziehungsweise -inszenierungen vorgestellt werden, die für diese beiden Darstellungsweisen repräsentativ sind. Daran schließt sich in einem zweiten Schritt ein Beispiel für eine filmkünstlerische Reaktion auf den Glaubenssatz von der allgemeinen „Auferstehung von den Toten“ an. Lehramtlich fasst dies der „Katechismus der Katholischen Kirche“ so: „Im Tod, bei der Trennung der Seele vom Leib, fällt der Leib des Menschen der Verwesung anheim, während seine Seele Gott entgegengeht und darauf wartet, daß sie einst mit ihrem verherrlichten Leib wiedervereint wird.“ Dieser werde dann „endgültig“ und unvergänglich“ sein. Dass dieser „verherrlichte“ oder, wie Paulus lieber sagt, „verwandelte“ Leib ganz unbestimmt bleibt, muss die künstlerische Imagination befeuern.


Mel Gibsons „Die Passion Christi“

Der forcierte Realismus der exzessiven Gewaltdarstellungen in Mel Gibsons „Die Passion Christi“ (2004) verlängert sich auch in seine Auferstehungsszene, eine nur siebzig Sekunden kurze, aber wichtige Coda. Gibsons Inszenierung der Auferstehung entfaltet sich wie folgt: Nachdem er mit einer Schwarzblende sein „lebendes Bild“ der Pietà und mit ihm den Ort Golgotha verlassen hat, überspringt er die Grablegung und lässt vier Sekunden stummen Schwarzfilm laufen. Dann beendet das Knirschen eines geschobenen Steins die Stille. Licht fällt auf die Leinwand. Mit der Kamera finden sich die Zuschauer im Inneren der Grabkammer wieder. Dem mit der weiteren Entfernung des Rollsteins wandernden Lichteinfall folgend, tastet das Auge der Kamera die Wände des aus dem Fels gemeißelten Grabs ab und stößt dann – begleitet von einer leise einsetzenden, dann stetig anschwellenden sphärischen Musik – zuerst auf die strahlend weißen Leintücher, mit denen man zuvor eilig den dabei noch blutüberströmten Leichnam umwickelt hatte.

Doch jetzt verhüllen die Tücher keinen Körper mehr. Stattdessen kommt im Seitenprofil das vom Licht erfasste Haupt Jesu ins Bild, ganz rein und ohne jede Spur der vorangegangenen Torturen. Es ist der von James Caviezel vorgestellte Jesus, wie er zuvor in den wenigen Szenen vor seiner Verhaftung zu sehen war. Er öffnet die Augen, den Blick entschlossen nach vorne gerichtet. Passend dazu setzen vorwärtstreibende Marschtrommeln ein und überlagern immer stärker die Sphärenklange. Jesus steht auf – nur zu sehen in einem Ausschnitt seines nackten Oberschenkels, davor die rechte Hand, perforiert von einem großen Nagelloch, dessen Wundränder aber schon vernarbt sind. Dann geht er nach rechts aus dem Grab und aus dem Bild. Als er in Nahaufnahme dicht an der Kamera vorbeikommt, wird das Bild wieder schwarz und bleibt so für einige Sekunden, wie schon zu Beginn der Auferstehungsszene. Dann setzt vor schwarzem Hintergrund der Abspann ein, wobei die Musik, zu der inzwischen auch ein triumphierender Chor hinzugekommen ist, ohne Unterbrechung weiterläuft.

Filmplakat zu "Die Passion Christi" (Constantin)
Filmplakat zu "Die Passion Christi" (© Constantin)

Mit dieser Inszenierung überschreitet Mel Gibson eine Darstellungsgrenze, die alle Evangelien und bis dahin wohl auch alle Filme beachtet haben. Er wagt den Blick in die Grabkammer und die Großaufnahme des Auferstandenen – eine Grenzüberschreitung und ein Tabubruch, weil er damit das Unzeigbare zu zeigen versucht. Gibson wahrt zwar insofern das Geheimnis, als er die wiedererlangte Unversehrtheit des zuvor Gekreuzigten akzentuiert, aber zugleich zerstört er das Mysterium, indem er Jesus ganz menschlich und recht banal aus dem Grab gehen lässt. Und auch, weil das gewaltige Nagelloch in der Mittelhand unweigerlich Assoziationen an Durchschüsse von Pumpguns in Actionfilmen weckt. Wie bei der Gewalt geht Gibson auch bei der Auferstehung über das dem Thema zuträgliche Maß hinaus.

