Mit „Call Me By Your Name“ gelang dem 1995 in New York City geborenen Schauspieler der Durchbruch. Als Heranwachsender, der im Italien der 1980er-Jahre eine hitzige Affäre mit einem 24-jährigen Mann eingeht, wurde er 2016 als einer der jüngsten Schauspieler aller Zeiten für den „Oscar“ als bester Hauptdarsteller nominiert. Es folgten weitere typische Rebellenrollen, in denen er zu einem der wichtigsten Schauspieler seiner Generation heranreifte. Chalamet, oft als besonders hübsch und androgyn charakterisiert, wurde als Paul Atreides in den Neu-Verfilmungen von „Dune“ zum Superstar. Sollte das sein Weg sein, vom dezidierten Antihelden hin zum Helden und gar Messias, wie es in „Dune“ vorgesehen ist? Seine aktuelle Rolle als junger Bob Dylan in „Like A Complete Unknown“ könnte die beiden Seiten seines Images, Außenseiter und Auserwählter, miteinander versöhnen.
Die erste körperliche Berührung ist noch zaghaft. Da massiert Oliver bei freizeitsportlichen Aktivitäten Elio noch ein bisschen kumpelhaft den Rücken. Als Elio danach von einer Freundin weiter massiert wird, spürt er, dass er den ersten Körperkontakt mehr mochte, gleichwohl er auch diesen abwehrte. Ordentlich irritiert von diesem Erlebnis, geht er danach zuerst wie in Trance umher. Um sich seine Gefühle nicht eingestehen zu müssen, agiert er fortan wie ein Trotzkopf und seine hübschen Gesichtszüge entgleiten ihm immer wieder hin zum Sarkasmus. Es braucht seine Zeit, bis er diese Gefühle zu einem anderen Mann akzeptiert, die in den 1980er-Jahren in Italien noch ganz und gar ein Tabu darstellten. Eines Abends findet in dem Ort in der Lombardei, in dem er mit seinen Eltern den Sommer verbringt, ein Fest statt. Er hängt mit seinen Freundinnen und Freunden ab, raucht und trinkt, und der Abend wird wohl auch nicht viel mehr Aufregendes bereithalten. Da fällt sein Blick auf Oliver, der versunken in die Musik auf der Bühne tanzt. Und um Elio ist es nun ganz und gar geschehen. Es wird nicht lange dauern, und auch er begibt sich auf die Tanzfläche.
Ein Liebender für unsere Zeit
Es war vor allem dieser Moment, als Timothée Chalamet in seiner Rolle als Elio das Subjekt seiner Begierde beobachtet, der in der Kritik besonders hervorgehoben wurde. Mit geringsten mimischen Mitteln und enormer Wahrhaftigkeit gelingt dem Schauspieler, dass wir uns in Kopf und Bauch und Herz seiner Figur hineinversetzen können. „Call Me By Your Name“, inszeniert von Luca Guadagnino, war für den 22-jährigen Timothée Chalamet der Durchbruch. Neben unzähligen anderen Preisen erhielt er eine „Oscar“-Nominierung für die beste Hauptrolle und war damit seit Mickey Rooney 1940 der jüngste Schauspieler, dem diese Ehre zuteilwurde.
Der französische Nouvelle-Vague-Regisseur Eric Rohmer stand ein bisschen Pate für das Coming-of-Age-Drama. Chalamet erinnert in dem Film in seiner Körperlichkeit und erotischen Anziehungskraft an den jungen Melvil Poupaud in Rohmers „Sommer“ (1996). Poupaud war damals auch fast gleich alt. Beide filmischen Charaktere ähneln sich darin, dass sie ihre romantischen Gefühle noch nicht festlegen wollen und wohl auch nicht können. Körperlich eint sie, dass sie alles andere als typisch maskulin sind. Nicht viril, sondern androgyn; weder körperlich noch mental stark, vielmehr ihren Emotionen freien Lauf lassend.
