Der ab 2014 aufgedeckte „Cum-Ex“-Skandal, der den Steuerbetrug durch international vernetzte Großbanken in Höhe von 146 Milliarden Euro umfasst, beschäftigt noch immer die europäischen Gerichte. Mit der achtteiligen Serie „Die Affäre Cum-Ex“ wagen sich das ZDF und dänische Koproduzenten an den Finanzskandal heran und nähern sich ihm aus unterschiedlichen Perspektiven an. Dabei gelingt es Regie und Drehbuch, komplizierte Verfahren anschaulich, spannend und auf spielerische Weise umzusetzen.
In der fünften Folge der achtteiligen Serie „Die Affäre Cum-Ex“, die das ZDF mit dem dänischen Fernsehen in Auftrag gab und die X-Filme produzierte, geschieht etwas für die Handlung wie die Erzählweise Ungewöhnliches. Die Protagonistin – eine deutsche Staatsanwältin – wird von einem internationalen Gremium der Strafverfolgungsbehörden in Europa zu einem weitreichenden Untersuchungsantrag befragt; man glaubt ihr die Tragweite des Steuerbetrugs nicht, den sie in vielen Ländern entdeckt zu haben meint.
Die Frau (Lisa Wagner) zögert einen Moment, es ist zu spüren, dass sie so oft noch nicht vor einem solchen großen, zudem mehrheitlich mit Männern besetzten Gremium gesprochen hat. Nervös greift sie zum Papierstapel, der vor ihr liegt, überlegt kurz, ehe sie fortfährt, dass sie am besten die Namen der Banken nennen werde, die an diesem Betrug in irgendeiner Form beteiligt seien. Nun liest sie mit wachsendem Selbstbewusstsein die Namen vor, und siehe da, kaum eine der großen europäischen, selbst der US-Banken fehlt. Die Lesung dauert mehrere Minuten. In dieser Zeit umkreist die Kamera in einer Plansequenz das weite Rund des Kongressraums, in dem über 50 Frauen und Männer – am Anfang skeptisch schauend, am Ende nur noch staunend – der Lesung lauschen.
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Zu politisch für die Hauptsendezeit?
Die
Serie „Die Affäre Cum-Ex“ umfasst acht Folgen mit jeweils 45 Minuten. Sie ist seit
dem 22. März auf dem ZDF-Streamingportal abrufbar. Am 13. und 14. April wird sie
im ZDF am späteren Abend ausgestrahlt, was diesen Sender ehrt, aber auch zur
Frage führt, warum sie es nicht ins Hauptprogramm um 20.15 Uhr geschafft hat? War
sie dem öffentlich-rechtlichen Sender vielleicht zu politisch geworden? Oder
sollte sie das Publikum, das im ZDF zur besten Sendezeit nur Mord und Totschlag
und keine Wirtschaftsverbrechen erwartet, nicht verschrecken?
Die Serie wurde von Jan Schomburg entwickelt, der auch die Drehbücher – partiell zusammen mit Astrid Øye und Pål Sletaune aus Dänemark – schrieb. Der Autor hat sich schon früh als Regisseur einen Namen gemacht: Sein Kurzfilm „Nie solo seiN“ sorgte 2004 für Aufsehen wie später auch seine Kinofilme „Über uns das All“ (2011) und „Vergiss mein Ich“ (2014). Zusammen mit Maria Schrader schrieb er die Drehbücher zum hochgelobten Stefan-Zweig-Drama „Vor der Morgenröte“ (2016) und dem ebenso gerühmten Zukunftsfilm „Ich bin dein Mensch“ (2021), die beide von der Ko-Autorin inszeniert wurden. 2024 veröffentlichte er seinen zweiten Roman „Die Möglichkeit eines Wunders“, der ein historisches Ereignis um eine Geisterbeschwörung in München des Jahres 1900 zu einer phantastischen Geschichte weitet, die im Haiti der 1930er-Jahre endet. „Die Affäre Cum-Ex“ ist seine erste Serie.