Das Motiv der körperlichen Unversehrtheit des Auferstandenen, verbunden mit der völligen Identität seines österlichen und seines vorösterlichen Erscheinungsbildes, verbindet Gibsons Inszenierung mit zahllosen anderen Jesusfilmen, etwa mit „Maria Magdalena“ (2018) von Garth Davis. Nach der dort (nicht gezeigten) Auferstehung sieht man die Jüngerin ganz entspannt vor der Grabhöhle im Gras. Ihr Gesprächspartner unterscheidet sich in nichts von dem Jesus aus der Zeit vor der Passion. Diese Einebnung des Ostermysteriums ist einer der wenigen Schwachpunkte von „Maria Magdalena“.


„The Garden“ von Derek Jarman

Gegenüber all den „Auferstehungsrealisten“ der Filmgeschichte wurde bereits in der Stummfilmzeit vereinzelt versucht, das Ostergeheimnis dadurch zu bewahren, dass es nur sehr behutsam thematisiert wurde und die Regisseure auf symbolische, zeichenhafte Inszenierungen setzten. Etwa Dimitri Buchowetzki im ersten deutschen Jesusfilm „Der Galiläer“ (1921), indem er die Auferstehung auf eine einzige, keine zwei Sekunden lange Einstellung verdichtet und abstrahiert. Nur durch eine kurze Schwarzblende abgesetzt, springt die Erzählung von einer finalen Totale mit den drei Gekreuzigten auf Golgotha zu einem Blick auf die Silhouette des Auferstandenen, der unscharf im Schattenriss vor der aufgehenden Sonne steht. Dann folgt ein letztes Insert: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“ (Lk 21,33). Auf diese, seinerzeit gewiss mutige Weise bindet „Der Galiläer“ zwar die Auferstehung in seine Narration ein, wahrt aber gleichzeitig deren Mysterium.

Die Gruppe der sich vom Auferstehungsrealismus distanzierenden Regisseure blieb im Verlauf der Filmgeschichte zwar minoritär, fand aber die verschiedensten Inszenierungsstrategien, um das Mysterium von Ostern zu respektieren. Zwar kommt der auferstandene Jesus zumeist selbst ins Bild, aber verfremdet und symbolisiert und deutlich unterschieden von seiner vorösterlichen Präsenz. So setzt Pier Paolo Pasolini in seinem epochalen Meisterwerk „Das 1. Evangelium – Matthäus“ (1964) wie bei seinen Wunderdarstellungen auch beim größten Wunder der Auferstehung auf den Modus einer reflektierten „zweiten Naivität“: Während die Kamera auf das Grab Jesu blickt, kippt plötzlich der vergleichsweise kleine Grabstein um und ein Engel verkündet die Auferstehung. Diese anti-illusionistische Einfachheit überstrahlt dann auch die letzte Einstellung, die Abschiedsszene auf dem Berg mit den berühmten letzten Worten Jesu (vgl. Mt 28,16-20).

