© Philipp Döring ("Palliativstation" von Philipp Döring)

Berlinale 2025: Nicht jeder Schrei verhallt ungehört

Über Filme auf der Berlinale 2025, bei denen Hilfsbedürftigkeit auf überlastete Pflegende trifft

Aktualisiert am
28.02.2025 - 17:13:08
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In vielen Filmen, die auf der Berlinale 2025 liefen, standen Pflegekräfte im Zentrum, die hilfsbedürftigen Menschen zur Seite stehen und nicht nur medizinischen Beistand, sondern auch ein offenes Ohr haben. Doch oft ist auch ihre Überforderung und Verlorenheit zu sehen, die ihnen ihre Aufgaben zusätzlich erschweren. Zum Glück verhalt nicht jeder Schrei um Beistand ungehört.


Pflegefälle überall. Menschen mit akuten oder langzeitlichen Gesundheitsproblemen, seien sie körperlicher oder psychischer Art, begegneten einem in den Filmen der Berlinale 2025 an jeder Ecke. Die Hilflosigkeit angesichts körperlicher Versehrtheit zog sich als Thema durch alle Sektionen. Freilich nicht ohne Einbezug von Lösungswegen und der Bereitschaft, Schmerzen und Not zu lindern und Heilung oder wenigstens humane Behandlung zu gewährleisten. Sehr umfänglich und in aller Ruhe geschieht dies in dem vierstündigen Dokumentarfilm „Palliativstation“ von Philipp Döring, der über mehrere Monate Ärzte, Krankenhauspersonal und Patienten begleitet und die palliative Sorge um Schwerkranke näherbringt.


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Öfters aber greifen Filme den enormen Druck im Pflegebereich unmittelbar auf. So macht „Heldin“ von Petra Volpe aus der Krankenhausschicht der Pflegerin Floria (Leonie Benesch) einen Parcours der extremen Belastungen. Unvorhergesehene Zwischenfälle wirbeln ihren durch Unterbesetzung ohnehin schwierigen Zeitplan durcheinander. Der mit rund 90 Minuten sehr kompakte Film macht sich das Eiltempo, zu dem seine Hauptfigur gezwungen ist, zu eigen und reiht die kurzen Eindrücke der kranken Frauen und Männer auf der Station aneinander. Neben Blutdruckmessen, Einstichstellenlegen, Essenbringen, Transporten und immer wieder auch Anliegen, die eigentlich nicht in Florias Aufgabenbereich fallen, gibt es auch Momente, in denen die Pflegerin kleine Bitten der Patienten erfüllt. Gesten der Mitmenschlichkeit, die Floria zwar im Zeitplan zurückwerfen, aber für sie nicht weniger wichtig sind als für die Kranken, da sie die schlimmen Augenblicke in ihrem Beruf erträglicher machen. Oft sind sie aber auch schlicht der einfachste und effizienteste Weg, eine Behandlung abzuschließen und die nächste angehen zu können.


Die Kunst der Mitmenschlichkeit

Allerdings gelingt es Floria nicht durchweg, ihren Frust angesichts der Überlastung für sich zu behalten. Es unterlaufen ihr Fehler. Das macht es umso einleuchtender, dass die Pflegenden keine Zeit finden, nebenher noch über die schlimmen Zustände zu reflektieren. Die Daueranspannung der Inszenierung spricht für sich.

Mit der Frage, wer angesichts immer höherer Belastungen eigentlich für die Pflegenden sorgt, ist „Heldin“ keineswegs allein. Weniger zentral, aber im Hintergrund stets präsent, klingt sie auch in „Mit der Faust in die Welt schlagen“ von Constanze Klaue an. Darin ist es die ostdeutsche Mutter Sabine (Anja Schneider), die ihre Angehörigen zusammenzuhalten versucht, während sie als Krankenschwester den Hauptverdienst nach Hause bringt. Sie genießt für ihren Beruf durchaus Ansehen; selbst Neo-Nazis, unter deren Einfluss ihre beiden Söhne in der Nachwendezeit ab 2006 geraten, sprechen mit Achtung von ihr.

