Wenn es nicht gerade spektakuläre Soundeffekte im Mainstreamkino sind, wird der Ton im Film oft nicht als besondere künstlerische Leistung wahrgenommen. Dabei ist der Ton eine äußerst knifflige Angelegenheit, die ein feines Ohr für die kleinsten Nuancen des Klanges erfordert. Einer der bedeutendsten deutschen Tonmeister und Tonmischer ist Matthias Lempert. Bei „Das Licht“ (seit 20. März in den Kinos und am 17. März für die Tongestaltung für den Deutschen Filmpreis nominiert) arbeitet er zum wiederholten Mal mit Tom Tykwer zusammen. Aber auch die Filme von Andres Veiel oder Angela Schanelec profitieren von Lemperts Tongestaltung. Ein Werkstattgespräch.
Wie sind Sie zum Film und zum Filmton gekommen?
Matthias Lempert: Ich bin noch ein klassischer Autodidakt. Bis in die 1980er-Jahre war das im Film noch weit verbreitet. Die Leute haben als Tonassistent angefangen, haben mit der Zeit Originaltonmeister gelernt, dann folgte vielleicht Synchrontonmeister und auch Geräuschetonmeister. Wenn man besonders gut war, konnte man vielleicht auch als Mischtonmeister arbeiten. Ich war sicherlich einer der letzten, die auf diesem Wege noch in diesen Bereich des Filmtons gekommen sind. Auch zu meiner Zeit schon wurden dann vor allem ausgebildete Toningenieure als Mischtonmeister angestellt.
Als Jugendlicher habe ich schon erste Erfahrungen gesammelt. Mein Bruder hat Super-8-Experimentalfilme gemacht, ich habe mit elektronischen selbstgebastelten Sachen Sounds gemacht. In Bonn gab es Stefan Drößler mit seinen Aktivitäten, Studentenkino, Brotfabrik und Stummfilmtage. Da habe ich mal einen Stummfilm mit Musik vertont oder bei anderen Stummfilmen mit Sounds und Klängen live experimentiert. Die Zielrichtung kam erst aus der Sorge meiner Eltern. Über einen Onkel von mir, der Dramaturg in München war, haben sie einen Kontakt zur Bavaria hergestellt. Da habe ich mich mit 26 Jahren für ein Praktikum in der Tonabteilung der Bavaria beworben.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Ein Land vor Gericht. Andres Veiel über „Ökozid“
- Zwei Dimensionen. Porträt der Szenenbildnerin Silke Fischer
- „Es geht um einen Kulturwandel“. Interview über Intimitätskoordination bei Filmdrehs
Das
hat geklappt, und ich begann in München als Tonassistenz zu arbeiten. Bänder
einlegen und Schleifen wechseln, das war quasi eine klassische 35mm-basierte
Filmtontechnik-Grundausbildung. Gegen Ende des Jahres, das ich dort war, habe
ich einen Geräuschemacher kennengelernt, der sich ein eigenes Studio bauen
wollte. Er wollte lieber mit zwei jüngeren unbefangenen Leuten als
Aufnahmetonmeister arbeiten, die mehr Lust haben, mit Sounds zu
experimentieren. Da habe ich mehrere Jahre gearbeitet und in der Zeit habe ich
auch mal angefangen, Sound-Design zu machen oder Ton zu schneiden. Nach drei
Jahren ungefähr ergab sich die Gelegenheit, mit mehreren Kollegen eine Firma zu
gründen, Solid Sound, die gibt es
heute noch. Wir gehörten zu den ersten, die mit digitalen Tonschnittsystemen
gearbeitet haben. Da bin ich zum Sound-Design und Tonschnitt gekommen. Auch
Tonmischung habe ich hier schon in einer sehr reduzierten, kleinteiligen Form
gemacht. Das ist mir damals auch ehrlich gesagt schwergefallen. Ich habe auch
viel gelernt, wie wichtig zum Beispiel die Vorbereitung ist. Wenn man einen
Klang macht, geht es nicht nur darum, diesen Klang als solchen schön zu
schaffen, sondern auch zu überlegen, in welcher Form er dann im Film drin ist.