"Das 1. Evangelium - Matthäus" (imago/Everett Collection)
"Das 1. Evangelium - Matthäus" (© imago/Everett Collection)

Als ein anderes, sehr ungewöhnliches Beispiel für diesen zweiten Pfad sei ein experimentell-avantgardistischer Film herausgegriffen: „The Garden“ (1990) von dem englischen Filmemacher und Künstler Derek Jarman (1942-1994). In diesem Jesusfilm der anderen Art schlägt Jarman in einem furiosen Stilmix einen weiten Bogen vom Sündenfall bis zur Erlösung in Tod und Auferstehung. Die Jesusgeschichte ist der rote Faden, der die kaleidoskopisch organisierten Bilder zusammenhält, wobei Jesus in verschiedenen Gestalten erscheint; gleich in der ersten Einstellung als der virile Auferstandene im berühmten Fresko von Piero della Francesca, das hier in einer Reproduktion über dem schlafenden und träumenden Jarman hängt. Jesus erscheint des Weiteren als alter, müder, ein apokalyptisches Setting durchschreitender Christus, und intermittierend auch als junge Frau in einem blutroten Kleid. Zuvorderst aber wird Jesus durch zwei schöne, einander sehr ähnliche junge Männer verkörpert, die ein Paar sind. Dies ist keineswegs als provokante Blasphemie gedacht, sondern – in Analogie zum bekannten Bild des „gekreuzigten Campesino“ – als deutliche Ansage, dass Jesus auch für die Homosexuellen gestorben ist, und dass diese nicht die von Gott Verworfenen sind, die deshalb mit Aids bestraft worden seien. Das konnte man in den 1980er-Jahren gerade in England so oft von den Kanzeln hören, dass Jarman, der selbst homosexuell war und an HIV gestorben ist, aus Empörung darüber mit „The Garden“ den „wahren“ Jesus zeichnen wollte, dem solche Verdikte ein Gräuel waren.

Betrachten wir auch hier die Auferstehungsszene von Nahem. Da Jarman den Kreuzestod nicht zeigt, sondern durch eine karfreitäglich gestimmte Bildmediation substituiert, war die letzte Spielszene der Passionshandlung der Weg zur Schädelstätte, auf dem die beiden Männer gemeinsam das Kreuz tragen. Für den Karsamstag stehen dann ruhige, ereignislose Blicke über die Ödnis der südenglischen Küstenregion, in die sich Jarman in seinen letzten, von der HIV-Erkrankung gezeichneten Lebensjahren zurückzog und wo er dann auch „The Garden“ drehte. Die dann folgenden österlichen Szenen sind nicht-linear angeordnet. Auf den „Karsamstag“ folgt zunächst eine streng choreographierte, dialoglose Pfingstszene. An einem langen, wie bei Da Vincis Abendmahl-Fresko frontal zu den Betrachtern positionierten Tisch sitzt etwa ein Dutzend alte Männer, die auf dem Kopf Teelichter als Symbol der „Feuerzungen“ tragen. Das Jesus-Paar, mit weißen Hemden und Westen festlich gewandet, bringt einen Feuerkorb herbei, wie man ihn aus Osternachtsfeiern kennt. Dann stellt es diesen in die Mitte des Tisches und sich selbst dahinter. Sie entzünden zwei kleine Osterkerzen, führen diese wie in einem Ritual der Vereinigung zusammen und heben sie aus dem Bildraum.

Die Bilder sind mit einer Art Klagepsalm unterlegt, den Jarman selbst eingesprochen hat und der einen zur Bildmeditation des Karfreitags im Voice Over zu hörendes apokalyptisches Poem fortführt. Auf das Kerzenritual folgt eine beschleunigte, mit anderen Einstellungen durchsetzte Reprise der Karfreitagsmeditation, die jetzt aber zum Ende hin von einer pulsierenden, vorwärtstreibenden Musik begleitet wird. Die eigentliche Osterszene, die erneut völlig wortlos bleibt, verbindet sich dann mit einem markanten ästhetischen Kontrast. Die zuvor rasante Montage ist nun stark verlangsamt, und an die Stelle der bewegten Orchestermusik treten sanfte, ruhige Klänge von Gitarre und Cello, die bis zum Ende durchgehalten werden und für eine andächtige, aber auch gelöste Grundstimmung sorgen.

