Die christliche Rechte in den USA versucht, sich den
Theologen Dietrich Bonhoeffer kulturell anzueignen. Dafür wird sein Widerstand gegen
die Nazis ideologisch bewusst verdreht. In den Augen der MAGA-Populisten wird
Bonhoeffer zum Vorbild im Kampf gegen den liberalen Zeitgeist. Ungewollte Schützenhilfe
leistet ihnen dabei der Film „Bonhoeffer“, der ab Donnerstag, 13. März, auch in
den deutschen Kinos zu sehen ist.
Auf dem Werbeplakat der Angel Studios hält Dietrich Bonhoeffer eine Pistole in der Hand. Daneben stehen die reißerischen Worte: „Pastor. Spy. Assassin“, was so viel heißt wie Pastor, Spion, Attentäter. Der US-amerikanische Regisseur Todd Komarnicki ist über diesen Titel und die Werbekampagne für seinen Film „Bonhoeffer“ gar nicht glücklich. Beides rückt den evangelischen Theologen in den Dunstkreis christlicher Nationalisten in den USA, die seit einiger Zeit versuchen, Bonhoeffer zu einem Kronzeugen gegen die liberale Demokratie umzudeuten.
Der intellektuelle Drahtzieher hinter der „MAGA“-isierung Bonhoeffers ist der evangelikale Prediger Eric Metaxas, der 2009 ein Buch über den mutigen Lutheraner geschrieben hat, dessen Titel wohl die Inspiration für das Marketing der Angel Studios war. „Bonhoeffer: Pastor, Martyr, Prophet, Spy.“ Beim National Prayer Breakfast 2012 brachte Metaxas den NS-Widerstandskämpfer gegen die politischen Eliten der USA in Stellung. Er verglich die Abtreibung indirekt mit dem Holocaust. Und appellierte in Anwesenheit des damaligen US-Präsidenten Barack Obama an seine Zuhörer: „Das ist ein Bonhoeffer-Moment.“ Eine Verdrehung, die seitdem zu Metaxas’ rhetorischem Repertoire gehört.
Der evangelikale Prediger entwickelte sich vom zurückhaltenden Trump-Unterstützer zum glühenden MAGA-Verfechter. In einer Kolumne im „Wall Street Journal“ rechtfertigte er seine Unterstützung für den wenig frommen Milliardär mit der Abtreibungsfrage. „Gott wird uns nicht unschuldig sprechen“, warb er bei seinen evangelikalen Weggefährten für Trump, der 2016 acht von zehn Stimmen aus diesem Lager erhielt.
Von den Rechten vereinnahmt
Nach Trumps Wahlniederlage 2020 radikalisierte sich der Prediger weiter. In seiner Talkshow verbreitete er die „Große Lüge“ von den gestohlenen Wahlen. „Das ist das Schlimmste, was in der Geschichte unserer Nation widerfahren ist“, schmeichelte er Trump in einem Telefonat und versicherte ihm in seiner Show: „Ich wäre glücklich, in diesem Kampf zu sterben.“ Seiner verdrehten Logik folgend deutete Metaxas den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 unter Berufung auf Bonhoeffer zu einem Akt des Widerstands um.
Vor den Wahlen im November 2024 produzierte Metaxas dann mit Unterstützung eines Netzwerks christlich-nationalistischer Organisationen einen „Dokumentarfilm“ unter dem Titel „Letter to the American Church“. Darin machte er Bonhoeffer endgültig zum Bannerträger der MAGA-Bewegung. Liberale und die Demokratische Partei werden darin mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt, gegen die Evangelikale Widerstand leisten müssten. Der deutsche Widerstandskämpfer habe gelehrt, „dass Christen die Verpflichtung vor Gott haben, wenn nötig politisch zu werden und eine mutige und wahrscheinlich gefährliche Haltung gegen ihre eigene Regierung einzunehmen.“ Gemeint war in dem Film aber nicht das NS-Unrechtsregime, sondern das Weiße Haus unter Führung des Katholiken Joe Biden.