Je näher ich den Klang der Form bringe, in der er im Film eingesetzt werden
kann, desto leichter wird später die Mischung. In den 1990er-Jahren habe ich
dann von Adolf Winkelmann das Angebot bekommen, zum 1993 neu etablierten
Ruhrsound (Ruhrsoundstudios) in Dortmund
zu gehen, um dort zuerst als fester und dann als freier Mitarbeiter als Sound-Designer
und Tonmischer tätig zu werden. Ruhrsound war damals das progressivste
Filmtonstudio in Deutschland, mit sehr guter technischer Ausstattung.
Die Ebenen des Tons sind ja Dialog, Geräusche und die Musik. Gibt es einen Part, den Sie am liebsten machen?
Lempert: Das widerspricht eigentlich dem Wesen des Films. Der Filmton entsteht aus dem Zusammenspiel dieser drei Elemente. Die Ausbalancierung und Gestaltung dieser Elemente ist das Interessanteste dabei. Aus einem gewissen Pragmatismus gibt es Präferenzen bei mir. Wenn ich am Dialogschnitt arbeite, hat das den Vorteil, dass es in der Mischung leichter läuft, weil ich den schon so vorbereite, wie ich ihn später mischen will. Es hängt auch immer vom Umfang der Arbeiten ab, weil die mittlerweile komplex geworden sind. Ich kann einfachere Projekte komplett selber machen, aber bei komplexeren Projekten gebe ich das lieber den spezialisierten Dialogleuten und Sound-Designern, weil die da viel besser ausgestattet und informiert sind.
Musik ist wieder eine ganz eigene Sache. Während die anderen Bereiche, Dialog und Sound, Atmo und Geräusche, ineinander übergehen, ist die Musik immer der Teil, der separat gelagert wird. Darum kümmert sich ein Komponist. Es sind Ausnahmefälle, dass ich zur Musik beitrage. Manchmal gibt es Überschneidungen, die konfliktbehaftet sind, wenn man tonale Sounds- und Klangflächen als Sound-Designer kreiert, die aufgrund ihrer Tonalität mit musikalischen Harmonien und Melodien entweder so verschmelzen, dass man sie nicht auseinanderhalten kann, oder dass es Spannungen zwischen den Klangflächen gibt, sie also akustisch gegeneinander arbeiten, so dass beide Elemente ihre innere Wirkung verlieren.
Allerdings besteht für mich hier ein wesentlicher Unterschied zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Beim Dokumentarfilm kann ich wegen des reduzierten Gesamtmaterials eher sagen, dass ich die Verantwortung für die gesamte Tonbearbeitung übernehme. Beim Spielfilm ist es fast ausgeschlossen, alle Bestandteile der nicht-dialogischen und nicht-musikalischen Arbeit zu stellen. Allein schon die Archivtöne, die die meisten Sound-Designer über die Jahrzehnte angesammelt haben – da fehlt mir der Zugriff und die Kenntnis dieser Töne.
Bei Filmpreisen, von denen Sie auch mehrere bekommen haben, auch den Deutschen Filmpreis, stehen beim Preis für die Tongestaltung meist drei Personen. Welche Bereiche sind das und in welcher Funktion stehen Sie dann dabei?
Lempert: Ich war dann in der Regel für die Mischung verantwortlich. Das Team ist natürlich noch sehr viel größer. Gerade der Ton ist ein Gewerk, das aus ganz vielen spezialisierten Einzelpersonen zusammengesetzt ist. Beim Dreh sind der Originaltonmeister und der Angler, die beide sehr gut sein müssen. Dann geht das in die Postproduktion, da hat man den Dialogeditor, den Sound-Designer, den Geräuschemacher, den Geräuschetonmeister, einen Sprachsynchron-Editor und -Supervisor. Was auch sehr wichtig geworden ist, sind diejenigen, die Menschenmengen im Film nachsynchronisieren und quasi auch Regie führen für diese Sprachaufnahmen von Crowds, wie das im Englischen genannt wird. Damit sind alle Ansammlungen von Menschen abseits der Hauptdarsteller im Spielfilm gemeint, die sich sichtbar sprechend im Bild bewegen. Denen will man auch bestimmte sprachliche Inhalte, Dramaturgie und Aussagekraft geben, ohne dass sie wirklich bewusst wahrgenommen werden. Diese Hintergrundton-Gestaltung ist unglaublich wichtig, weil sie in einem ganz hohen Maße zur Lebendigkeit des Klangbilds beiträgt.