Vor einem monochrom schwarzen Hintergrund eröffnet die Osterszene eine schön komponierte Großaufnahme des feierlichen Anzündens einer schmalen Kerze an einer größeren Kerze, wie man es vom „Lumen Christi“-Ritual in der Osternachtsfeier kennt. Dann kommt ein kleines Tischhufeisen in den Blick, an dem das wie bei der Pfingstszene festlich gewandete Jesus-Paar, ein kleiner Junge und ein alter Mann sitzen, womöglich als Repräsentanten eines alle Generationen angehenden Geschehens. Freudig lächelnd tritt die in Rot gewandete weibliche Jesus-Figur an den Tisch und teilt allen ein in Papier gewickeltes Konfekt zu, das dann ruhig, ja andächtig verzehrt wird – alles in gelöster, gehobener Stimmung. Nach dem Vorbild der Jesus-Frau beginnen alle ihr Einwickelpapier zu kleinen Röhren zu rollen und auf den Tisch zu stellen. Nacheinander entzündet sie der Junge, und sie entschweben tänzelnd in die Luft. Der Junge fängt ein filigranes Ascheblatt, pustet es zur Frau und diese lässt es zwischen ihren Händen schweben, bis es zerfällt. Die Szene und der Film enden damit, dass alle fünf still lachend zu klatschen beginnen.

Jarmans Auferstehungsbilder sind indirekt und metaphorisch. Er evoziert die Stimmung einer heiteren Osterfeier, bei der Jesus selbst in zweifacher Gestalt anwesend ist. Das Verzehren der kleinen Köstlichkeit lässt an die bleibende Gegenwart des Gekreuzigt-Auferstandenen in der Eucharistie denken, und das Aufsteigen der brennenden Hüllen, ihr Wechsel vom Materiellen in den schwebenden, nahezu immateriellen Zustand erscheint als poetisches Bild für den grundlegenden Wechsel in der Seinsweise des auferstandenen Jesu Christus. Nach dem förmlichen Bilderrausch, in den „The Garden“ die Zuschauenden mitgerissen hat, sind die Stille, das Andächtige und von österlicher Freude Durchklungene der Auferstehungsszene ergreifender als die meisten der aus anderen Jesusfilmen vertrauten Osterbilder. Jarman involviert das Publikum, indem er sanft an seine Assoziationskraft appelliert. Mit seiner ganz gegen den Strich der Erwartungen angelegten Ästhetik akzentuiert er auch den der Auferstehung eignenden Charakter einer alles durchkreuzenden Erfahrung.

Isabelle Huppert, Gérard Depardieu in "Valley of Love" (arte/Le Pacte)
Isabelle Huppert, Gérard Depardieu in "Valley of Love" (© arte/Le Pacte)


Valley of Love“: Die Auferstehung der Toten

Für den in das christliche Credo aufgenommenen Glaubenssatz von der „Auferstehung der Toten“, der seinerseits im Glauben an die Auferstehung Jesu gründet, sind die Jesus zugeschriebenen Totenerweckungen keine Beispiele. Denn diese erzählen immer von einer Rückkehr in die irdische Existenz. Natürlich haben diese spektakulären Geschichten, allen voran die Erweckung des bereits in Verwesung übergegangenen Lazarus (Joh 11,1-44) auch auf die Filmkunst ausgestrahlt. Am bekanntesten ist die Rückkehr der schon aufgebahrten Inger in Carl Theodor Dreyers „Das Wort“ (1955), die auf ein Erweckungsgebet ihres als religiöser Schwärmer belächelten Bruders Johannes an ihrem Totenlager erfolgt. Diese „unerhörte“ Szene wird dann von Carlos Reygadas in „Stellet Licht“ (2007) re-inszeniert. Die „Auferstehung der Toten“ und die damit verbundene Verheißung der Wiedervereinigung der Seele mit einem „verherrlichten“ und „unvergänglichen“ Leib ist weitaus geheimnisvoller. In diese Geheimniszone bewegt sich der außergewöhnliche Film „Valley of Love“ (2015) von Guillaume Nicloux. Der Film fokussiert auf die beiden Hauptfiguren Isabelle (Isabelle Huppert) und Gérard (Gérard Depardieu), die viele Jahre nach ihrer Scheidung erstmals wieder zusammenkommen. Der Grund dafür sind zwei fast gleichlautende Briefe ihres Sohnes Michael, die sie auf mysteriöse Weise viele Monate nach dessen Suizid erreicht haben. Noch weit mysteriöser als ihr „Postweg“ ist ihr Inhalt: Die Eltern sollen sich zusammen über sieben Tage im „Death Valley“ für jeweils zwei genau bezeichnete Stunden an ebenfalls genau angegebene, wechselnde Orte im Glutofen des Tales begeben, denn an einem dieser Tage würden sie dann Michael wiedersehen.