Die zu Anfang beschriebene Szene ist in mehrfacher Hinsicht Sinnbild für die Serie. Sie zeigt zum einen die Dimension des Betrugs auf, der unter dem Stichwort „Cum-Ex“ geführt und seit einigen Jahren auch strafrechtlich aufgearbeitet wird, der vielen Ländern in Europa insgesamt 146 Milliarden Euro an Steuereinnahmen, heißt es zu Beginn, kostete und an dem sich nicht nur die erwähnten Banken – sie werden mit ihrem Klarnamen genannt – sondern auch hochgerühmte Rechtsanwälte, Steuerberater und Finanzfirmen beteiligten.
Die Einsamkeit der Aufdeckerin
Sie demonstriert zum zweiten die Einsamkeit derjenigen, die diesen Betrug aufdeckte und juristisch aufzuarbeiten begann: Die Frau, die Lisa Wagner mit einer gewissen Chuzpe ausstattet, heißt in der Serie Lena Birkwald. In der Wirklichkeit, nach der die Serie geschrieben wurde, heißt sie Anne Brorhilker und ist etwas älter als die Schauspielerin, die sie darstellt. Die Kölner Oberstaatsanwältin hatte seit 2013 die Vorgänge untersucht, die seit 2014 als „Cum-Ex-Betrug“ öffentlich wurden, und hatte sie in mehreren Verfahren angeklagt, von denen die ersten zu mittlerweile auch in letzter Instanz bestätigen Urteilen gegen die Betrüger führten. Andere Gerichtsverfahren laufen noch.
Sie
selbst kommt wie andere Beteiligte des Skandals, die in der Serie unter anderen
Namen auftauchen, in einem Dokumentarfilm zu Wort, den das ZDF parallel in
Auftrag gab. „Systemfehler: Der Cum-Ex-Skandal“ von Judith Lentze erzählt
aus der Perspektive des Journalisten Oliver Schröm, wie die Affäre
aufgedeckt und in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Hier mutet manches sogar
phantastischer an, als es die fiktionale Serie zeigt. Der Film läuft in der
Nacht des 15. April im ZDF, ehe er am nächsten Tag um 20.15 Uhr auf 3sat zu
sehen ist; im ZDF-Streamingportal ist er wie die Serie seit dem 22. März abrufbar.
Als Ergänzung wie auch als eine gewisse Fortsetzung der Serie ist er zu
empfehlen.
Der „Cum-Ex“ genannte Betrug ist finanztechnisch und steuerrechtlich äußerst kompliziert. Er wird in der Serie und im Dokumentarfilm mehrfach – mal in dürren Worten, mal mit Metaphern beschrieben –, ohne dass man ihn unbedingt versteht, denn er beruht auf digital beschleunigten Abläufen im Börsenhandel und auf vielen komplizierten Regelungen und Gesetzen. Vereinfacht gesagt: Hier arbeiteten Banken, Aktienhändler und Steuerberater so zusammen, dass ihnen eine Steuer erstattet wurde, die nie gezahlt worden war; ein Trick, der im Grunde mit jeder Aktie, auf die eine Dividende gezahlt wird, und somit alljährlich angewandt werden konnte. Eine Wirklichkeit gewordene Maschine, die Geld auf Knopfdruck ausspuckt. Über die aber nur Menschen verfügen konnten, die schon sehr viel Geld besaßen. Und die die jeweiligen Staaten viel Geld kostete.
Die Internationalität als Pointe im Bild
Die erwähnte Szene der 5. Folge demonstriert zum dritten die besondere Erzählweise der Serie, die hier aus der klassischen Dramaturgie der Spannungssteigerung aussteigt und für einen Ruhepunkt sorgt, der aber zugleich so etwas wie die Pointe des Erzählten im Bild einer Kamerakreisfahrt bannt, dass nämlich am Betrug viele als seriös geltende Großbanken beteiligt waren. Zugleich beweist sie die Internationalität des Betrugs, den nach diesem Auftritt der deutschen Staatsanwältin die nun zusammenarbeitenden Strafverfolgungsbehörden verschiedener Länder gemeinsam aufzuklären suchten.