Bei den Filmpreisveranstaltungen sind in der Regel die am auffälligsten am Filmton Beteiligten dabei, das sind der Originaltonmeister, der Sound-Designer und der Mischtonmeister. Wobei das immer schwierig ist, weil der Dialogschnitt das absolute Rückgrat des Films ist. Das ist eine so große Kunst, den Ton so zu bearbeiten, dass man möglichst viel von der Lebendigkeit und gewissen Zufälligkeit vom Originalton von der Situation aufhebt, aber alle Störgeräusche so weit es geht entfernt, dass man die Schauspieler:innen gut und emotional verstehen kann. Auch die Qualität des Geräuschemachens ist so wichtig für die Lebendigkeit des Klangbilds. Das sind alles Arbeitsschritte, die nicht wirklich bewusst wertgeschätzt werden. Da wird auch gerne mal gefragt, ob man das so aufwändig machen muss. Die Wertschätzung der Qualität der Tonbearbeitung ist nicht in dem Maße vorhanden, wie sie eigentlich bei ihrer Relevanz für den Film sein sollte.
Sie haben ganz viele Begriffe genannt, die zeigen, wie ausdifferenziert der Ton ist. Wie hat die Digitalisierung der Tonbearbeitung dazu beigetragen? Gerade bei Geräuschen könnte man ja sagen, dass man auch alles mit dem Computer machen kann.
Lempert: Hat man auch gedacht, als die ersten Sampler aufkamen, nur hat man gemerkt, dass es nicht funktioniert. Der Schwerpunkt der Geräuschemacher ist die Vertonung der Bewegungen und Aktionen der Schauspieler. Der Klang ihrer Schritte, ihrer Kleidung, der Dinge, die sie in die Hand nehmen. Das ist dermaßen individuell und es sind so viele Details darin, wie etwa auch das Material und in welchem Zustand es ist. Ein guter Geräuschemacher trifft diese Geräusche instinktiv richtig. Wenn man versuchen würde, diese aus Archivtönen zusammenzubauen, wäre das total unwirtschaftlich und würde noch nicht mal gut werden. Das ist ein Bereich, der wird immer Handarbeit bleiben. Es gibt natürlich Sachen, die durch die Digitalisierung ganz in die Archivarbeit hinübergewandert sind. Aber auch bei reinen Soundeffekten bittet man Geräuschemacher, Bestandteile dazu beizutragen. Weil sie eine Lebendigkeit und Einzigartigkeit hinbekommen und nicht die Reproduktion eines Geräuschs, das schon in fünfzig anderen Filmen gut funktioniert hat und dadurch eine gewisse Uniformität aufweist.
Es hat sich insofern sehr viel geändert. Bis Mitte der 1980er-Jahre wurden Filme am Schneidetisch auch vertont. Die Anzahl der Tonspuren beim Monofilm war im einstelligen und bei den ersten Dolby-Surround-Filmen vielleicht im mittleren zweistelligen Bereich. Das ist natürlich mittlerweile explodiert. Das Ausmaß der Vorbereitung der Sound-Designer und die Präzision, wie schon die Klänge zum Bild hin angepasst werden, lässt sich nicht ansatzweise damit vergleichen, wie vor zwanzig bis dreißig Jahren vorgegangen wurde.
Wann beginnt Ihre Arbeit beim Film?