Rohmer durchleuchtete die Liebe noch vornehmlich in ihren heterosexuellen Spielarten. Der homosexuelle Luca Guadagnino ging in seiner Verfilmung des Romans von André Aciman nach einem Drehbuch von James Ivory, der ebenfalls schwul ist, andere Wege. Timothée Chalamet, der bis dahin mit Nebenrollen wie in der Serie „Homeland“ und in Christopher Nolans „Interstellar“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, war die perfekte Besetzung für Elio. Das Erforschen der eigenen schauspielerischen Ausdruckskraft ergänzte sich wunderbar mit dem Erkunden von Elios Sexualität. Es bildeten sich bestimmte Merkmale in Chalamets Spiel heraus, wie seine fast flüsternde Art zu sprechen; die auffallend beredten Augen, die auch schnell zwischen Aufmerksamkeit und Langeweile wechseln können; seine Art zu gehen, ein Zotteln und eher lustloses Dahinschreiten, auch dann noch, wenn es dynamischer wird, wodurch seine schlaksige Gestalt betont wird.
Einige Momente im Film wirken wie Improvisationen, so etwa, wenn Elio auf Olivers Bett liegt und sich dessen Shorts über den Kopf zieht. Ikonisch ist das Schlussbild, wenn Elio während des gesamten Abspanns und vom Kaminfeuer beleuchtet sich in Gedanken von seinem Geliebten verabschiedet, wir, das Publikum, in seinem Mienenspiel alle schönen Momente wiedersehen, die er mit Oliver verbracht hat, ohne dass wir das geringste Bedürfnis verspüren, diese Momente in Rückblenden noch einmal gezeigt zu bekommen (was eine Regie, die weniger der Ausdruckskraft eines Schauspielers vertraut, vermutlich gemacht hätte). Immer roter und feuchter werden die Augen, bis sich eine Träne aus dem Nass der Trauer löst und die Wange runterkullert.
Ganz und gar ein Idol
Timothée Chalamet wurde am 27. Dezember 1995 in New York City geboren. Seine Mutter Nicole Flenders ist eine jüdische New Yorkerin in dritter Generation. Sein Vater Marc kommt aus Frankreich. Seine ältere Schwester Pauline ist ebenfalls Schauspielerin, seine Mutter ausgebildete Tanzlehrerin. Viele aus der Familie mütterlicherseits arbeiteten in der Filmbranche. Sein Vater ist für UNICEF und als New-York-Korrespondent für „Le Parisien“ tätig. Schon als Jugendlicher bekam er seine ersten TV-Rollen. Die endgültige Entscheidung Schauspieler werden zu wollen, fiel, als er 2008 Heath Ledger in „The Dark Knight“ sah. Ausgebildet wurde er dann an der Fiorello H. LaGuardia High School of Music & Art and Performing Arts in New York (auch Adrien Brody und Jennifer Aniston absolvierten die Schule). Von seinem Schauspiellehrer heißt es, noch nie habe er beim Vorsprechen für einen Studienplatz so viele Punkte vergeben wie bei Timothée Chalamet.
Nachdem 2018 „Beautiful Boy“ in die Kinos gekommen war, schrieb der bekannte Filmkritiker Kenneth Turan in der „Los Angeles Times“, dass Chalamet nun vermutlich der männliche Schauspieler seiner Generation sei. In „Beautiful Boy“ spielt er den drogensüchtigen Heranwachsenden Nic. Trotz vieler Versuche und der Unterstützung seiner Eltern kommt er nicht von der Abhängigkeit los.
Der ohnehin schon dünne Chalamet nahm für die Rolle weitere Kilo ab. Er spielt diesen Jungen, der irgendwann merkt, dass er – wie er es selbst einmal nennt – dieses schwarze Loch in seinem Innern bekämpfen muss, mit einer frappierenden Bandbreite von Ausdrucksmöglichkeiten. Wie schon in „Call Me By Your Name“, wirkt sein Spiel eher spontan als durchdacht. Zu einer Überzeichnung der Figur, was gerade bei der Darstellung von Drogenkranken schnell passieren kann, lässt es Chalamet nie kommen.
Immer wieder erleben wir Chalamet tanzend, um nach außen zu kommunizieren, was ihn im Innersten aufwühlt. Wenn er und Jo (gespielt von Saoirse Ronan, ebenfalls eine der interessantesten Schauspielerinnen ihre Generation) sich im Historiendrama „Little Women“ zum ersten Mal begegnen, grenzen sie sich von der eigentlich langweiligen Abendgesellschaft ab, indem sie draußen ihren eigenen Tanz veranstalten. Das Imitieren der Konventionen Erwachsener geht einher mit Ausbrüchen aus dem Standard, einem Hüpfen und Zucken, als folgten die Körper mehr Rock- als zeitgenössischer Musik.