Da so das Thema einer irgendwie gearteten „Auferstehung“ als Achse der Ereignisse aufgerufen ist, liegt es nahe, die Geschichte versuchsweise mit einer biblisch-theologisch justierten Optik zu interpretieren – in der Hoffnung, dass sich diese „Brille“ am Ende als plausibel erweist. Bereits die Vorgabe der „sieben Tage“ verweist auf das „Sieben-Tage-Werk“, das der große Schöpfungshymnus, der die Bibel eröffnet (Gen 1), feiert. Ein neuerliches Sehen des toten Sohnes wäre eine Neu-Schöpfung seiner Existenz. Isabelle ist als erste im Motel am Rande des „Death Valley“ eingetroffen, das als Quartier dienen soll. Mit Isabelles antriebslosen Versuchen, die Zeit totzuschlagen, und mit ihrer bedrückten Gemütslage, weil sie sich so viele Jahre nicht um den Sohn bekümmert hat, eröffnet der Film in einer Karsamstag-Stimmung zwischen Tod und der – wie in der Bibel auch für die Jünger:innen – unglaublichen Zumutung, die in der Ankündigung einer Wiederbegegnung mit dem Toten liegt.

Isabelle ist willens, sich Michaels Verheißung zu öffnen, denn sie versteht sich als spiritueller, auch für Dinge jenseits des rational Erklärbaren offener Mensch. Damit und mit ihrer ausgeprägten Emotionalität hat sie ein biblisches Pendant in Maria Magdalena. Gérard hingegen fühlt sich als Agnostiker und macht Isabelle von Anfang an klar, dass er nicht an die Verheißung glaubt. In seiner tiefen Skepsis erinnert er an den „ungläubigen“ Jünger Thomas, der in der Ostererzählung des Johannesevangeliums erst dann an die Auferstehung glaubt, als ihn Jesus auffordert, seinen Finger und seine Hand in seine Wunden zu legen (Joh 20,27-29). Dennoch ist Gérard ebenfalls angereist, auch um gewissermaßen eine Wiedergutmachung und vielleicht auch Buße zu leisten, da auch er den Kontakt zu seinem Sohn, der nach der Trennung von Isabelle zuerst bei ihm lebte, abgebrochen hatte. Nicht ohne Grund nennt Gérard die Reise und die ritualisierte Umsetzung der Agenda des Sohnes einmal eine „Wallfahrt“. Im Hintergrund ihrer beider Reise steht, wie sich langsam herausstellt, auch die Sehnsucht nach einer Wiederbegegnung mit dem früher geliebten Partner, zumal beider neue Beziehungen gescheitert sind. Und in der Tat bringen sie die gemeinsamen Tage unter dem Vorzeichen ihrer schuldbeladenen Elternschaft einander wieder näher.

Michael hat die beiden nicht zufällig in das „Tal des Todes“ bestellt. An diesem Ort ist die Zumutung einer Wiederbegegnung radikal zugespitzt. Zudem ist die Wüste schon immer und in allen Kulturen auch ein spiritueller Raum. Dort kann der Mensch sich läutern und zu sich selbst und möglicherweise auch zu Gott finden. Die Wüste ist ein Raum für transzendierende Erfahrungen.