Lempert:
Ich
bekomme meistens schon bei der Anfrage, ob ich den Ton mache, das Drehbuch.
Dann kommt eine lange Phase, wo ich eigentlich aus dem Spiel bin. Weil der Film
erst einmal gedreht und dann geschnitten werden muss. Danach kommen so langsam
die ersten Annäherungsstufen. Ich sehe mir dann auch meist den ersten Schnitt,
den Rohschnitt, an. Dann kann ich auch meine Eindrücke mit der Regie teilen.
Ich spreche mit den Sound-Editoren, um Ideen abzuklopfen, in welche Richtung
das gehen könnte. Die eigentliche Arbeit beginnt am Ende, wenn wirklich die
Mischung anfängt. Wenn man sich bei Filmfestivals bewirbt, fertigt man in einer
früheren Schnittphase einen sogenannten Temp-Mix, einen temporären Mix an, aus
den Tonelementen, die beim Bildschnitt vorhanden sind. Man bringt das in eine
Form, die von einem Gremium anschaubar ist, damit sie einen Eindruck bekommen,
was für ein Film das ist, wie die Wirkung sein könnte. Das ist insofern ganz
gut, weil man da schon viel abprüfen kann. Man denkt, der Regisseur habe immer
am Schneidetisch gesessen, aber er kennt das Bild und den Ton nur von einem
kleinen Monitor. Dann sieht man das in einer größeren Mischung, das Bild hat
nun eine ganz andere Wucht, eine ganz andere Wirkung. Der Ton arbeitet anders
mit einem großen Bild als mit einem kleinen. Dann weiß auch ich schon, in
welche Richtung sich der Film hinsichtlich der Klanggestaltung bewegen
wird.
Gibt es etwas, was für sie beim Ton besonders wichtig ist? Auch im Unterschied zu Ihren Arbeiten im Dokumentarfilm und Spielfilm.
Lempert: Beim Ton ist es eine etwas schwierige Situation, weil er in der Regel nicht bewusst vom Publikum wahrgenommen wird. Im Prinzip ist es so: Wenn der Ton völlig im Film verschwindet, hat man eigentlich seine Arbeit besonders gut gemacht. Das Publikum reagiert vor allem auf Fehler oder Störungen oder irgendetwas, was nicht funktioniert. Klar gibt es auch Filme, in denen die Soundeffekte das Publikum begeistern. Trotzdem ist es das inhärente Dilemma des Filmtons, dass, wenn er nicht wahrgenommen wird, er genau passend zum Film war. Ich habe auf jeden Fall eine Neigung zu einer klaren ästhetischen Stilistik. In Sebastian Schippers „Absolute Giganten“ aus dem Jahre 1999 beispielsweise fällt in einer Szene die Leuchtreklame einer Stunt-Show runter, weil einer der Protagonisten mit seinem Auto dagegenfährt. Für Sebastian und mich war klar: Die Jungs in dem Film bauen nur Mist und wenn der Reklameschriftzug runterfällt, muss das einfach nur entsetzlich scheppern. Die Jungs machen keine bombastischen Klänge. Das war eine bewusste stilistische Entscheidung im Ton.
Der
Spielfilm hat in der Regel eine größere Gestaltungsfreiheit als der
Dokumentarfilm. Aber auch beim Dokumentarfilm muss es eine klare ästhetische
Führung geben. Es geht mir vor allem um die ästhetische Stimmigkeit der
Tonebene, ob im Spielfilm oder Dokumentarfilm. Die ästhetische Form muss in
sich geschlossen sein, sodass sich damit, was der Film erzählen will, eine
Einheit bildet.
Bleiben wir beim Dokumentarfilm und beim Spielfilm und betrachten wir konkrete Filme. Sie haben vor allem mit zwei Regisseuren zusammengearbeitet, bei denen genau diese Unterscheidung zutrifft. Der eine ist Tom Tykwer, der Spielfilme macht, der andere ist Andres Veiel, der durch seine Dokumentarfilme bekannt geworden ist. Wie läuft die Zusammenarbeit mit den beiden Regisseuren?