Mit „Bones and All“ arbeitete er zum zweiten Mal mit Luca Guadagnino zusammen. „Ganz und gar“ bedeutet der Titel und Chalamets Lee geht in der Tat aufs Ganze, eine ähnliche Figur wie Nic in „Beautiful Boy“, ein Vertreter der Lost Generation, dessen Droge hier Menschenfleisch ist, dessen Sehnsucht aber einmal mehr der Liebe gilt.
Und wieder ist es ein Moment des Tanzes, in dem Chalamet uns seinen Lee vorstellt. Wenn er mit Maren, der weiblichen Hauptfigur des Films und Lees Love Interest, zu sich nach Hause kommt, macht er gleich Musik an, und was da läuft und sofort rhythmische Zuckungen in ihm hervorruft, ist „Lick it Up“ von „Kiss“. Nun ja, vielleicht ist er doch älter, als er aussieht. Chalamet lässt seinem Körperspiel freien Lauf, er pfeift völlig auf Schönheit und Grazie, die er in „Little Women“ noch aufweist. „Bones and All“ kam 2022 in die Kinos, da war Chalamet mit „The King“ und „Dune“ schon zum Superstar geworden. Starkarrieren sind selten linear, sondern von Brüchen gekennzeichnet.
Herrscher und Messias
„The King“ war 2019 eine erste Variation seines Images. Angelehnt an Shakespeares Historiendramen „Heinrich IV.“ und „Heinrich V.“, wird die Geschichte des in Ungnade gefallenen Prinzen Heinrich erzählt, der zum König wider Willen wird. Chalamet legt die Figur zunächst ganz ähnlich wie seine bisherigen rebellischen Rollen an. Denn Prinz Hal, wie er genannt wird, hat zunächst mit seiner königlichen Herkunft nichts am Hut und lebt mit seinem Kumpel Falstaff in den Tag hinein. Man könnte sagen, er weiß ebenso wenig mit seinem Leben anzufangen wie Laurie in „Little Women“, anders ausgedrückt ist er auch jemand, der für sich ein gutes Leben jenseits von Machtansprüchen führt. Sobald sein Hal König geworden ist, bewegt er sich viel stärker als in früheren Filmen in einem Korsett der Körpersprache. Gefangen ist er darin indes noch nicht. Immer wieder bilden sich Risse im Gefüge, die es ermöglichen, den Prinzen Hal nicht völlig zum Verschwinden zu bringen und den König als feinnerviges Wesen darzustellen. Auch der zarte Junge, dessen Körper für den Kampf gar nicht gemacht ist, bleibt ja erhalten, sein zerbrechlicher Körper schimmert stets durch die metallene Rüstung durch.
Der junge Mann, der widerwillig aus dem Schlaf erwacht, könnte auch Elio in „Call Me By Your Name“ sein. Es ist jedoch Paul Atreides, der Held und zukünftige Messias in „Dune“. Von der Verantwortung, die ihm aufgelastet wird, wirkt er notorisch überfordert. Es drängt sich der Eindruck auf, dass auch Chalamet durch die Rolle in seinem Körperausdruck eingeschränkt wird. Sein Gesicht ist schön wie immer, doch hat es hier eine angestrengt unbewegliche Noblesse, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Gilt es, dem bislang frei aufspielenden Idol einer jungen Generation nun das Korsett so fest so schnüren, dass seine Kunst darin erstickt? Dietmar Dath war in der FAZ der Auffassung, dass Chalamets überforderter und bockiger Paul Atreides dem in Frank Herberts Romanen ziemlich gut entspreche. Das Bockige zeigt sich lange Zeit jedoch kaum, auch den Härtetest mit der ehrwürdigen Mutter Mohiam übersteht er mit erstaunlicher Disziplin.
Erst viel später lässt Chalamet seinen Paul emotional explodieren, wenn er mit seiner Mutter auf der Flucht vor den Harkonnen und Sardaukar in der Wüste in einem Zelt übernachtet. Da wird ihm bewusst, wie sehr er vom Orden der Bene Gesserit ausgenutzt wird. Wie ein Befreiungsschlag schreit er seine Mutter, die diesem Orden angehört, an, er sei zu einem Freak gemacht worden. Während die anderen jugendlichen Figuren, die Chalamet spielte, wie in „Beautiful Boy“ und „Bones and All“, in unseren westlichen Gesellschaften viel eher als Freaks bezeichnet würden, weil sie drastisch unangepasst sind, ist für Paul Atreides die Bändigung und Dressur durch einen Orden, dem es nur um Machterhalt geht, die wahre Freakshow. Es ist ein wunderbarer Moment, in dem durch die Figur auch der Schauspieler zu sprechen scheint.