Christian Näthe, Anja Schneider in "Mit der Faust in die Welt schlagen" (Flare Film)
Christian Näthe, Anja Schneider in "Mit der Faust in die Welt schlagen" (© Flare Film)

Doch so wenig, wie Sabine noch auf ihre Kinder einwirken kann, weiß sie zu verhindern, dass ihr Mann, ein arbeitsloser Wendeverlierer, der Familie mehr und mehr entgleitet. Der Vorwurf ihres Sohnes: „Warum tust du nichts dagegen?“, ist so ungerecht und wie unausweichlich. Aber auch, dass ihr Ruf Schaden nimmt. Irgendwann weist eine Kollegin sie auf die wachsende Zahl von Patienten-Beschwerden hin; Sabine kann darauf nur noch erwidern, dass sie sich eigentlich für freundlich halte. Doch ihr Selbstbewusstsein hat erkennbar Risse bekommen.


Was viele zu schätzen wissen

Um diese Form der Ernüchterung kreist auch das dänische Drama „Home Sweet Home“ von Frelle Petersen. Strukturell ähnelt der Film dem Drama „Ivo“ von Eva Trobisch über eine mobile Palliativ-Pflegerin. Auch „Home Sweet Home“ verfolgt einen quasi-dokumentarischen, vignettenhaften Ansatz und porträtiert eine engagierte Pflegekraft, die sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Betreuung von Senioren in ihrer Kleinstadt aufteilt. Sofie (Jette Søndergaard) fängt nach ihrer Scheidung gerade erst in diesem Beruf an. Trotz der körperlichen und seelischen Belastung im Umgang mit den hilfsbedürftigen alten Menschen ist sie motiviert und freundlich, was viele zu schätzen wissen.

Doch die anfängliche Haltung kann sie auf Dauer nicht durchhalten. Der Personalnotstand ist auch in diesem präzise inszenierten Film evident und erfordert von den einzelnen immer noch mehr Einsatz. Zumal es auch Kollegen gibt, die ihre Pflichten vernachlässigen. Entsprechende Beschwerden von Sofie bleiben ohne Konsequenzen. Ebenso muss sie unfaire Vorwürfe der Tochter einer Patientin über sich ergehen lassen. Dann aber begeht sie einen Fehler mit Folgen und erleidet einen Schock, als sie eine alte Frau tot im Bett vorfindet.

Petersen setzt Sofies Bemühen um die Patienten auch in Kontrast zum schwierigen Verhältnis zu ihrer zehnjährigen Tochter, die sich vernachlässigt fühlt. „Home Sweet Home“ macht erzählerisch gekonnt begreifbar, wie die Resignation sich immer tiefer in die von guten Absichten bestimmte Hauptfigur hineinfrisst. Beinahe wird sie selbst zu einem psychischen Pflegefall.

Viele andere Protagonistinnen und Protagonisten in Berlinale-Filmen schaffen es auch nicht, sich und der Welt solche mentalen Schwierigkeiten einzugestehen. So präsentiert der Songtexter Lorenz Hart in Richard Linklaters „Blue Moon“ sich als zwischen Selbstzweifeln und extremer Selbstwahrnehmung schwankender Charakter. Äußere Anzeichen davon sind Alkoholismus, Minderwertigkeitskomplexe wegen seiner Körpergröße und bitterer Witz, mit dem er seine Umwelt, aber auch sich selbst permanent geißelt.

Margaret Qualley, Ethan Hawke in "Blue Moon" (Sony Pictures/Sabrina Lantos)
Margaret Qualley, Ethan Hawke in "Blue Moon" (© Sony Pictures/Sabrina Lantos)

Kulminationspunkt ist der Abend des 31. Märzes 1943, an dem das Musical „Oklahoma!“ seine New Yorker Premiere erlebt und Hart keinen Zweifel daran hegt, dass die erste Zusammenarbeit seines langjährigen Schreibpartners Richard Rodgers mit Oscar Hammerstein II alle Rodgers&Hart-Erfolge in den Schatten stellen wird.

Die rund 100 Minuten, die der Film in der Sardi’s Bar als Ort der Premierenfeier verbringt, zeigen Hart beim beständigen Versuch nach Ansprache und Hilfe, was er mit Aufgekratztheit und Sarkasmus kaschiert. Das Drehbuch von Robert Kaplow schafft es trotz einer gewissen Geschwätzigkeit, die selbstzerstörerischen Züge des Textschreibers herauszuarbeiten. Hart (Ethan Hawke) sprüht vor Einfällen und gibt sie unabsichtlich an seine Umgebung weiter; so verlässt E.B. White die als Künstlertreff fungierende Bar mit der Idee für „Stuart Little“ und der spätere Regisseur George Roy Hill mit einem Rat über den Wert von Freundschaftsgeschichten. Hart aber kann seine Ideen für sich selbst nicht festhalten.