Etwas Unsichtbares sichtbar machen

Die ersten Tage, in denen Isabelle und Gérard die Vorgaben des Sohnes umsetzen und ihn über Stunden in der Hitze des Tales erwarten, verlaufen – wie von Gérard prognostiziert – ereignislos. Aber die Hitze und die Einsamkeit haben beide „weichgemacht“; sie tauen gleichsam innerlich auf und beginnen sich einander zu öffnen. Durch die wachsende körperliche Schwächung werden sie empfindlicher, auch bereiter für das Numinose. Dessen erster „Einbruch“ widerfährt Isabelle in der Nacht zum dritten Wüstentag. Gérard hört ihre Schreie, und als er in ihr Zimmer vordringt, behauptet sie, Michael sei dagewesen und habe sie an den Füßen festgehalten. Sie zeigt ihm die Male, die sie von Michaels festem Griff zurückbehalten habe. Gérard bemüht hierfür rationale Erklärungen, doch in der folgenden Nacht erlebt auch er ein Widerfahrnis in der Grauzone zwischen Traumvision und Wirklichkeit: Er trifft im Freien auf eine reglose, androgyne Gestalt. Als diese dunkel zu Gérard sagt „Ich habe auf Dich gewartet – um zu sterben“, verstärkt sich der Eindruck, dies könne bereits eine Begegnung mit dem verstorbenen Michael in verwandelter Gestalt sein. Doch Gérard sucht sich dagegen zu verschleißen und erzählt auch Isabelle nichts von diesem Geschehen.

Als die beiden am fünften Tag wieder in die Wüste fahren, brennen die Male von Isabelle und sie fühlt sich schwach. Deshalb geht Gérard alleine nochmals, obwohl auch er von der Sonne ausgelaugt ist, in den von seinem Sohn bezeichneten Canyon. Nach einer Weile erhebt sich unverhofft ein stärker werdender Wind, der in diesem Erzählkontext sogleich an die immer als Windstoß vorgestellte „ruach“ der jüdischen Bibel, den lebensspendenden, energetischen Geisthauch Gottes denken lässt und so den Einbruch des Numinosen ankündigt. Gérard schleppt sich weiter in die Tiefe des Canyons, wo wie der weggenommene Rollstein am Grab Jesu ein ihm auch in der Form ähnelnder Fels den Weg in eine dunkel verschattete Zone freigibt. Nachdem Gérard die Schwelle vom Lichten ins Dunkle überschritten hat, hört er plötzlich das Knirschen der Steine unter den Schritten eines Anderen, Unsichtbaren. Und wie aus dem Nichts ruft eine männliche Stimme Gérard ein „Komm!“ zu.

Was sich dann ereignet, wird nicht gezeigt und ist auch nicht zu hören. Man sieht nur Gérard entsetzt und tief erschüttert zu Isabelle zurückstolpern, in ähnlicher Verfassung wie die Frauen, als sie aus dem leeren Grab Jesu geflüchtet sind, nachdem ihnen der Engel die ihnen unbegreifliche Kunde von der Auferstehung gebracht hatte (Mk 16,8). Gérard gestikuliert in Richtung Canyon und stammelt „Michael – er hat mich an den Händen gehalten.“ Dann: „Er hat gesagt: ‚Ich liebe Euch‘ und ‚Ich verzeihe Euch‘“. Und schließlich: „Er war es!“

Obwohl in diesen wenigen Worten so viel Erlösendes steckt, beginnt Isabelle zunächst, Gérard in rasender Wut Vorhaltungen zu machen, warum er sie nicht geholt habe. Aber der Offenbarungsmoment, der nur Gérard, dem „ungläubigen Thomas“, zuteilwurde, hätte sich nicht prolongieren oder gar festhalten lassen. Das unterstreicht die tiefgründige Erzählung von der „Verklärung“ Jesu auf dem Berg, in der den Jüngern die göttliche Natur ihres Meisters offenbart wird (vgl. Mk 9,2-13). Just in dem Moment, als Petrus die Vision zu „konservieren“ sucht, endet diese und wird durch eine bildlose Audition abgelöst (V. 5-7).