Nicht zuletzt deshalb spielt die Serie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark – mit jeweils eigenen Geschichten, die parallel erzählt werden und die sich erst am Ende berühren. In Deutschland konzentriert sich die Geschichte auf drei Personen: die bereits erwähnte Staatsanwältin, den Steueranwalt (Justus von Dohnányi), der das Cum-Ex-Verfahren zur perfekt ablaufenden Maschine ausbaute, und dessen juristischen Ziehsohn (Nils Strunk); hier konzentriert sich das Erzählte auf den Betrug, die beteiligten Personen und auf das Ermittlungsverfahren. In Dänemark stehen zwei Steuerbeamte im Mittelpunkt: Die leitende Dezernentin für Steuererstattung (Karen-Lise Mynster) und ihr bald einziger Mitarbeiter (David Dencik); hier liegt der Akzent auf der Steuerpolitik in Zeiten des Neoliberalismus, der möglichst viele der profithemmenden Regeln abschaffen will und das Personal in den Finanzämtern verkleinern möchte.
Persönliche Aspekte der Figuren bleiben in beiden Strängen der Serie rar. Über die ermittelnde Staatsanwältin in Köln erfährt man beispielsweise nur, dass sie in ihrer Freizeit Vögel beobachtet, was sie in den Augen derer, gegen die sie ermittelt, absonderlich erscheinen lässt. Stärker wird der private Hintergrund des jungen Anwalts beleuchtet, dessen Eltern im Osten von Deutschland leben und der durch seinen Mentor in die Techniken des Steuerbetrugs wie auch in die des Luxuslebens eingeführt wird. Im dänischen Strang muss die Steuerdezernentin miterleben, wie die Politik immer wieder in ihre Arbeit hineinwirkt, um die Banken vor Strafverfolgung zu schützen, während ihr Angestellter in finanzieller Not sich seinerseits der Betrugsmasche bedient. Dass er dann als erster lange vor Bankern und Brokern vor Gericht gestellt wird, gehört zu den Pointen der Serie.
Alles erlaubt, was
nicht ausdrücklich verboten ist
Die multiperspektivische Herangehensweise erlaubt es Jan Schomburg, von den unterschiedlichsten Ebenen der Affäre zu erzählen: Es wird eine sich an sich selbst und ihrem Luxusleben berauschende Elite sichtbar. Es ist der Zynismus einer Steuerberatung zu erkennen, für die alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich vom Gesetz verboten wird. Es wird das Glückspiel deutlich, zu dem der durch die schnelle Datenvermittlung beschleunigte Aktienhandel partiell mutiert ist. Es ist die Hilflosigkeit einer Strafverfolgung zu erahnen, die bei ihrer Arbeit auf sehr teure Anwaltskanzleien und hohe Unterlassungsandrohungen stößt. Und es werden die Verbindungen zur Politik angedeutet, die nicht an der Macht der Banken zweifeln wollen oder vielleicht auch nicht zweifeln dürfen.
Als einzige Person des Geschehens wird der SPD-Politiker Olaf Scholz in der Serie bei seinem richtigen Namen genannt; er soll als Regierender Bürgermeister von Hamburg in das Rückzahlverfahren einer Privatbank seiner Stadt eingegriffen haben, was bis heute trotz zweier Untersuchungsausschüsse immer noch nicht aufgeklärt ist. Scholz, der zwischenzeitlich erst als Finanzminister einer Bundesregierung amtierte und danach einer anderen drei Jahre als Kanzler vorstand, kann sich bis heute an entscheidende Gespräche nicht erinnern.