Lempert: Es gibt gerade auch in der Zusammenarbeit mit der Regie Aspekte, die nicht genug wahrgenommen werden. Meine Arbeit als Mischtonmeister ist zu fünfzig Prozent Psychologie. Das kommt zuerst. Das zweite ist das ästhetische Gefühl. Die Technikbeherrschung kommt erst an dritter Stelle. Die Vorstellungswelt der jeweiligen Regisseure muss man zuerst erfassen und kennen. Ich sage immer, ich habe ein Koordinatensystem und das passe ich dem der Regie an. Innerhalb dessen habe ich dann sehr viel Freiraum. Durch diese Abgleichung meines Koordinatensystems vermeide ich, mich für Sachen zu entscheiden, die gar nicht gewünscht sind. Nehmen wir beim Spielfilm Tom Tykwer und Angela Schanelec. Das sind zwei Regisseur:innen, die einen sehr ausgeprägten eigenen ästhetischen Geschmack haben. Mein Koordinatensystem muss ich auf deren jeweilige Vorstellungswelt eichen und mich darin bewegen für alle meine Vorschläge, die ich mache. Da ich mit beiden schon sehr lange zusammenarbeite, kenne ich ihre Vorstellungswelt natürlich sehr genau. Das ist bei den Filmen von Andres Veiel, egal ob Dokumentar- oder Spielfilm, genauso. Er hat auch eine sehr klare und präzise Vorstellung, die ich zu treffen versuche. Wir alle wollen, dass der Film durch den Ton noch besser wird, als er in der Rohfassung schon ist.
Ich versuche das, was die Regisseur:innen sich wünschen und vorgestellt haben, aber vielleicht nicht so genau formulieren können, umzusetzen. Das sind oft sehr abstrakte Zusammenspiele von Bild und Ton. Wenn ein Ton zu einem Bild dazukommt, verändert er die Gesamtwahrnehmung vom Bild. Es besteht beim Dokumentarfilm und Spielfilm ein gradueller Unterschied, was die Menge von Ereignissen betrifft, aber es muss immer versucht werden, die passende Tonsprache zu finden.
Wenn beispielsweise in einer Szene eine Emotionalität hervorgerufen werden soll, funktioniert das für einen Regisseur vielleicht dadurch, dass man behutsam die Musiklautstärke etwas steigert, während für einen anderen dies dadurch hervorgerufen wird, dass man die Atmosphären reduziert und damit eine gefühlte größere Nähe zum Darsteller erzeugt.
Im letzten Jahr fand ich zwei Dokumentarfilme vor allem auch hinsichtlich des Tons beeindruckend, für die Sie die Mischung gemacht haben. Das ist zum einen „Riefenstahl“ von Andres Veiel und zum anderen „Der unsichtbare Zoo“ von Romuald Karmakar. Was waren die größten Herausforderungen in den beiden Filmen?
Lempert: Ich bin auf beide Arbeiten sehr stolz. Romuald Karmakar hat sehr lange am Schnitt gearbeitet, weil es ganz schwierig war, ihn in eine Form zu gießen, damit es als Film funktioniert und nicht nur als eine Folge von interessanten schönen Szenen.
Er hat auch sehr lange gedreht.