Überdies erweisen sich seine vermeintlichen Feinde als unterstützend – Rodgers will die Zusammenarbeit mit ihm fortsetzen, verlangt aber mehr Disziplin, Hammerstein zollt dem gleichaltrigen Kollegen hohen Respekt, weshalb Harts Wille zur Eskalation kein Ventil findet.

Zu einer solchen wütenden Reaktion kommt es hingegen in der hintersinnigen Komödie „What Does That Nature Say to You“ von dem südkoreanischen Regisseur Hong Sang-soo. Der junge Poet Donghwa (Ha Seong-guk) hat sich einen ganzen lang Tag die nicht unfreundlichen, aber doch recht penetranten Sticheleien der Familie seiner Freundin angehört. Diese gelten seinem Dichterdasein an sich, obwohl die Mutter seiner Verlobten ebenfalls Gedichte schreibt. Der Spott zielt aber auch auf sein 1990er-Jahre-Auto oder seinen (Autoren-)Bart, was Donghwa noch genügsam ertragen hat, zumal ihn auch Signale der Sympathie erreichen.

Insbesondere die Schwester seiner Verlobten, Neunghee (Park Miso), die nach einer Depression noch labil ist, nach außen aber ausgeglichen wirkt, hat ihm eine Art von Bestärkung gegeben: „Man sollte nach seinem Geschmack leben. Deswegen fahren Sie auch dieses Auto.“


Die Schwerkraft der Seele

Gerade sie ist es beim alkoholseligen Abendessen jedoch, die Donghwas Zorn trifft, als sie zum wiederholten Mal andeutet, dass er im Falle finanzieller Probleme doch seinen Vater, einen bekannten Staatsanwalt, hinter sich habe. Donghwas Reaktion kündet von einem gestörten Familienverhältnis. Seine vorherige Gleichmut entlarvt sich als Verstellung. Doch in der Inszenierung der subtilen Details, mit der Hong Sang-soo punktgenau die versteckten Wunden seiner Figuren offenlegt, sind solche Ausbrüche nicht dazu angetan, festgefügte Gefüge aufzubrechen. Allenfalls setzen sie einen kleinen Widerhaken.

Gänzlich unverborgen sind die psychischen Probleme und die komplette Überforderung bei der Titelfigur von Léonor Serrailles Drama „Ari. Der angehende Grundschullehrer Ari (Andranic Manet) scheitert bereits in der Eingangssequenz an der Nervenprobe, eine desinteressierte Klasse in den Griff zu bekommen. Sein Versuch, den Knirpsen ein Tier wie das Seepferdchen über ein Gedicht nahezubringen, kollabiert an seinem unsicheren Auftreten und an Abschweifungen in Begrifflichkeiten (Surrealismus, Zweiter Weltkrieg), die das Verständnis der Kinder überschreiten. Schließlich gelingt ihm nicht einmal mehr, das Gedicht vorzulesen, und er bricht zusammen.

Auf der Suche: Andranci Manet in "Ari" (Geko Films/Blue Monday Prod.)
Auf der Suche: Andranci Manet in "Ari" (© Geko Films/Blue Monday Prod.)

Nach seiner Krankschreibung entsagt er dem Lehrberuf und sucht nach einem anderen Platz für sich. Doch bei seinem Vater und bei früheren Bekannten erntet er für seinen Zustand wenig Verständnis. Sie laden ihm im Gegenteil nur weiteren seelischen Ballast auf, statt den Rücken zu stärken. Léonor Serraille entwickelt das mit einer gewissen Schonungslosigkeit, aber auch mit Zuneigung für ihren fahrig-verunsicherten Protagonisten; der Stopp des Abwärtstrends und die denkbare Umkehr ergeben sich schlüssig.

Wo viele andere Figuren der Berlinale-Filme in diesem Jahr ihren Problemen nicht entkommen oder diese vor ihrer Umwelt unsichtbar bleiben, findet Ari auf unerwarteten Wegen die Chance für einen Neuanfang. In seinem Fall verhallt sein Hilfeschrei nicht ungehört.


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