Angesichts all dessen könnte der Eindruck entstehen, die Serie wäre ein ernstes und trockenes Lehrstück in Sachen Steuerpolitik. Das wäre ein Irrtum. Denn sie vermittelt all das, was ihr an diesem Skandal wichtig ist, auf eine wunderbar spielerische Weise, die komödiantische wie kriminalistische Elemente einbezieht, ohne selbst zur billigen Farce oder gar zu einem konventionellen Serienkrimi zu verkommen. Hinzukommt ein gewisses intellektuelles Spiel um das filmische Erzählen selbst, das sich bereits mit einer Schrifttafel zu Beginn andeutet: „Die Serie ist fiktional, aber inspiriert von wahren Ereignissen.“ Dieser Satz wird nach einigen Sekunden ergänzt: „Leider.“ Weitere ironische Einsprengsel folgen, die einen gelegentlich daran erinnern, dass das Dargestellte eher ein Modell der Wirklichkeit als diese selbst ist. Und immer wieder gibt es besondere Momente wie die anfangs geschilderte Szene aus der fünften Folge zu bestaunen.
Ein auch intellektuelles Vergnügen
Das
alles lässt das Zuschauen zu einem – auch intellektuellen – Vergnügen werden,
an dem die Darstellerinnen und Darsteller in der Regie von Dustin Loose
und Kaspar Munk einen besonderen Anteil haben: Wie etwa Justus von Dohnányi den von sich selbst und der Legalität seines Steuermodells
überzeugten Steueranwalt spielt, das ist grandios, vor allem in den Szenen der
Niederlage, in denen er seine Figur mit einer gewissen Sentimentalität
ausstattet. Lisa Wagner gewinnt immer dann, wenn sie sich unbedarft und
hilflos gibt und so diejenigen, gegen die sie ermittelt, sich in einer falschen Sicherheit
wiegen. Karen-Lise Mynster gelingt es, den Verrat, den sie begeht, als
sie ein Dokument, das die Schuld ihres Untergebenen beweist, dem Gericht
übergibt, als ebenso folgerichtig wie problematisch darzustellen. Dieser Verrat
wird im weiteren Handlungsverlauf gleichsam gespiegelt, als sich in Deutschland
der Adlatus gegen seinen Mentor wendet und gegen ihn als Kronzeuge aussagt.
Nils Strunk als eben diesem jungen Aufsteiger in der Steuerberaterszene nimmt man das Staunen über ein Leben im Luxus ab, an das sich die von ihm dargestellte Figur schneller gewöhnt, als sie es sich je vorstellen konnte. Der Mann, nach dem die Geschichte der Serien-Figur modelliert ist, steht derzeit in Bonn vor Gericht. Anfang April wurde er in diesem Prozess von seinem ehemaligen Anwalt – also eines Mannes, den die Serie in einer fiktiven Nebenfigur bei den Gesprächen mit der Staatsanwältin ebenfalls zeigt – der Lüge bezichtigt; vor allem habe der Angeklagte nur vorgetäuscht, das sich durch den Betrug angeeignete Vermögen in Höhe von 50 Millionen Euro wirklich an den Staat zurückzahlen zu wollen. Interessanterweise erscheint dieser von Strunk gespielte Mann in der Serie als problematischer denn als reale Person im Dokumentarfilm, der ihn eher als wichtigsten Zeugen aufführt.
Im Reigen der Darsteller sind jene nicht zu vergessen, die in Nebenrollen auftauchen und die oft glänzend – etwa Lina Beckmann als Steuerprüferin aus Hamburg oder Robert Hunger-Bühler als Staatsanwalt aus der Schweiz – besetzt sind.
Das Jahr ist zwar noch jung, doch „Die Affäre Cum-Ex“ dürfte auch an seinem Ende zu den Fernseh-Höhepunkten zählen. Die Affäre selbst dürfte ausweislich der laufenden Prozesse das Land weiter beschäftigen.