Lempert: Er hat den Verlauf eines ganzen Jahres abgebildet, inklusive der Pandemie. Es war spannend, denn es war die absolute Reduktion des Tons. Wir hatten uns vorher über ein mehrkanaliges Tonsystem unterhalten, ich arbeite ja auch schon lange mit ihm zusammen. Wir hatten uns also vor den Dreharbeiten ein Tonsystem überlegt, sodass wir später bei der Mischung einen bestimmten Klangaufbau haben, der das Bild sehr gut einfängt. Wir haben fast ausschließlich mit diesem originalen Mehrkanalton gearbeitet. Es wurde ganz selten hier und da mal eine Kleinigkeit, wie mit einem Salzstreuer, dazugegeben, um eine Szene ein bisschen plastischer zu machen. Wir haben also im Prinzip nur mit dem Kameramikrofon und diesem mehrkanaligen Tonsystem gearbeitet. Aber das heißt nicht, dass es dadurch einfacher war. Am Originalton war nicht alles optimal. Ich musste beispielsweise die Sprache in einem spektralen Editor in ihren einzelnen Vokalen und Konsonanten lauter rechnen, um dann wieder diese Sprachpräsenz hinzukriegen, die man braucht, damit die Sprache verständlich ist. Ich habe also ganz operativ auf einzelnen Frequenzebenen im Material selbst gearbeitet und nicht wie normalerweise durch das Hinzufügen von anderen Tonschichten. Und durch das Mehrkanal-Setup haben wir eine unheimlich schöne plastische Raumdarstellung gehabt, die dann auch für Romuald Karmakar eine ganz unerwartete Erfahrung war. Es tut mir im Herzen weh, dass der Film bislang nicht die Berücksichtigung und Wertschätzung bekommt, die er verdient hat.
Das
ist ein ganz starker stilistischer und ästhetischer Gegensatz zu „Riefenstahl“,
der einen ganz anderen Ansatz hatte. Durch die vorgegebenen Originaltöne gab es
in „Riefenstahl“ eine ganz klare Führung. Dann war da die Musik von Freya Arde, die eine große Eigenständigkeit, Materialhaftigkeit und Abstraktion
hatte. Ich habe für den Film auch das Sound-Design gemacht, weil ich dem
stummen Originalfilmmaterial einen ganz abstrakten, aber taktilen und
haptischen Hintergrund geben wollte. Ich habe mit einem Synthesizer den ganzen
Film vertont, mit Rausch- und Knack- und Knurpselgeräuschen.
Die so vertonten Stummfilmbilder erfüllen dadurch eine Wahrnehmungserwartung beim Publikum. Es spürt, da läuft ein alter Film. Den Ton als solchen nimmt es gar nicht wahr. Ich habe das auch bei Freunden beobachtet, denen ich gesagt habe, dass sie sich das mal anhören sollen. Die haben hinterher gesagt, der Ton sei ihnen überhaupt nicht aufgefallen. Das hat mir wieder vor Augen geführt, dass der Ton im Bild verschwindet, wenn er passt, eigentlich nur als plastischeres Bild wahrgenommen wird. Ich wollte auch da keine naturalistische Vertonung machen, wo es möglich gewesen wäre. Zum Beispiel habe ich bei den Archivbildern aus Afrika versucht, mit dem Synthesizer atmosphärische Töne zu machen, so dass der Ton durch diese Abstraktion dem Bild adäquat gegenübersteht. Nicht dass der Ton nur eine naturalistische Illustration des Inhalts darstellt. Das war ein gänzlich anderer Arbeitsansatz als bei Karmakar, ein Ansatz, der mit den gestalterischen Möglichkeiten, die ich hatte, auch sehr beglückend für mich war.
Es heißt, dass jede Stadt, jeder Ort so ihren eigenen Klang, ihren eigenen Ton hat. Welche Orte haben für Sie einen eigenen Klang?
Lempert: Das wären zum Beispiel in Prag die Straßenbahnen, die haben so einen ganz bestimmten Klang, das Quietschen und Scheppern in den Schienen. Das war auch in Bonn so, wo ich lange gewohnt habe. Hinter der Häuserreihe gegenüber führte eine Bahnstrecke lang, genau durch die Häuser abgedeckt. Wenn die Güterzüge in der Nacht fuhren, war das wie eine ganz weit entfernte Brandung, die aus der Ebene kam, man konnte etwas ganz anderes hinein assoziieren. Es ist schon so, dass man durch seinen Beruf im Alltag sehr stark konditioniert wird, Töne wahrzunehmen, die gerade irgendwo stattfinden, wenn man hört, da ist eine Taube und da ist eine Krähe, da quietschende Kräne und die entfernt ratternde S-Bahn.