Die Kluft, die sich durch das Offenbarungs-Privileg Gérards zwischen den beiden auftut, wird am Ende aber durch die Energie der Liebes- und Vergebungszusage des Sohnes „geheilt“. Gérard, der zunächst alleine abreist, kehrt zu Isabelle zurück. Den Grund dafür macht er ohne Worte deutlich: Er streckt ihr seine Handgelenke hin, die jetzt auch von Malen gezeichnet sind. Was er bei Isabelle zuvor bestritten hatte, muss Gérard nun selbst bekennen: „Er hat mich festgehalten.“ Durch die Wüstenerfahrungen und sichtbar auch durch ihre Male verbunden, treten die beiden die Heimreise gemeinsam an. Wie das Grab Jesu wurde auch das „Tal des Todes“ durch die befreienden Worte von Liebe und Vergebung seitens des momenthaft wieder gegenwärtig gewordenen Sohnes zum Ort eines erlösten neuen Lebens.

"Valley of Love" von Guillaume Nicloux (arte/Le Pacte)
"Valley of Love" von Guillaume Nicloux (© arte/Le Pacte)

Ein „Wiedersehen“, eine „Auferstehung“ des Sohnes wird nicht gezeigt und ist auch nicht zu hören. Der Windhauch, die numinosen Schritte und ein kurzes, undeutliches Rufen bereiten die eigentliche Offenbarung vor, sind diese aber noch nicht selbst. Das einzige, was man von der „Auferstehung“ sieht, ist ihre Spiegelung im zutiefst erschütterten Blick und dem fahrigen Gestikulieren des Auferstehungszeugen. Das in den Briefen den Eltern verheißene Sehen ereignet sich bestenfalls als inneres Sehen. Eher aber führt der Film in jenen, auch vom Katechismus nur vage anvisierten Zwischenzustand, in dem die Seele auf ihre Wiedervereinigung mit einem dann „verherrlichten Leib“ wartet.

Im Genre des Jesusfilms hat das von Nicloux gewählte Spiegelmodell ein Gegenstück in der absolut diskreten Osterszene in „Der Messias“ (1975) von Roberto Rossellini. Auf die Nachricht der entsetzten Magdalena hin, dass Jesu Grab leer sei, läuft – in einer unbiblischen Variation – die Mutter Jesu zum Grab und sieht es offen. Dann sieht man nur noch ihr vor Freude strahlendes Gesicht, von dem die Kamera aber rasch in einen blauen Himmel schwenkt. Roberto Rossellini und Guillaume Nicloux haben sich beide – bewusst oder aus künstlerischer Intuition – für eine Inszenierung der Auferstehung entschieden, die den berühmten Worten folgt, die der Auferstandene am Ende der Szene mit dem ungläubigen Thomas spricht: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,28).

Das ist vielleicht auch der Königsweg für die Thematisierung der Auferstehung im Film. Man kann sie, wie Nicloux zeigt, sehr eindrucksvoll im Spiegel ihrer Zeugen evozieren, oder aber auch in symbolischer Brechung, etwa im Modus einer „zweiten Naivität“, oder verfremdet und stilisiert wie in „The Garden“. Entschieden problematischer sind hingegen alle Versuche eines direkten Blicks auf einen suggestiv zu präsentierenden Auferstandenen. Solches ist in aller Regel schon ästhetisch zum Scheitern verurteilt; vor allem aber droht hier eine Einebnung, ja Banalisierung des Mysteriums von Ostern, oder gar, dass es ungewollt lächerlich wird.

Abzuwarten bleibt allerdings, zu welcher Lösung ein Filmkünstler wie Terrence Malick gefunden hat, sofern sein schon seit Jahren in Postproduktion befindlicher Jesusfilm „The Way of the Wind“ jemals das Licht der Leinwand erblickt – und sofern er sich an die Auferstehung als die schwierigste aller Szenen gewagt hat.


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