Ein Rebell aus gutem Grund
In „Like a Complete Unknown“ spielt Timothée Chalamet nun den jungen Bob Dylan. Das von James Mangold inszenierte biografische Drama umspannt die Phase, als Robert Allen Zimmerman, wie Dylan wirklich heißt, in New York City eintraf, zur Ikone der Folkmusik wurde und dann bei einem legendären Auftritt beim Newport Folk Festival 1965 für einen Skandal sorgte: Zum Entsetzen der traditionellen Folkgemeinde trat Dylan mit einer Begleitband und E-Gitarren auf. Vom Idol der Protestbewegung wurde Dylan zu ihrem Verräter. Unbeeindruckt von seiner Fangemeinde, verfolgte er seine musikalische Entwicklung weiter. Er machte drei Alben, die in die Musikgeschichte eingingen und den Grundstein dafür legten, dass er 2016 als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur erhielt.
Auch Timothée Chalamet schickt sich an, enorm einflussreich zu werden. Die Rolle als Bob Dylan ist sein finaler Sprung in die Annalen des Films. Nicht weil der Film so gut ist. Es ist ein solides Biopic. Ikonisch ist der Auftritt, weil Chalamet vollkommen in Dylan aufgeht.
Einen Film über die frühen Jahre von Bob Dylan zu machen, war schon seit mehreren Jahren geplant, die Umsetzung wurde wegen Corona aber unterbrochen. Chalamet nutzte diese Zeit, um nicht nur Gitarre spielen und wie Bob Dylan singen und sprechen zu lernen, er war auf gewisse Weise all die Jahre, die er in anderen Filmen auftrat, auch in „Dune“, schon ein bisschen Bob Dylan im Hintergrund. In der Cover-Story des „Rolling Stone“ im November 2024 war zu lesen, dass Chalamet auf seinem Smartphone ein Video habe, in dem er, gekleidet in Paul Atreides’ intergalaktischen Pyjama, auf dem Set von „Dune“ den Dylan-Song „Don’t Think Twice, It’s All Right“ singt.
Seine Statur als „Noodle Boy“ (wie die „New York Times“ ihn oder auch Dominic Sessa aus „The Holdovers“ labelte) passt nicht nur perfekt zur Rolle des Barden der Bürgerrechtsbewegung. Sein Aussehen ist auch ausschlaggebend für seinen Status als Mode-Ikone. Chalamet kann Kleidungsstücke zum Leuchten bringen, auch ein pinkes Valentinstag-Kostüm, wie bei der Berlinale 2025. Das Männer-Magazin „GQ“ verlieh ihm 2020 den Rang des bestgekleideten Mannes der Welt. Dabei unterscheidet er nicht zwischen Männer- und Frauen-Kollektionen. 2022 war er der erste Mann, der allein auf dem Cover der „British Vogue“ abgebildet wurde. Seine Filmcharaktere stehen oft Pate für neue Kostümentwürfe. Das gilt auch für einen Hoodie, den er in „Like a Complete Unknown“ trägt.
Es ist Timothée Chalamet zu wünschen, dass er nicht in die Untiefen des Daseins als Star driftet, wie allzu viele andere Schauspielstars, die zum Idol ihrer Zeit (und einer neuen Männlichkeit wurden). Man denke etwa an Johnny Depp, mit dessen Tochter Lily-Rose Melody Chalamet mal liiert war. Depp verdankte seinen Ruhm in den 1990er-Jahren dezidierten Außenseiterfiguren. Der jahrelange hässliche Rechtsstreit um häusliche Gewalt mit seiner Ex-Frau Amber Heard machte ihn schlichtweg untragbar. Man kann nur hoffen, dass sich Timothée Chalamet weiter so präsentiert wie bisher, nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera. Wenn er so weitermacht, kann Timothée Chalamet ein ganz großer seiner Zunft werden: eine Persönlichkeit, die Haltung zeigt, ohne sie hinauszuposaunen; Außenseiter und Auserwählter, Character Actor und Star-Performer in Personalunion.