Wie weit die Aneignung Bonhoeffers in der MAGA-Welt vorangeschritten ist, lässt sich auf Seite elf der Blaupause für das Ende der liberalen Demokratie in Amerika nachlesen. In dem „Presidental Transition Project 2025“ berufen sich die Verfasser der Trump-nahen Heritage Foundation auf Bonhoeffers Konzept von der „billigen Gnade“, um ihn zum Kronzeugen für Grenzschließungen, Massendeportationen und das Ende einer aktiven Klimaschutzpolitik zu machen. Der „Aktivismus für offene Grenzen“ sei ein klassisches Beispiel für das, was Bonhoeffer „billige Gnade“ nannte, heißt es dort. „Tatsächlich besteht die einzige direkte Auswirkung offener Grenzen auf die Pro-Offene-Grenzen-Eliten darin, dass der ständige Zustrom illegaler Einwanderung die Löhne ihrer Haushälterinnen, Gärtner und Bediensteten drückt. Billige Gnade beschreibt treffend die Liebesaffäre der Linken mit dem Umweltextremismus. Diejenigen, die am meisten unter den Maßnahmen leiden, die der Umweltschutz uns auferlegen würde, sind die Alten, Armen und Verwundbaren.“
Der Protest der Bonhoeffer-Familie
Das ist der Kontext, in dem der glücklose Zeitpunkt des Kinostarts von „Bonhoeffer“ nach der Wahl Donald Trumps in den USA zu sehen ist. In der „Süddeutschen Zeitung“ wehrte sich Regisseur Todd Komarnicki gegen den Vorwurf, mit seinem Werk zu der Propaganda-Maschine der MAGA-Welt beizutragen. „Mein Film hat nichts mit Leuten wie Eric Metaxas zu tun. Als die Bonhoeffer-Familie sich über das Filmplakat mit der Pistole in der Hand beschwert hat, fand ich: Sie haben recht“, betont Komarnicki. Die Anschuldigungen, dass er selbst die Vereinnahmung Bonhoeffers durch die christliche Rechte unterstütze, machen ihn nach eigenen Angaben „fassungslos“.
Tatsächlich taucht die Pistole in keiner Szene in dem Film auf. Sie ist eine Übertreibung, die zu den anderen Zuspitzungen der evangelikalen Angel Studios passt. Allerdings fragt man sich, ob der erfahrene Regisseur das nicht wissen konnte? Komarnicki rechtfertigt seine Zusammenarbeit mit Angel Studios mit den begrenzten Möglichkeiten für unabhängige Filmemacher. Für diese sei es fast unmöglich geworden, mit ihren Produktionen landesweit in die Kinos zu kommen. Die Angel Studios hätten ihm zugesichert, den Film in 2000 US-Kinos zu zeigen. Das sei für eine freie Produktion über ein deutsches Thema mit deutschen Schauspielern sehr viel.
Auch die namhaften deutschen Darsteller des Films fühlen sich von der Vermarktung missbraucht. In einem offenen Brief distanzieren sich Jonas Dassler, Moritz Bleibtreu, August Diehl und weitere Schauspieler von der Vereinnahmung durch die US-Nationalisten. „In der heutigen Gesellschaft schrecken Populisten und Nationalisten nicht davor zurück, die Geschichte und in diesem Fall das Vermächtnis eines ganzen Menschen für ihre unmenschliche Weltanschauung zu verdrehen“, schreiben sie in ihrer Stellungnahme und warnen ausdrücklich vor „dem Missbrauch unseres Films und des Vermächtnisses von Dietrich Bonhoeffer durch christliche Nationalisten“. In dem Fernsehmagazin „ttt – titel, thesen, temperamente“ äußerte sich Diehl besorgt über die Instrumentalisierung des Films. „Wir werden nicht geschützt vor dem, was manche aus dem Film machen wollen“, sagt der Schauspieler. Was mit dem Film in den USA geschehe, mache ihn „traurig“. Den zeitlichen Zusammenfall des US-Kinostarts mit Trumps Wiederwahl habe niemand vorhersehen können.
Eine „zynische“ Umdeutung
Die kulturelle Aneignung Bonhoeffers durch die christliche Rechte in den USA wird auch von denen scharf kritisiert, die den Pastor und sein Erbe am besten kennen: seine Familie, Theologen und Historiker. Tobias Korenke verfolgt die Entwicklung mit Besorgnis. Das Vermächtnis seines Großonkels werde zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht. „Niemals hätte der sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen“, sagte Korenke. „Im Gegenteil hätte er genau diese Haltungen kritisiert.“ Der Versuch, Bonhoeffer als Vorbild für den Kampf gegen „Wokeness, Abtreibung und Zeitgeist“ darzustellen, sei eine „unfassbar zynische“ Umdeutung der historischen Wahrheit.
In einer Petition der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft wird besonders Metaxas scharf angegangen. „Er hat die Geschichte Bonhoeffers manipuliert, um christlichen Nationalismus zu unterstützen“, heißt es dort. Die Petition warnt vor der „Verherrlichung von Gewalt und unangemessenen Analogien zwischen unserem politischen System und Nazi-Deutschland.“
Regisseur Komarnicki sieht den deutschen Kinostart am 13. März als zweite Chance. Gegenüber der britischen Tageszeitung „The Guardian“ äußerte er die Erwartung, „dass die Europäer den Film viel besser verstehen werden als das US-amerikanische Publikum.“ Dabei hilft es, dass die Angel Studios bei der Vermarktung nicht ihre Hand im Spiel haben. Der deutsche Verleih Kinostar hat sich für eine Kampagne entschieden, die auf das Reißerische verzichtet. Verschwunden ist auch die Pistole Bonhoeffers, die es weder im Film noch im Leben des Pastors gab.